Bachmut: Warum ist die Stadt im Donbass so wichtig?

Bachmut: Warum ist die Stadt im Donbass so wichtig?

7. März 2023 Aus Von mvp-web

Seit Monaten tobt im Osten der Ukraine die Schlacht um Bachmut. Beide Seiten kämpfen erbittert – trotz massiver Verluste. Laut dem Chef der dort eingesetzten russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, ist die Stadt fast vollständig eingekesselt. Kiew dagegen beharrt darauf, dass die «Festung Bachmut» weiter verteidigt werde. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Die Stadt im Donbass, die einst 74 000 Einwohner zählte, ist inzwischen weitgehend zerstört. Nach Schätzungen der Behörden leben dort noch rund 5000 Zivilisten. Die Symbolik der «Festung» ist groß, doch wie hoch ist die militärische Bedeutung der Industriestadt?

Wie ist die Lage in Bachmut?

Die Situation der ukrainischen Verteidiger in der umkämpften Stadt Bachmut wird nach Einschätzung britischer Geheimdienste immer prekärer. Die ukrainischen Streitkräfte stünden angesichts der anhaltenden schweren Kämpfe dort unter erheblichem Druck, hieß es kürzlich im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Bachmut habe sich zum ukrainischen Vorposten entwickelt, der von drei Seiten durch russische Angriffe gefährdet sei.

Die ukrainische Armee setze in Bachmut nun Elite-Einheiten ein, hieß es in dem Bericht des britischen Geheimdienstes weiter. Zuvor seien zwei Brücken zerstört worden, darunter eine für Transporte und Nachschub wichtige Verbindungsbrücke, die von Bachmut aus in die Stadt Tschasiw Jar führte. Die Transportwege unter ukrainischer Kontrolle würden immer rarer.

Auch ukrainische Militärblogger berichteten von Fortschritten der Russen nördlich und nordwestlich von Bachmut. Westlich der Stadt wird demnach ein Schlauch von nur noch etwas mehr als vier Kilometern Breite durch die eigenen Truppen kontrolliert. Durch diese gehen die stark beschossenen Verbindungen nach Westen. An allen anderen Richtungen bedrängen demnach russische Einheiten die Ukrainer.

Das ähnelt dem Bericht des Chefs der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin. Demnach haben seine Kämpfer die Stadt fast vollständig eingekesselt. «Es gibt nur noch eine Straße (hinaus)», behauptete er in einer Videobotschaft. Seine Angaben waren nicht unabhängig überprüfbar.

Angesichts der schweren Kämpfe in Bachmut rief Kiew alle dort noch ausharrenden Zivilisten zur Flucht auf. «Wenn Sie zurechnungsfähige, gesetzestreue und patriotische Bürger sind, sollten Sie sofort die Stadt verlassen», appellierte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschukin an die vermutlich nur noch wenige Tausend Verbliebenen.

Die Stadt mit einst 70 000 Einwohnern im Gebiet Donezk steht praktisch unter Dauerbeschuss der Russen. Viele ältere Menschen harren aber in Bachmut aus, weil ihre Unterkunft ihr einziger Besitz ist und sie ihren Geburtsort nicht verlassen wollen. Manche sympathisieren auch mit Russland.

Warum hält Kiew an Bachmut fest?

Für die ukrainischen Verteidiger in der umkämpften Stadt Bachmut wird die Lage nach Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj immer komplizierter. «Der Feind zerstört ständig alles, was zur Verteidigung unserer Stellungen, zu ihrer Befestigung und Verteidigung dienen kann», sagte Selenskyj.

Entgegen der Berichte über einen geplanten Abzug aus Bachmut verstärkt die Ukraine ihre Truppen. Es sei eine strategische und keine politische Entscheidung, die Stadt zu halten, sagte die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar im Fernsehen. «Die Verluste des Gegners sind sehr hoch. Unsere Kämpfer können bis zu 80 Prozent der Terroristen vernichten», sagte Maljar. Ihre Angaben sind unabhängig nicht zu überprüfen. Die ukrainische Armee verteidigt die Stadt in einer Abnutzungsschlacht, um möglichst viele russische Truppen zu binden und ihnen hohe Verluste an Soldaten und Material zuzufügen.

Siegessicher ist die Ukraine aber dennoch nicht. Verteidigungsminister Oleksij Resnikow schloss in einem Interview der «Bild»-Zeitung nicht aus, dass Bachmut an die Russen fallen könnte. Dies würde aber lediglich bedeuten, «dass sie einen kleinen Sieg erringen», sagte er.

Hat Bachmut wirklich eine strategische Bedeutung?

Trotz der schwierigen Lage in Bachmut hält das Institut für Kriegsstudien (ISW) Kiews Strategie für richtig, die seit Monaten umkämpfte ostukrainische Stadt weiter zu verteidigen. «Die ukrainische Verteidigung von Bachmut hat den Kreml gezwungen, einen Großteil der Wagner-Gruppe als Truppe zu erschöpfen», argumentiert die US-Denkfabrik.

Zudem müsse Russland hochwertige Luftstreitkräfte aufwenden, um Fortschritte zu machen. Die daraus resultierende Schwächung der russischen Seite begünstige die Bedingungen für eine ukrainische Gegenoffensive, so das ISW. Eine Verteidigung von Bachmut und die Vorbereitung einer Gegenoffensive schlössen sich daher nicht gegenseitig aus.

Westliche Beobachter hatten zuvor Kiews Entscheidung angezweifelt, weiter an Bachmut festzuhalten. Nach Einschätzung aus US-Regierungskreisen könnte es sinnvoller sein, sich für das Frühjahr auf eine Gegenoffensive zu konzentrieren. Eine russische Eroberung Bachmuts werde «keine bedeutende strategische Wende auf dem Schlachtfeld» herbeiführen, zitierte die «Washington Post» (Montag) einen hochrangigen Regierungsvertreter. «Russland wird versuchen, es als solche darzustellen, aber es ist ein Punkt auf der Landkarte, für den sie eine außergewöhnliche Menge Blut vergossen und Ressourcen verbraucht haben.»

Warum schickt Moskau immer mehr Soldaten nach Bachmut?

«Die Verluste der Russen belaufen sich jeden Tag auf bis zu 500 Gefallene und Verletzte», sagte der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow der «Bild am Sonntag». Doch laut Resnikow ist Bachmut «für die Russen ein symbolischer Ort», weshalb die Anstrengungen für die Einnahme der Stadt so bedeutend seien. Dabei bedeute selbst deren Eroberung nichts für den weiteren Verlauf der Kämpfe im Donbass, sagte er der Zeitung.

Ähnlich sieht das auch das in den USA ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW). Der strategische Wert Bachmuts ist nach der Vertreibung der russischen Truppen aus dem Gebiet Charkiw gering, da nun nach dem Fall keine Einkesselung des Ballungsraums zwischen Slowjansk und Kramatorsk droht.

Schon der Fall des benachbarten, kleineren Soledars hat wegen des Fehlens anderer Erfolgsmeldungen in Moskau zum Kompetenzgerangel zwischen Verteidigungsministerium und Wagner-Söldnern darüber geführt, wer sich mit dem Erfolg brüsten darf. Die Eroberung von Bachmut ist dem Moskauer Verständnis nach der Schlüssel für die Einnahme des Donbass – eines der erklärten Kriegsziele von Präsident Wladimir Putin.

Aus strategischer Sicht würden russische Angriffe aus dem Süden im Gebiet Saporischschja oder dem Norden aus der Ex-Sowjetrepublik Belarus heraus mehr Sinn ergeben – doch dafür fehle es an Kräften und logistischen Möglichkeiten, heißt es in einer Analyse des Washingtoner Institute for the Study of the War.

Ist ein Abzug ukrainischer Truppen aus Bachmut wahrscheinlich?

Nach Einschätzung von Militärbeobachtern könnte Kiew aber seine Streitkräfte zumindest aus Teilen Bachmuts abziehen. «Die ukrainischen Kräfte könnten sich, angesichts der durch Bilder mit Geolocation bestätigten Zerstörung der Eisenbahnbrücke über den Fluss im Nordosten von Bachmut am 3. März, von ihren Positionen am Ostufer des Bachmutka-Flusses zurückziehen», schrieb das in den USA ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW).

Seit dem Abzug der ukrainischen Truppen aus Lyssytschansk im Luhansker Gebiet im vergangenen Juli hat die neue Verteidigungslinie zwischen Siwersk und Bachmut im Donezker Gebiet gehalten. Nach der Preisgabe von Soledar im Januar würde nun mit Bachmut der nächste Punkt dieser Linie aufgegeben.

Für die russischen Truppen würde sich dann zudem der Weg zum Ballungsraum Slowjansk und Kramatorsk öffnen. Allerdings wäre nicht mit einem schnellen Vormarsch zu rechnen. Vielmehr würden sich die ukrainischen Einheiten wohl in neue Verteidigungsstellungen zurückziehen, wo das langsame, blutige Zermalmen der ukrainischen Armee durch die Russen sich nur wenige Kilometer weiter westlich fortsetzen könnte. Der Krieg ist also noch lange nicht entschieden. dpa/chi