Staatsanwalt im Fall Luise: «Wir müssen die Kinder schützen»

Staatsanwalt im Fall Luise: «Wir müssen die Kinder schützen»

15. März 2023 Aus Von mvp-web

Nach dem Tod der 12-jährigen Luise in der Nähe von Freudenberg im Siegerland hat die Polizei die Tatwaffe weiterhin nicht gefunden. Mehr als 30 Beamte hatten das Gebiet rund um den mutmaßlichen Tatort im Grenzgebiet von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen am Dienstag noch einmal durchsucht – aber ohne Erfolg, wie die Staatsanwaltschaft Koblenz am Mittwoch mitteilte.

Polizei sucht nach einem haushaltsüblichen Messer

«Wir suchen nach einem Messer», sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz, Mario Mannweiler, der «Siegener Zeitung». «Aktuell gehen wir eher von einem haushaltsüblichen Gegenstand aus, also keine Waffe im eigentlichen Sinne.»

Zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren hatten gestanden, die zwölfjährige Luise am Samstagabend erstochen zu haben. Weitergehende Angaben zu dem Fall machte die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf den Persönlichkeitsschutz des Opfers und der minderjährigen mutmaßlichen Täterinnen auch am Mittwoch nicht.

Täterinnen sind Kinder

«Die Täterinnen sind noch Kinder», betonte Mannweiler. «Die haben ihr Leben noch vor sich – auch wenn es jetzt gerade so schief gelaufen ist, wie irgendwie nur denkbar. Wir müssen die Kinder schützen. Und ihre Familie auch.»

Mannweiler warnte ausdrücklich vor Maßnahmen gegen die betroffenen Familien. «Man muss auch mit Bedrohungen gegen die Familien der Täterinnen rechnen», sagte der leitende Oberstaatsanwalt. Die zuständigen Behörden und auch die Polizei hätten das im Blick, «beispielsweise wenn es um Prävention geht».

Die zwölfjährige Luise war am Samstag vermisst gemeldet worden, am Sonntag wurde ihre Leiche gefunden. Bei der Obduktion wurden zahlreiche Messerstiche festgestellt. Das Mädchen war nach Angaben der Ermittler verblutet. Zum Motiv für die Tat machten die Ermittler keine Angaben.

Jugendamt ergreift erste Maßnahmen

Derweil hat das Jugendamt erste Maßnahmen für die fast gleichaltrigen mutmaßlichen Täterinnen ergriffen. Die beiden 12 und 13 Jahre alten Mädchen lebten vorerst nicht mehr bei ihren Familien, teilte der Kreis Siegen-Wittgenstein mit. Kontakt mit ihren Eltern hätten sie aber weiterhin.

Die Mädchen hatten gestanden, die zwölfjährige Luise mit zahlreichen Messerstichen getötet zu haben. An Luises Schule nahmen sich Klassenkameraden und Lehrer auch am Mittwoch viel Zeit, um die Tat zu besprechen und zu verarbeiten.

Blumen und Kerzen am Tatort

Nach der Tat steht die Stadt Freudenberg unter Schock. Am Tatort in einem abgelegenen Tal an der Grenze von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz waren die abgelegten Blumen und Kerzen am Mittwochmorgen wie in eine weiße Decke gehüllt: In der Nacht war Schnee gefallen. Er gab dem Ort, an dem sich die grausame Tat ereignete, etwas Friedliches.

Menschen suchen Trost in der Kirche

Viele Menschen suchten weiterhin Trost in den beiden Kirchen der kleinen Stadt, in denen Trauerecken eingerichtet waren. Auch Kondolenzbücher liegen dort aus. Viele, die sich doch eintragen, kennen Luise und auch die beiden mutmaßlichen Täterinnen.

«Es ist wichtig, nicht allein mit seinen Gefühlen und Gedanken zu hadern, sondern das Gespräch und den Austausch zu suchen mit der eigenen Familie, Freunden, Nachbarn, Vereinskameradinnen und Vereinskameraden», sagte Bürgermeisterin Nicole Reschke.

Mädchen sind nicht schuldfähig

Wegen ihres Alters sind die beiden Mädchen, die die Tat bei der Polizei gestanden haben, noch nicht schuldfähig und können nicht vor Gericht angeklagt werden. Das Jugendamt ist deshalb nun für die weiteren Maßnahmen verantwortlich.

In einem ersten Schritt seien beide «außerhalb des häuslichen Umfeldes untergebracht» worden, teilte der Kreis Siegen-Wittgenstein mit. «Das ist auch damit verbunden, dass die Kinder nicht ihre bisherigen Schulen besuchen.»

Die Mädchen hätten aber weiterhin Kontakt zu ihren Eltern. «Der Kontakt zur Familie ist aufgrund des jungen Alters der Mädchen für die Entwicklung einer gelingenden Unterstützung sehr bedeutsam und wird insofern unterstützt», teilte der Kreis mit.

Auch für die beiden Tatverdächtigen handele es sich um eine «ganz außergewöhnliche Situation, die viel Empathie und umsichtiges Agieren erfordert», sagte Kreis-Jugenddezernent Thomas Wüst. Ob und wann sie zurück zu ihren Eltern können, sei offen. Es handele sich «um einen sehr komplexen Prozess, der zeitlich nicht eingegrenzt werden kann», betonte eine Sprecherin.

Kriminalpsychologe: Moralisch sehr schwere Schuld

Bei Kindern stehe nicht die Bestrafung, sondern die Erziehung und Entwicklung im Vordergrund, sagte Kriminalpsychologe Rudolf Egg dem WDR. Die Mädchen stünden am Anfang ihres Lebens. «Man muss ihnen jetzt nicht das gesamte Leben verbauen», sagte der langjährige Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden.

«Auch wenn sie moralisch sehr schwere Schuld auf sich geladen haben.» Jugendämter hätten in einem solchen Fall eine Reihe von Optionen. «Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, dass die Familien eine Erziehungsbetreuung bekommen», sagte Egg.

An der Schule der getöteten 12-Jährigen nahmen sich Schüler und Lehrer weiterhin viel Zeit für Gespräche. Normaler Unterricht finde noch nicht wieder statt, sagte Christoph Söbbeler, Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg. «Die Schule ist momentan der Ort, an dem für die Schülerinnen und Schüler Austausch und Trauer möglich sind.»

Bezirksregierung: Gewissheiten zusammengebrochen

Die Kinder und Jugendlichen seien den ganzen Schultag mit ihren Klassenlehrern zusammen. «Es gibt Halt, in gewohnter Umgebung mit vertrauten Menschen zusammen zu sein – gerade jetzt, wo andere Gewissheiten zusammengebrochen sind», sagte Söbbeler. dpa/gut