Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, nimmt an einer Pressekonferenz teil. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Das Ende der Atomenergie in Deutschland ist kurz vor dem Abschalten der letzten Kraftwerke zwischen Grünen und FDP umstritten. «Der Ausstieg ist vor allem ein endgültiger Einstieg: in eine sichere und risikoarme, bezahlbare und saubere Energieversorgung – ins Zeitalter der Erneuerbaren», sagte die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Mit dem Schritt werde der Grundstein für künftigen Wohlstand und wirtschaftliche Stärke gelegt, so Lang. «Wir machen uns unabhängig von fossiler Energie, von Autokraten wie Wladimir Putin, von unbezahlbaren Energiepreisen.»
Dagegen erklärte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai das Abschalten der letzten Meiler am 15. April für falsch. Aus Sicht der FDP wäre zur Energiesicherheit und zum Verzicht auf Kohlestrom ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke notwendig. «Es ist bedauerlich, dass die Grünen blockieren und kein Einsehen haben. Wir sollten auch die Chancen neuer und sicherer Technologien der Kernspaltung und Kernfusion ergebnisoffen diskutieren», sagte Djir-Sarai der Deutschen Presse-Agentur.
«Notsituationen wie zuletzt infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine lassen sich nicht zuverlässig prognostizieren», erläuterte der FDP-Politiker. «Deshalb müssen wir wegkommen von einer Energiepolitik, die auf Kante genäht ist.»
FDP: Stromversorgung in Deutschland gefährdet
FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Ich bin der Überzeugung, dass auf absehbare Zeit eine sichere und bezahlbare Stromversorgung ohne Kernenergie gefährdet ist.» Es gebe gute Argumente für ein Umdenken auch in der Bundesregierung. «Ein neuer Stresstest ist auf jeden Fall erforderlich, um das Risiko eines Blackouts auszuschließen.»
Der stellvertretende Linke-Vorsitzende Lorenz Gösta Beutin nannte es «absurd», dass die FDP jetzt über eine Laufzeitverlängerung rede. «Atomkraft ist unsicher und unbezahlbar. Die ganze Kraft muss jetzt auf den Ausbau erneuerbarer Energien gerichtet werden, auf eine bezahlbare und ökologische Energiewende.» Dass nun die drei letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden, sei «ein Grund zu feiern», sagte der Fachpolitiker für Atom der Deutschen Presse-Agentur. «Wir danken dem jahrzehntelangen Engagement der Anti-Atomkraft-Bewegung.»
Die letzten deutschen Atomkraftwerke gehen vom Netz
Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke hätten eigentlich schon Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Dies sah der Zeitplan für den Atomausstieg vor, den die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Atomkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011 beschlossen hatte. Wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise entschied die Ampel-Koalition nach einem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im vergangenen Jahr jedoch, die drei Meiler über den Winter weiterlaufen zu lassen.
Am 15. April sollen sie nun aber endgültig heruntergefahren werden. Damit endet nach fast 63 Jahren die Stromgewinnung aus Atomkraft in Deutschland. Als erstes kommerzielles Kernkraftwerk war der Meiler im unterfränkischen Kahl im November 1960 in Betrieb gegangen, seit Juni 1961 speiste er Strom ins Netz ein.
Umfrage: Mehrheit halten Abschaltung für falsch
Nach der repräsentativen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Insa für die «Bild am Sonntag» halten es 52 Prozent der Befragten für falsch, dass die drei verbliebenen Meiler kommende Woche vom Netz gehen. 37 Prozent halten dies für richtig, 11 Prozent machten keine Angabe. CDU-Chef Friedrich Merz äußerte sich erneut kritisch über die bevorstehende Abschaltung. «Im Ausland werden Sie kaum jemanden finden, der Verständnis dafür hat, dass Deutschland in der größten Energiekrise seit Jahrzehnten drei sichere, CO2-freie Anlagen der Energieerzeugung abschaltet und dafür wieder auf Kohle und Gas setzt», sagte er dem Nachrichtenportal «Web.de News».
Studie: Erneuerbare Energien kosten weniger als Atomstrom
Die Grünen-Vorsitzende Lang wies auf jüngere Studien hin, die zeigten, dass erneuerbare Energien in der Produktion viermal weniger als Atomstrom kosteten und langfristig vor absehbar steigenden Preisen für Öl oder Gas schützten. «Mit dem klaren Fokus auf erneuerbare Energien, auf Wind und Solar, auch auf Wasserstoff, stärkt die Ampel die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland und schafft zukunftssichere Jobs.»
Theurer als Landesvorsitzender der FDP Baden-Württemberg sagte, die baden-württembergische FDP habe einen Beschluss gefasst, der als Antrag in den Bundesparteitag eingebracht werden solle. «Darin fordern wir nicht nur einen neuen Stresstests, sondern wir fordern auch, dass neue Brennelemente beschafft werden und die Laufzeit der bestehenden Kernkraftwerke bis 2026 verlängert wird.» Das Risiko von Engpässen in der Stromversorgung sei im Süden und Südwesten Deutschlands am höchsten. dpa/gut