In wenigen Tagen werden die letzten drei laufenden Kernkraftwerke abgeschaltet. Nun flammt einmal mehr die Diskussion auf, ob der Ausstieg richtig oder falsch ist. Im Interview mit FOCUS online positioniert sich Bayerns Ministerpräsident Söder klar: Er will weiter auf Atomkraft setzen.
FOCUS online: Am Samstag werden die letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Ist damit Atomkraft in Deutschland Geschichte?
Markus Söder: Nein. Es ist ein grundlegender Fehler, Ideologie vor Vernunft zu setzen. Die Abschaltung der Kernenergie ergibt aus pragmatischen Gründen zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn. Deutschland braucht bezahlbaren, verlässlichen und CO2-freien Strom. All das liefert die Kernenergie. Solange die Krise andauert und der Übergang zu alternativen Energien noch nicht komplett organisiert ist, ist es besser, weiter auf Kernkraft statt auf Kohle zu bauen. Kohlekraftwerke verursachen so viel CO2-Emissionen wie ein Drittel des gesamten PKW-Ausstoßes in Deutschland. Das kann doch kein Mensch wollen.
Die Bundesregierung offenbar schon – mit der klaren Haltung: Der Ausstieg ist beschlossene Sache und wird jetzt durchgezogen. Wie wollen Sie diesen Prozess noch stoppen?
Söder: Es besteht eine große Doppelmoral darin, zu Hause aus der Kernkraft auszusteigen und gleichzeitig – wie Robert Habeck – Atomkraftwerke in der Ukraine gut zu finden und parallel Atomstrom aus Frankreich und Tschechien zu importieren. Damit entzieht sich Deutschland seiner Verantwortung. Für mich ist klar: Wenn die Union die nächste Bundestagswahl gewinnt, sollte es eine Verlängerung der Kernenergie geben.
„Energiepolitik schadet dem Klimaschutz, unserer Wirtschaft und unserem Wohlstand“
Wie soll das gehen? Ein Kernkraftwerk lässt sich ja nicht einfach an- und ausschalten.
Söder : Die Kernkraftwerke sollen ja über 20 Jahre zurückgebaut werden. Da spielen jetzt zwei Jahre hin oder her keine Rolle. Wir brauchen für einen Weiterbetrieb neue Brennstäbe und ein technisches Update. Das ist machbar. Das bestätigt auch der TÜV als maßgebliche Prüfinstanz. Mein Vorschlag ist, die Anlagen, die bis jetzt am Netz waren, weiterzufahren und die kurz zuvor stillgelegten Kraftwerke als Reserve zu behalten. Mit einer Energiepolitik, wie sie von Grünen, FDP und SPD betrieben wird, fahren wir jedenfalls vor die Wand. Sie schadet dem Klimaschutz, unserer Wirtschaft und unserem Wohlstand.
Wie lange wollen Sie den Betrieb von AKW in Deutschland verlängern?
Söder: Bis die Energiekrise überwunden ist. Spätestens bis Ende des Jahrzehnts. Bis dahin sollte der Übergang zu regenerativen Energien, den wir weiter energisch vorantreiben werden, gut organisierbar sein.
Wie sähe eine solche Verlängerung aus? Ist auch der Bau neuer Anlagen eine Option?
Söder: Wir brauchen auch neue Forschung neben dem Weiterbetrieb der bisher laufenden AKWs. Zum einen sollten wir die Forschung für die sogenannte kleine Kerntechnologie forcieren. Zum anderen brauchen wir mehr Wissen über die neue Kernfusion. Der Durchbruch in den USA ist bemerkenswert. Diese Chance dürfen wir nicht verspielen und wieder nur anderen überlassen. Daher wird Bayern in die Forschung zur neuen Kernfusion einsteigen. Wir überlegen sogar, in Bayern einen Kernfusionsreaktor für Forschungszwecke zu bauen, um Wirtschaft und Wissenschaft auf den besten Weg zu bringen. Gerne auch in Partnerschaft mit anderen Bundesländern.
„Wir wollen den Weiterbetrieb“
Um das nochmal festzuhalten. Während in Deutschland soeben die letzten AKW vom Netz gehen, plädieren Sie für ein Revival der Kernkraft mit dem Weiterbetrieb bestehender Kraftwerke und dem Neubau von kleinen, modernen AKW?
Söder: Wir wollen den Weiterbetrieb der drei laufenden Kernkraftwerke und die Bereitstellung drei weiterer in Reserve.
So oder so laufen wir nach diesem Sommer in einen Winter ohne Kernkraft. Robert Habeck versicherte dieser Tage, dass die Versorgung mit Energie dennoch gesichert sei. Sind Sie da auch so optimistisch?
Söder: Robert Habeck hat sich so oft geirrt. Die Gas-Umlage etwa ist als Konzept komplett gescheitert. Dann sagte er letztes Jahr, wir brauchen keine Kernenergie für den Winter, und wir brauchten die dann doch. Auch die jetzigen Pläne zu den Heizungen sind nicht durchdacht und rein ideologisch geprägt. Niemand kann erklären, warum ein 79-Jähriger seine Heizung nicht behalten soll, ein 80-Jähriger aber schon.
Im Grunde setzt Deutschland jetzt ja nur um, was 2011 unter dem Eindruck von Fukushima beschlossen wurde. Bereuen Sie im Nachhinein, dass Sie einer der ersten und entschlossensten Befürworter des Ausstiegs waren?
Söder : Nein. Die Zeit war eine andere. Wir haben damals Isar 1 abgeschaltet, weil es nicht gegen einen Flugzeugabsturz abgesichert war. Isar 2 ist sicher. Die Welt hat sich doch tatsächlich geändert. Das gilt besonders für die Grünen: Früher waren sie als Pazifisten auf jedem Ostermarsch und heute sagt die Außenministerin, wir seien in einem Krieg mit Russland. Die Realität verändert Programme: Deshalb sagt übrigens heute eine Mehrheit der Deutschen, dass es Sinn macht, die Kernkraftwerke vorübergehend weiterlaufen zu lassen. Und die Bürgerinnen und Bürger haben recht.