Die Europäische Zentralbank (EZB) steuert nach sechs Zinserhöhungen in Folge an diesem Donnerstag auf eine weitere Anhebung zu. Zwar dürfte die Inflation Volkswirten zufolge ihren Höhepunkt überschritten haben. Eine deutliche Entspannung bei den Verbraucherpreisen ist aktuell aber nicht in Sicht. «Die EZB hat weiter ein ausgeprägtes Inflationsproblem», analysiert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Warum ist eine hohe Inflation gefährlich?
Je höher die Inflation ist, desto stärker wird das Geld entwertet. Verbraucherinnen und Verbraucher können sich für einen Euro immer weniger leisten. Im April lagen die Verbraucherpreise im Euroraum einer ersten Schätzung des Statistikamtes Eurostat zufolge um 7,0 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats und damit deutlich über dem EZB-Ziel einer jährlichen Teuerungsrate von mittelfristig zwei Prozent. «Inflation ist wie Zahnpasta: Sie drückt sich leicht aus der Tube raus, aber sehr schwer wieder rein», warnte einst der damalige Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker.
Wie groß ist die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale?
Steigen die Löhne als Reaktion auf die hohe Inflation zu stark, kann das die Preise weiter nach oben treiben, weil Unternehmen gestiegene Löhne als Rechtfertigung für weitere Preiserhöhungen heranziehen. Löhne und Preise schaukeln sich dann gegenseitig hoch. Steigende Löhne sind nach Einschätzung von EZB-Chefvolkswirt Philip R. Lane bislang keine wichtige Quelle für die hohe Inflation. Zwar erwartet die Notenbank nach seinen Angaben, dass die Löhne nun schneller steigen werden, da Gewerkschaften auf die hohe Inflation reagierten. «Die Lohnerhöhungen sind zwar höher als normal, aber im Großen und Ganzen erscheinen sie recht fair. Aber wir müssen das im Auge behalten», sagte Lane unlängst der Wochenzeitung «Die Zeit».
Was unternimmt die EZB?
Die Euro-Währungshüter stemmen sich mit einer Serie von Zinserhöhungen gegen die hartnäckig hohe Inflation. Erhöhungen der Leitzinsen verteuern Kredite und bremsen die Nachfrage. Das hilft, die Inflationsrate zu senken. Allerdings geht das nicht von heute auf morgen. Zinserhöhungen wirkten in der Regel mit einer Verzögerung von eineinhalb bis zwei Jahren, erläuterte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel unlängst.
Welche Folgen haben die gestiegenen Zinsen für Sparer?
Nach jahrelanger Flaute profitieren Sparer von steigenden Zinsen für Tagesgeld und Co. Im Schnitt gibt es nach Daten des Vergleichsportals Verivox bei bundesweiten Tagesgeldangeboten 0,97 Prozent Zinsen und damit mehr als doppelt soviel wie zu Jahresbeginn. In der Spitze locken Institute mit 3 Prozent und mehr. Wer sein Geld für zwei Jahre fest anlegt, erhält bei bundesweit aktiven Instituten im Schnitt 2,58 Prozent. In beiden Fällen sind die Zinsen bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken Verivox zufolge im Schnitt niedriger. Knapp ein Drittel von insgesamt 688 ausgewerteten Instituten zahlt nach wie vor nichts aufs Tagesgeld.
«Viele regionale Geldhäuser lassen sich Zeit damit, die steigenden Zinsen an ihre Kunden weiterzugeben», sagte Oliver Maier, Geschäftsführer der Verivox Finanzvergleich GmbH. Zudem nagt die hohe Inflation am Ersparten, es verliert an Wert. Der durchschnittliche Realzins beispielsweise bundesweit verfügbarer Tagesgeldangebote liegt demnach aktuell bei minus 6,22 Prozent. Der Realzins ist der Zins für Spareinlagen nach Abzug der Teuerungsrate.
Was bedeutet der Zinsanstieg für Kreditnehmer?
Für Kreditnehmer ist es teurer geworden. Ratenkredite kosteten im März nach Daten des Vergleichsportals Check24 im Schnitt 7,05 Prozent Zinsen und sind im Vergleich zum März 2022 damit fast doppelt so teuer. Im April habe sich dieser Trend auf Basis vorläufiger Daten fortgesetzt. Zugleich zehrt die Inflation aber auch Schulden auf.
Wie stark sind Bauherren betroffen?
Sie bekommen die gestiegenen Bauzinsen, die sich an der Verzinsung von Bundesanleihen orientieren, deutlich zu spüren. Zuletzt gab es zwar einen leichten Rückgang. Nach Einschätzung von Check24 wird der Zinssatz für zehnjährige Baufinanzierungen in den kommenden Monaten aber wieder Richtung vier Prozent oder darüber hinaus gehen.
Das würde Tausende Euro Mehrkosten bedeuten: Bei einer Baufinanzierung von 400 000 Euro und einem Durchschnittszinssatz von 3,31 Prozent jährlich (Stichtag 1. Mai) entstehen Zinskosten von 117 982 Euro bis zum Ende der zehnjährigen Bindung, rechnet das Vergleichsportal vor. Die monatliche Rate liegt bei 1770 Euro. Sollte der Zins auf 4,50 Prozent steigen, würde das zusätzliche Mehrkosten von 41 593 Euro und eine um 397 Euro höhere Monatsrate bedeuten. Höhere Zinsen treffen diejenigen, die ein neues Darlehen brauchen oder eine Anschlussfinanzierung für einen Immobilienkredit. Bei laufenden Hypothekenkrediten ändert sich in der Regel nichts.
Was bedeuten höhere Zinsen für den Staat?
Jahrelang kam der Staat vergleichsweise günstig an frisches Geld. Das hat sich im vergangenen Jahr deutlich geändert. Der Staat muss für seine Kredite in Form von Anleihen deutlich mehr Geld zahlen. Nach Angaben von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) haben sich die Ausgaben allein des Bundes für Kreditzinsen innerhalb von zwei Jahren verzehnfacht: von rund 4 Milliarden Euro 2021 auf etwa 40 Milliarden Euro im laufenden Jahr. dpa/AB