Forschern gelingt Durchbruch: Kommt bald ein Universalimpfstoff gegen die Grippe?
2. Januar 2021
Der Grund dafür, dass die Grippeimpfung jedes Jahr neu angepasst werden muss, ist die hohe Wandelbarkeit der Influenza-Viren, von denen es drei Typen gibt (A, B und C). Sie verändern ständig die für ihre Erkennung durch das Immunsystem wichtigen Proteine.
Dies geschieht zum einen durch natürliche Mutationen, also Veränderungen im Erbgut der Erreger. Zudem können zwei Influenza-Viren, die dieselbe Zelle befallen, Teile ihres Erbgutes austauschen und sich so zu einem neuen Virus kombinieren, das dann der Immunabwehr entgeht. Schließlich springen Influenzaviren gelegentlich auch von Tieren (etwa von Vögeln oder Schweinen) auf den Menschen über, sodass völlig neue Virustypen entstehen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) versucht, diesen auf den Fersen zu bleiben und gibt regelmäßig Empfehlungen für neue Impfstoffe heraus, die gegen die jeweils grassierenden Virustypen wirken. Bereits im darauf folgenden Jahr können die Erreger jedoch ganz andere Eigenschaften haben. Deshalb ist alljährlich eine Auffrischung der Impfung vonnöten.
Virologen suchen schon lange nach einem „Universalimpfstoff“
Das ist nicht nur für Ärzte und Patienten beschwerlich, sondern belastet auch das Gesundheitssystem. Deshalb suchen Virologen schon lange nach einem „Universalimpfstoff“, der sich gegen unveränderliche Bestandteile der Erreger richtet und so eine dauerhafte Immunität gewährleistet – bislang jedoch ohne Erfolg.
Jetzt gelang US-Forschern ein großer Schritt nach vorn. Sie entwickelten ein neues Konzept für einen solchen Universalimpfstoff. Wie die Gruppe im Fachjournal „Nature Medicine“ berichtet, bestand er im Rahmen einer kleinen Studie jetzt einen ersten Test. Am häufigsten und am gefährlichsten ist das Influenza-Virus Typ A. Unser Immunsystem erkennt es anhand von zwei Biomolekülen namens Neuraminidase (abgekürzt: N) und Hämagglutinin (H), die auf der Oberfläche des Virus sitzen.
Warum sich kein Immungedächtnis bilden kann
Die heute vorhandenen Impfstoffe enthalten abgeschwächte oder inaktivierte Influenza-Viren, die entsprechend eine Reihe von Hämagglutininen tragen. Sie ragen aus der Virushülle heraus und bestehen aus zwei Untereinheiten, dem oberen „Kopf“ , der auf einem „Stiel“ sitzt. Ziel ist, im Immunsystem eine gegen den Kopf gerichtete Reaktion auszulösen. Doch ausgerechnet ein kleiner Teil dieser Struktur mutiert besonders häufig. Als Folge kann sich kein Immungedächtnis für den damit verbundenen Virenstamm ausbilden, sodass für folgende Grippesaison ein neuer, angepasster Impfstoff erforderlich ist.
Der darunter liegende Stiel ist weit weniger variabel. Frühere epidemiologische Studien hatten gezeigt, dass Menschen, die nach einer Infektion mit einem bestimmten Virusstamm Antikörper gegen dessen H-Stiel bildeten, gegen zahlreiche andere Stämme immun waren. Entsprechend ist auch der neue experimentelle Universalimpfstoff gegen den Stiel gerichtet.
„Die Studie zeigt erstmals, dass man eine Impfstrategie entwickeln kann, die Stiel-reaktive Antikörper bei Menschen erzeugt“, erklärt der Immunologe und Mitautor Florian Krammer von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York im Wissenschaftsjournal „Science“.
Den H-Stiel anzugreifen ist indes schwieriger als es klingt. Denn die lebenslang durch Grippeinfektionen gegen den stabilen Teil des H-Kopf gerichtete Immunantwort ist so stark, dass sie die Produktion von Antikörpern gegen den Stiel regelrecht überrollt. Manche Forscher entwarfen deshalb Impfstoffe, die nur den Stiel enthielten, um eine Immunreaktion dagegen zu provozieren. Doch dieser Teil des H-Moleküls erwies sich als äußerst instabil.
Mit einem Trick könnte das Problem gelöst sein
Krammer und seine Kollegen ersannen nun einen Trick, um das Problem zu lösen: Sie schufen künstliche H-Moleküle mit einem „echten“ Stiel, den sie jedoch mit einem neuartigen Kopf verbanden. Dieser ruft das Immungedächtnis nicht auf den Plan, so dass nur wenige dagegen gerichtete Antikörpern erzeugt werden. Dafür erfolgt eine starke Reaktion auf den Stiel, der durch die Bindung an den Kopf stabilisiert wird.
Für ihre Studie schufen die Autoren einen Impfstoff aus inaktivierten Erregern einer Untergruppe des Influenzavirus Typ A, die die künstliche Kopf-Stiel-Kombination trugen. Er wurde 51 Probanden injiziert, 15 Versuchspersonen erhielten ein Placebo. „Eine einzige Dosis brachte bemerkenswert hohe Konzentrationen von Antistiel-Antikörpern hervor“, resümieren die Forscher.
Allerdings handelt es sich um eine sogenannte Phase-1-Studie, bei der Verträglichkeit und Sicherheit des Impfstoffs sowie seine Fähigkeit untersucht werden, eine Immunreaktion auszulösen. Damit steht noch nicht fest, ob er auch vor einer Infektion mit Influenzaviren schützt. Tierversuche deuteten jedoch darauf hin, dass ein solcher Schutz besteht.
Enormer Gewinn für die globale Gesundheitsversorgung
Laut Krammer wird es mindestens zwei Jahre dauern, auf künstlichen H-Molekülen beruhende Vakzine gegen Influenzaviren der Typen A und B zu entwickeln, die sich zu einem Universalimpfstoff kombinieren lassen. Sie müssten dann in einer groß angelegten Studie zeigen, ob sie den saisonalen Vakzinen überlegen sind. Weitere Impfstoffe, die auf dem gleichen Prinzip beruhen, werden „Science“ zufolge ebenfalls erprobt, es lägen aber noch keine Daten dazu vor.
Würde eine solche Vakzine zur Marktreife gebracht, wäre der Gewinn für die globale Gesundheitsvorsorge enorm. Nach Angaben der WHO fordert die saisonale Grippe weltweit zwischen 290.000 und 650.000 Todesopfer pro Jahr. Aufgrund der hohen Mutationsrate der Erreger ergeben sich alle 10 bis 40 Jahre größere Veränderungen, was auch heute noch zu Pandemien führen kann. Betroffen wären besonders arme Länder, in denen viele Menschen auf engem Raum leben und die medizinische Versorgung schlecht ist.
Der schlimmste derartige Seuchenzug war die „Spanische Grippe“ von 1918, die durch einen ungewöhnlich virulenten Stamm des Influenzavirus verursacht wurde und schätzungsweise 20 bis 50 Millionen Menschen umbrachte. Mit einem Universalimpfstoff wäre die Gefahr solcher Pandemien endgültig gebannt.