Analyse – Umfragehoch Warum die AfD profitieren kann
2. Juni 2023Die Zufriedenheit mit der Bundesregierung fällt im DeutschlandTrend auf einen Tiefstwert. Die AfD legt zu. Der Dauerstreit in der Ampel dürfte ein Grund sein – aber auch die Union spielt eine Rolle.
Wer in diesen Tagen mit AfD-Abgeordneten im Bundestag spricht, blickt häufig in sehr zufriedene Gesichter. Vor allem, dass die Partei die Grünen in Umfragen inzwischen überholt hat, sorgt erkennbar für Genugtuung – gelten sie vielen in der AfD doch als Feindbild Nummer 1 und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck als verantwortlich für den von der AfD propagierten wirtschaftlichen Verfall des Landes.
Umso genüsslicher wird der offene Streit in der Ampelkoalition über Habecks Gebäudeenergiegesetz von der AfD ausgeschlachtet – ähnlich wie von den anderen Oppositionsparteien. „Streit dominiert diese sogenannte Ampel“, hält der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla in einem aktuellen Podcast der Partei fest. „Es ist wirklich eine Regierung, die man sich nicht schlimmer hätte vorstellen können.“
Deutschlandtrend: AfD erreicht neuen Höchstwert
Eine Regierung, von deren Zustand die AfD ganz offensichtlich immer stärker profitieren kann: Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend kommt die AfD bei der Sonntagsfrage auf 18 Prozent und liegt damit gleichauf mit der SPD an zweiter Stelle, hinter der Union mit 29 Prozent. Die Mehrheit der AfD-Anhänger gibt an, sich aktuell vor allem aus Distanz und Enttäuschung gegenüber den anderen Parteien für die AfD zu entscheiden.
Den Politikwissenschaftler Michael Koß von der Leuphana Universität Lüneburg überrascht das nicht. Er sieht diesen Effekt schon in der Koalition selbst veranlagt: „Das Kernproblem der Ampel ist, dass SPD, Grüne und FDP einfach wenige gemeinsame Inhalte haben. Wenn es dann kracht, wie wir es gerade erleben, kann die AfD hergehen und sagen: ‚Die etablierten Parteien weichen sowieso alle von ihren Forderungen ab und machen Murks‘ – und für die AfD geht es zumindest in den Umfragen wieder bergauf.“
Migration wichtigstes Thema für AfD-Anhänger
Tatsächlich kann die AfD schon seit einigen Monaten in Umfragen kontinuierlich zulegen. Doch nicht nur die anhaltende Inflation oder die hohen Energiepreise scheinen den Rechtspopulisten Auftrieb zu geben, sondern auch die wiederaufflammende Debatte zum Umgang mit Geflüchteten: Zwei Drittel der AfD-Anhänger begründen ihre Parteipräferenz im neuen ARD-Deutschlandtrend in erster Linie mit der Zuwanderung. Einwanderungskritische Haltungen haben damit für sie mit Abstand den größten Stellenwert.
Auf der Suche nach Erklärungen für die steigenden Umfragewerte der AfD verweisen Expertinnen und Experten aber nicht nur auf die streitende Ampelkoalition, sondern auch auf die Union. CDU und CSU verschieben die öffentliche Diskussion nach rechts, heißt es. Zum Beispiel, wenn sie – wie die AfD – den von der „Bild“-Zeitung geprägten Begriff „Heiz-Hammer“ für Habecks Gebäudeenergiegesetz übernehmen. Oder bei der geplanten Heizdatenerfassung zur kommunalen Wärmeplanung von einer „Energie-Stasi“ sprechen, so wie Thüringens CDU-Chef Mario Voigt.
„Union wandelt auf einem sehr schmalen Grat“
Für Politikwissenschaftler Koß wandelt die Union dabei auf einem sehr schmalen Grat: Einerseits gehöre eine solche rhetorische Zuspitzung zum oppositionellen Handwerk. „Auf der anderen Seite ist natürlich immer die Gefahr, dass man Wählerinnen und Wählern damit das Original schmackhaft macht. Und das Original ist bei allem rhetorischen Rabatz, den die Union schlägt, immer die AfD.“
Koß hinterfragt in diesem Zusammenhang jedoch auch die Strategie der FDP, die in der Ampel-Koalition zurzeit eher versuche, Dinge zu verhindern als eigene Projekte voranzutreiben: „Die FDP hat es zwar geschafft, sich so von der Fünf-Prozent-Hürde etwas wegzurobben, aber der Preis ist natürlich riesig.“ Die Liberalen müssten sich angesichts der steigenden Umfragewerte für die AfD überlegen, ob ihre eigenen Zugewinne nicht zu teuer erkauft seien, gibt der Politikwissenschaftler zu bedenken.
Umfragen sind noch keine Wahlergebnisse
Umfragen aber sind noch keine Wahlergebnisse, das wissen sie auch in der AfD. Auch wenn man angesichts hoher Werte von deutlich über 20 Prozent in Ostdeutschland schon offen von einer Regierungsbeteiligung auf Landesebene träumt – mangels möglicher Koalitionspartner ist das aktuell jedoch keine realistische Option.
Ob und wie weit die AfD vor allem in Westdeutschland noch in der Wählergunst zulegen kann, könnte auch vom weiteren Auftreten der Ampekoalition im Bund abhängen. In Hessen stand die AfD zuletzt bei 11 Prozent, in Bayern bei 12 Prozent. In beiden Ländern wird im Herbst gewählt. Das dürfte ein erster, wichtiger Test sein – jenseits aller Umfragen.