Vor Corona-Gipfel: Merkel will 15-Kilometer-Bewegungsradius für Bürger

5. Januar 2021 Aus Von mvp-web

13:47:04
Zwischen Bund und Ländern herrscht weitgehend Einigkeit über eine Fortsetzung des Lockdowns mindestens bis Ende Januar. Doch andere Fragen bleiben offen. Im Gespräch ist aktuell offenbar, den Bewegungsradius der Bürger einzuschränken. Kanzlerin Angela Merkel befürwortet solch eine Regelung.

Beginn der Beratungen über Lockdown-Verlängerung verzögert sich

13.33 Uhr: Der ursprünglich für 13.00 Uhr geplante Beginn des Gipfels verzögert sich weiter. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Länderkreisen. Zwar hatte sich vor der geplanten Schaltkonferenz von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten zuletzt bereits angedeutet, dass das öffentliche Leben wegen hoher Infektionszahlen noch nicht wieder hochgefahren und der Lockdown wohl um drei Wochen bis Ende Januar verlängert wird.

Kontrovers wurde indes die Frage diskutiert, ob es in Kreisen mit einer hohen Neuansteckungsrate Einschränkungen des erlaubten Bewegungsradius um den Wohnort geben soll. Laut „Bild“ soll es nun aber die Einigung geben, den Bewegungsradios in Hotspots ab einer Inzidenz von 200 auf 15 Kilometer zu begrenzen.

Merkel will Bewegungsradius einschränken

12.04 Uhr: Vor den Beratungen zur Verlängerung des Corona-Lockdowns haben Bund und Länder teilweise kontrovers über noch offene Fragen diskutiert. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen wurde am Dienstagvormittag unter anderem diskutiert, ob es in Kreisen mit einer hohen Neuansteckungsrate Einschränkungen des erlaubten Bewegungsradius um den Wohnort geben soll.

Es war aber noch offen, ob der Punkt wirklich in das Beschlusspapier aufgenommen wird. Eine Entscheidung sollte es erst in der Runde der Regierungschefs mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Nachmittag geben. Der ursprünglich für 11.00 Uhr geplante Auftakt wurde um zwei Stunden nach hinten geschoben.

Nach einem Bericht des Wirtschaftsmagazins „Business Insider“ soll Merkel den Vorschlag am Montagabend in einer Vorbesprechung unterbreitet haben. Zuvor hatte in einer weiteren Runde auch Viola Priesemann, Physikerin am Max-Planck-Institut, erklärt, dass es zur Senkung der Infektionszahlen „möglicherweise“ eine „Stay-at-home“-Anordnung beziehungsweise einen eingeschränkten maximal fünf Kilometer großen Bewegungsradius um den Wohnsitz brauche. Sinnvoll sei auch eine Reduktion der Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr auf 25 Prozent der Sitzplätze.

Eingeschränkte Bewegungsradien gibt es in Deutschland bisher nur in Sachsen, hier dürfen sich die Menschen maximal 15 Kilometer von ihrem Wohnort entfernen. Auch in Thüringen hatte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) eine entsprechende Regelung jüngst vorgeschlagen. Auch in anderen Ländern – darunter Frankreich – wurde die Praxis in der Vergangenheit bereits angewendet.

Videoschalte mit Drosten, Wieler und Priesemann

07.00 Uhr: Mehr als zwei Stunden hatten Wissenschaftler wie Charité-Virologe Christian Drosten und RKI-Chef Lothar Wieler am Montag in einer geheimen Videoschalte die Kanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten beraten.

Wie die „Bild“-Zeitung berichtet, sollen an der „Anhörung der Wissenschaft“ rund 60 Politiker und Regierungsmitglieder teilgenommen haben. Der Grund: Merkel wollte vor den heutigen Beratungen von Bund und Ländern über eine Lockdown-Verlängerung die Wissenschaft zu Wort kommen lassen.

Offenbar fanden die Experten Gehör bei der Bundeskanzlerin. Wie „Business Insider“ berichtet wurde der Beginn des Corona-Gipfels von 11 auf 13 Uhr nach hinten verlegt. Grund dafür soll ein Vorschlag aus dem Kanzleramt sein, den Bewegungsradius der Deutschen in Regionen mit hoher Inzidenz weiter einzuschränken.

Priesemann für Bewegungsradius von 5 Kilometern

Damit folgt Merkel den Empfehlungen der Wissenschaftler, die es absolut in sich haben. Viola Priesemann, Physikerin am Max-Planck-Institut, pochte in dem Treffen auf niedrigere Fallzahlen. Um das zu erreichen, sprach sich Priesemann für eine „Stay-at-home“-Anordnung durch die Regierung und einen Bewegungsradius für Bürger von nur 5 Kilometer aus.

In der Diskussion ist offenbar auch ein 15-Kilometer-Radius, der in Landkreise und Städten gelten soll, die eine 7-Tage-Inzidenz von mehr als 100 aufweisen. Das wäre aktuell ein Großteil der Kreise. Demnach dürften Bürger sich dann in einem Hotspot nicht mehr weiter als 15 Kilometer von ihrem Wohnort bewegen. Laut „Bild“ wird über den Vorschlag, der in Sachsen teils schon gilt, heute diskutiert werden.

RKI-Chef Wieler ordnete laut „Bild“ die neuesten Daten ein. Zwar seien die Fallzahlen momentan auf einem geringeren Niveau; aber Entwarnung könne er nicht geben. Denn zuletzt sei viel weniger getestet worden, 500.000 Tests weniger als in der Vorwoche seien durchgeführt worden, soll Wieler den Politikern erklärt haben. Er rechne erst um den 17. Januar damit, dass die Corona-Zahlen wieder voll aussagekräftig sind.

Michael Meyer-Hermann, Leiter der Abteilung für System-Immunologie am Helmholtz-Institut Braunschweig, rechnete eher mit Februar, dass es wieder 7-Tage-Inzidenzen von 50 gibt. Meyer-Hermann forderte gegenüber der Politik jedoch deutlich härtere Maßnahmen: „Eine Ziel-Inzidenz von 10 ist ein Wert, auf den wir zusteuern sollten.“ Virologe Drosten warnte indes während der Videokonferenz vor der Virusmutation aus England. Dieses mutierte Virus müsse man „ernst nehmen“, soll Drosten gesagt haben.

Zwei Streitpunkte vor Corona-Gipfel

Während über eine Verlängerung des Lockdowns weitgehend Einigkeit herrscht zwischen Bund und Ländern, dürften zwei Punkte in der Runde wahrscheinlich für Diskussionen sorgen:

Schulen

Die Kultusminister hatten am Montag beschlossen, dass eine Wiederaufnahme des Schulbetriebs in Stufen möglich ist – „sollte es die Situation in den einzelnen Ländern zulassen“. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer spricht sich unterdessen für einen vorsichtigen Kurs aus. „Ich wünsche mir, dass wir in den Schulen und in den Kitas keine oder so wenig Präsenz wie möglich haben“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Wenn die Grundlage für alle Bundesländer ist, Präsenzunterricht so weit es irgendwie möglich ist zu vermeiden, kann das ein guter Weg sein. Das wäre ein ganz, ganz wichtiges Signal.“

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, kritisierte die Pläne der Kultusminister und forderte die Ministerpräsidenten zu Nachbesserungen auf. „Die Kultusminister haben zwar einen Stufenplan vorgelegt – aber sie haben es versäumt, ihn mit Angaben zu versehen, ab welchem Inzidenzwert welche Stufe greift“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstag).

Der Wirtschaftsrat der CDU dringt dagegen auf eine baldige Öffnung von Kitas und Schulen. „Die Schul- und Kita-Schließungen fortzusetzen und andere härtere Maßnahmen zu beschließen kommt mir eher als Ersatzhandlung vor“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). Kinder in Schulen, Arbeitnehmer an Arbeitsplätzen und Kunden in Geschäften mit eingespielten Hygienekonzepten seien immer noch sicherer aufgehoben als Senioren in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Es brauche deshalb eine langfristige Strategie, „um einen dauerhaften Lockdown bis Ostern zu verhindern“.Surftipp: Alle Neuigkeiten zur Corona-Impfung finden Sie im News-Ticker von FOCUS Online

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, forderte angesichts der sich abzeichnenden weiteren Schulschließungen einen Corona-Sonderurlaub zur Kinderbetreuung. „Es ist Eltern nicht zuzumuten, jetzt schon ihren Jahresurlaub zur Betreuung der Kinder zu nehmen, der dann in den Ferien fehlt“, sagte Schneider dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Dienstag). Bereits im Dezember habe die Ministerpräsidentenkonferenz neue Möglichkeiten versprochen, für die Betreuung von Kindern bezahlten Urlaub zu nehmen. Eine neue gesetzliche Regelung hätten CDU und CSU dann aber verhindert.

Peter Weiß, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, wies den Vorwurf zurück. „Wir haben im Infektionsschutzgesetz geregelt, dass bei einer Schließung von Schulen und Kitas Eltern zu Hause bleiben können, wenn es keine Notbetreuung für ihre Kinder gibt. Der Arbeitgeber kann den Lohn dann über den Staat refinanziert erhalten“, sagte er der „Welt“ (Dienstag). Diese Regelung sei ausreichend.

Impfungen

Vor allem an mangelnder Impfstoffbeschaffung gibt es seit Tagen Kritik – auch aus der SPD. CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer hat diese zurückgewiesen. Zwar gebe es berechtigte Fragen und auch Verbesserungsbedarf in den Abläufen. Die SPD-Kritik sei aber „der billige Versuch, inmitten der Pandemie Wahlkampf zu machen“. Die Entscheidungen seien von der Bundesregierung aus Union und SPD zusammen getroffen worden, entweder gemeinsam im Corona-Kabinett oder im Bundeskabinett. „Mir scheint die SPD da mehr mit dem Kampf um eigene Umfragewerte beschäftigt zu sein als mit dem Kampf gegen die Pandemie. Das spricht für sich.“Surftipp: Alle Neuigkeiten zur Corona-Pandemie finden Sie im News-Ticker von FOCUS Online

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) warf der SPD ebenfalls parteipolitische Profilierungsversuche im Superwahljahr vor und warnte vor einer Aufkündigung des überparteilichen Zusammenhalts in der Corona-Krise. „Deutschland hat sich in dieser Pandemie von anderen Ländern unterschieden, indem die Krise nicht parteipolitisch aufgeladen wurde. Das hat nur ein Akteur gemacht – die AfD“, sagte Kretschmer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Alle anderen Parteien hätten zusammengehalten. „Diesen Pfad sollte die SPD jetzt nicht verlassen.“

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wies Kritik an der Impfstoffbeschaffung erneut zurück. „Zuerst einmal ist es weiterhin aus meiner Sicht richtig, diesen europäischen Weg gegangen zu sein und zu gehen“, sagte der CDU-Politiker am Montagabend im ZDF-„heute journal“. Man habe von Anfang an auf mehrere Hersteller gesetzt, da nicht klar gewesen sei, wer als Erstes ans Ziel komme. Weiter bekräftigte Spahn: „Das Ziel ist tatsächlich, dass wir bis zum Sommer jedem ein Impfangebot in Deutschland machen können.“

Das Bundesgesundheitsministerium listet in einer der dpa vorliegenden Aufstellung vom 3. Januar mehrere aktuelle Projekte rund um die Zulassung von Covid-19-Impfstoffen auf. Unter anderem geht es dabei um die Entnahme von sechs statt bisher fünf Dosen aus einem Fläschchen der Firma Biontech. Dazu gebe es einen offiziellen Antrag. Außerdem strebe Biontech eine Verdopplung seiner Produktionskapazität an. Und es solle geprüft werden, ob es möglich ist, den zeitlichen Abstand zwischen erster und zweiter Impfung zu vergrößern.