Analyse – Klimaschutzgesetz ohne Sektorziele Warum Habeck mit seinen Klimaplänen hadert
21. Juni 2023Das Klimaschutzgesetz soll nach dreieinhalb Jahren verändert werden. Entschärft, sagen Umweltverbände und Grüne. Flexibilisiert, sagen Wirtschaftsforscher und die FDP. Was heißt das für Deutschlands Klimaziele?
Wenn Politiker eine Reform ankündigen, beschwören sie normalerweise die Vorteile, die sie damit verbunden sehen. Vor einer Woche klang das aber ganz anders – als Wirtschaftsminister Robert Habeck die Reform des Klimaschutzgesetzes verkündete: „Da war jetzt keine große Begeisterung, weder auf meiner Seite noch auf Seiten der Grünen.“ Aber es sei eben Teil eines Aushandlungsprozesses gewesen, so der Grünen-Politiker.
Keine Frage: Die Grünen hätten das Klimaschutzgesetz gerne gelassen, wie es ist. 2019 wurde es auf Drängen der SPD von der Großen Koalition eingeführt. Es macht genaue Vorgaben, wie viel Treibhausgase in einzelnen Sektoren wie Industrie, Verkehr oder Gebäuden pro Jahr eingespart werden müssen. Mit der Reform der Ampelkoalition soll zukünftig die zulässige Gesamtmenge an klimaschädlichen Emissionen entscheidend sein – was eine flexiblere Handhabung ermöglichen soll.
Wenn etwa im Verkehr zu viele Treibhausgase ausgestoßen werden, kann das durch verstärkte Einsparungen etwa in der Industrie ausgeglichen werden. Die Vorgaben für die zulässige Gesamtmenge bleiben aber unverändert.
Weniger Druck auf Ministerien
Zuletzt waren beim Heizen und vor allem im Verkehr die CO2-Einsparziele verfehlt worden. Nach der bisherigen Gesetzeslage müssten die zuständigen Ministerien bis Mitte kommenden Monats Sofortprogramme vorlegen. Mit Maßnahmen, um die Lücken möglichst schnell zu schließen. Diese Sofortprogramme würden mit der Gesetzesreform jetzt entfallen. Und das ist vor allem im Interesse von Verkehrsminister Volker Wissing. „Wir können diese CO2-Emissionen nicht beliebig kurzfristig reduzieren, weil wir mobil sein müssen“, sagte der FDP-Politiker kürzlich im SWR-Interview. „Insofern haben wir im Mobilitätsbereich ein Problem.“
Wissing betont gerne, dass er auf die langfristige Wirkung des technologischen Wandels im Autoverkehr setzt. Weg vom Verbrenner, hin zu Elektroautos, die mit grünem Strom angetrieben werden. Bis sich dies signifikant bei der CO2-Bilanz des Verkehrs bemerkbar mache, brauche es schlichtweg noch einige Jahre. CO2-Einsparungen in anderen Sektoren seien vorläufig leichter zu erreichen. Kritiker dagegen werfen Wissing eine Blockadehaltung vor.
Wie können die Klimaziele erreicht werden?
Bei der Diskussion um das Klimaschutzgesetz treffen zwei Denkansätze aufeinander. Dabei geht es um die Frage, wie das selbstgesteckte deutsche Ziel am besten erreicht werden kann, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent zu reduzieren.
Auf der einen Seite sind Umweltverbände und eigentlich auch die Grünen, die auf jahresgenaue, verpflichtende Vorgaben setzen, weil die CO2-Einsparung ihrer Einschätzung nach sonst nicht gelingen. Die Reform verwässere dies, kritisiert Martin Kaiser von Greenpeace Deutschland. „Unsere Hauptkritik ist, dass damit die rechtliche Verbindlichkeit für die einzelnen Sektoren ausgehebelt wird. Und im wesentlichen Herr Wissing für seine Verkehrspolitik eine Lizenz zum Nichtstun bekommt.“
Nach Ansicht Kaisers braucht es „sehr spezifische Sofortmaßnahmen“, die verpflichtend eingeführt und umgesetzt werden müssen. „Ansonsten werden wir nicht die Transformation in den nächsten sieben Jahren hinbekommen, die ja das Klimaschutzgesetz vorgeschrieben hat.“
Langfristiger Umstieg statt Sofortprogramme
Vertreter und Vertreterinnen des zweiten Denkansatzes machen die Kosten-Nutzen-Rechnung auf. Sie betonen, dass jahresgenaue Sektorziele zu Aktionismus und ineffizienten Maßnahmen führen können, die hohe Kosten verursachen, aber wenig Nutzen bringen. Es müsse weniger um Sofortprogramme als um den langfristigen technischen Umstieg gehen.
Wirtschaftsforscherin Karen Pittel vom ifo Institut München argumentiert, dass Klimaschutzmaßnahmen nach ihrer Einführung mitunter erst mal nur langsam Wirkung zeigten, sich dann aber sehr schnell entwickelten: „Wenn ich schon nach einem Jahr nachsteuere, laufe ich Gefahr, dass ich in ein System eingreife, das an sich funktioniert – und dann mehr Schaden als Gutes anrichte.“
Als Beispiel nennt Pittel den geplanten Umstieg auf grünen Wasserstoff in der Stahl- oder Zementindustrie. „Im Moment muss der Markt erst hochlaufen. Dann kann es aber sehr schnell gehen. Und das spiegelt sich eben nicht über die vorgegebenen Jahresemissionsmengen wider.“
Mehr Flexibilität
Mit der geplanten Reform des Klimaschutzgesetzes folgt die Ampel nun eher dem zweiten Denkansatz, der auch in anderen Ländern mit Klimaschutzgesetzen die Regel ist. So formulieren die Gesetze in Großbritannien, Finnland oder Schweden zwar, welche Gesamteinsparungen beispielweise bis 2030 oder 2050 erreicht werden sollen, lassen auf dem Weg dahin aber viel Flexibilität. Jahresgenaue, gesetzlich verbindliche Sektorziele sind nicht üblich.
Allerdings stehen alle Staaten vor der gleichen Herausforderung: Wie können die konkreten Ziele tatsächlich erreicht werden und welche Maßnahmen tragen dazu bei, um die Zielzahlen zu erfüllen?
28 Seiten Klimaschutz
Wirtschaftsminister Habeck verweist auf den Entwurf für das neue Klimaschutzprogramm, das ebenfalls nun im Bundeskabinett verabschiedet werden soll. Auf 28 Seiten fasst es die beschlossenen oder geplanten Maßnahmen für die verschiedenen Sektoren zusammen. Vom deutlich beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien über die Ladesäuleninfrastruktur bis zur klimagerechten Tierhaltung. Vieles davon ist längst beschlossen. Neu hinzu kommen absehbar das umstrittene Gebäudeenergiegesetz und auch ein CO2-Aufschlag auf die Lkw-Maut, was die Klimabilanz im Verkehrssektor verbessern soll.
Habeck spricht davon, dass mit den Maßnahmen, die von der Großen Koalition geerbte „Klimalücke“ zu 70 oder bis zu 80 Prozent geschlossen werden kann. „Durch die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, ist die Lücke zwar nicht null geworden“, so Habeck. „Aber erstmalig ist es möglich geworden, die Klimaschutzziele einzuhalten.“
Beispiel Heizungsgesetz
Allerdings tut sich Habecks Wirtschaftsministerium auf Nachfrage schwer damit, diese Prognose des Ministers zu belegen. Es werde noch gerechnet und gebe zum Teil nur Schätzungen, heißt es. Denn bislang kann nicht konkret vorhergesagt werden, wie sich beispielsweise der CO2-Aufschlag auf die Lkw-Maut oder das Heizungsgesetz am Ende auf die CO2-Bilanz auswirken werden. Zumal beide Gesetze erst noch im Bundestag ihren Feinschliff bekommen müssen.
Das ist ein Grunddilemma aller Klimaschutzgesetze: Es lassen sich zwar Modellrechnungen für die Zukunft erstellen. Aber wirklich vorhersagen lässt sich die Entwicklung nicht. Und die Koalition hat in den vergangenen Wochen beim Heizungsgesetz erfahren müssen, wie kontrovers es sein kann, Zielzahlen in reale Politik zu übersetzen. Vielen Menschen dürfte die eigene Heizung im Keller näher sein als Zahlenkolonnen im Klimaschutzgesetz.
Koalitionsintern ist auch bei der Kanzlerpartei SPD die Lust gering, im Hauruckverfahren alsbald tiefgreifende Maßnahmen etwa für den Straßenverkehr zu erlassen. Obwohl der Verkehrssektor mit Abstand die größte Klimalücke vorweist. So wird das neue Klimaschutzgesetz zwar mehr Raum für Pragmatismus lassen – aber konkrete CO2-Einsparungen ersetzt es nicht.