analyse – Ampelkoalition Eine schrecklich nette Familie
8. Juli 2023Die Ampelkoalition steht derzeit für eines: jede Menge Streit. Dabei bekommen die drei Regierungspartner viele Gesetze auch ziemlich geräuschlos hin.
SPD-Chef Lars Klingbeil schwang sich Mitte dieser Woche noch beim SPD-Fraktionsfest im warmen Abendlicht zum Scherzen auf: „Ich habe eine Idee für den Sommer, liebe Britta und lieber Christian: Wir überlassen ihn der Union, sich um ihren Kanzlerkandidaten zu streiten – und wir sind einfach mal ein bisschen ruhiger und genießen.“
Angesprochen waren die beiden geladenen Ampel-Fraktionschefs von Grünen und FDP, Britta Hasselmann und Christian Dürr – eine Anspielung auf das geräuschvolle erste Halbjahr 2023, in dem mitunter der Eindruck aufkam, die Koalition rede viel übereinander, aber wenig miteinander.
Hausgemachte Krise
Dass es zumindest beim Heizungsgesetz ein ruhiger Sommer werden würde, diese Hoffnung währte dann genau noch etwa zwei Stunden: Bis zum spätabends verbreiteten Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes, dem Eilantrag eines CDU-Abgeordneten stattzugeben – und die abschließende Lesung des Gesetzentwurfs deswegen zu verschieben.
Begründung: Die Sorge des Oppositions-Abgeordneten, zu wenig Zeit zu haben für intensive Befassung mit der mehrfach geänderten Gesetzesvorlage, treffe möglicherweise zu. Die eigentliche Entscheidung steht zwar noch aus, aber die Ampelkoalition musste tags darauf reagieren und verschob die abschließende Lesung des Gesetzes auf nach der Sommerpause.
Die selbsternannte Fortschrittskoalition steckt zweifellos in einer weitestgehend hausgemachten Krise, in der das Heizungsgesetz eine zentrale, symbolhafte Rolle spielt. Und das, obwohl viele Projekte und Gesetzesvorhaben auch in diesem Halbjahr durchaus streitfrei über die Bühne gingen, sei es das Fachkräftezuwanderungsgesetz, das Kartellrecht, das stark nachgefragte 49-Euro-Ticket – oder die neue Lkw-Maut, die dazu taugt, klimaschädliche Emissionen im Güterverkehr einzusparen.
Es ist das Paradox des mutmaßlich schwierigsten Halbjahres dieser immer noch neuartigen Dreier-Koalition aus SPD, Grünen und FDP: Die Bilanz ist nicht schlecht, doch das merkt eigentlich keiner, weil die lauten Streitthemen alles überlagern.
Christian Lindner und Robert Habeck lagen zuletzt öfter über Kreuz.
Eher Zweckgemeinschaft als Familie
Da mag Scholz im ARD-Sommerinterview gerade eben noch von der „Familie aus drei Parteien“ gesprochen haben, intern heißt es jedoch schon lange „reines Zweckbündnis“. Mit allen damit verbundenen Kompliziertheiten. Manche räumen ein, dass hier alle beteiligten Parteien Fehler gemacht haben. Gern aber zeigt man auch ampelintern auf den jeweils anderen, der Schuld habe am derzeitigen Profil der Koalition, das sich irgendwo zwischen Streithaufen und unausgegorener Last-Minute-Politik bewegt.
Es ist damit weit entfernt von ihrem Anspruch, nach den hektischen pandemiepolitischen Jahren „das Parlament als Ort der Debatte und Gesetzgebung zu stärken“.
Wie viel „Einigungswille“ ist da?
Zu den Ampel-Tiefpunkten dieses Halbjahres gehört die Genese des Heizungsgesetzes. Ein erster noch nicht abgestimmter Ressort-Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) wurde im Frühjahr öffentlich. Der GEG-Entwurf sei „bewusst geleakt worden“, mutmaßte Minister Robert Habeck in den tagesthemen. Und zwar „um des billigen taktischen Vorteils willen“. Das habe die Einigung erschwert und Vertrauen in die Regierung zerstört. Er sei deswegen „ein bisschen alarmiert, ob überhaupt Einigungswille da ist“. Seine Kritik richtete sich an die eigenen Koalitionspartner.
In dem wochenlangen Streit über das Gesetzesvorhaben kam eine Botschaft viel zu kurz: Dass man Gutes vorhabe – für den Geldbeutel der Menschen und für das Klima. Die Koalition schaffte es nicht, eine notwendige und legitime Debatte über den richtigen Weg zum Ziel der Klimaneutralität schlicht als solche darzustellen.
Schließlich bildet die Koalition über ihre drei sehr unterschiedlichen Parteien eine große gesellschaftliche Bandbreite politischer Haltungen ab – und könnte mit sachlichem Diskurs zeigen, wie Kompromisse erreicht werden können. Das war ihre historische Chance zu Beginn des Ampel-Experiments. Bisher hat sie die nicht nutzen können – die Zahl der mit der Regierung deutlich Unzufriedenen steigt im Deutschlandtrend stetig an.
Während die SPD-geführten Ministerien vergleichsweise geräuschlos agieren, hat auch die FDP ihren Anteil an der verheerenden Außenwirkung der Ampel, indem sie gern mal die koalitionsinterne Oppositionsrolle einnimmt: „Wir sind uns in der FDP sehr einig, dass das Heizungsverbotsgesetz von Robert Habeck so nicht kommen darf“, twitterte der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler Ende Mai – eine von der FDP-Fraktionsspitze offen tolerierte Wortwahl. Loyalität sieht anders aus. Nach der Vollbremsung des Verfassungsgerichtes zur GEG-Novelle zeigte sich die FDP unverhohlen erfreut über die Vertagung des Gesetzes, obwohl sie im Koalitionsausschuss einen anderen, schnelleren Zeitplan mitbeschlossen hatte.
Man schreibt sich Briefe – öffentlich
In diesem Halbjahr zeigte die Ampel eine bemerkenswerte Kommunikation: der sicher nicht zufällig öffentlich gewordene Briefwechsel zwischen Vizekanzler Habeck und dem FDP-Finanzminister Christian Lindner über Haushaltsstreitigkeiten – oder das Schreiben des Kanzlers zur Kindergrundsicherung, um die beiden Kleineren beim Zwist über das sozialpolitische Reformvorhaben zu einen. Klar ist: Die Rollenverteilung der SPD als Erwachsener in der Runde, während Grüne und FDP eher im Sandkasten raufen – sie funktioniert erkennbar nicht. Nicht wenige hoffen auf einen Neustart, nicht wenige sind genervt von diesem zähen, brüchigen Miteinander: „Das geht so nicht weiter!“ hört man oft.
Aber wie dann? In jedem Fall müsse man geräuschärmer werden und „mit weniger Schaum vor dem Mund, das wissen alle“, sagt Habeck am Ende dieser bemerkenswerten politischen Woche am Rande des Bundesrates, bevor die parlamentarisch Sommerpause nun beginnt. „Künftig besser zu werden, heißt für die Koalition ein Blick zurück auf ihr eigentliches Programm“, urteilt der Politologe Thorsten Faas im Gespräch mit tagesschau.de: „Nicht so viel über Verteilung, Steuern und Finanzen reden – sondern die gesellschaftliche Modernisierung voran bringen“.
Da habe die Ampelkoalition schon einiges erreicht, was allerdings völlig untergegangen sei: „Da können sie sich immer wieder finden und zusammenraufen.“