Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe 2020 für verfassungswidrig erklärt. Im Bundestag standen zwei Vorschläge zur Neuregelung der Suizidbeihilfe zur Abstimmung. Keiner der Entwürfe fand eine Mehrheit.
Nachdem in einer ersten Abstimmung der Vorschlag der Abgeordneten um den SPD-Politiker Lars Castellucci und Ansgar Heveling (CDU) gescheitert war, lehnten die Parlamentarier in einer zweiten Abstimmung auch den Vorschlag einer Abgeordnetengruppe um Renate Künast (Grüne) und Katrin Helling-Plahr (FDP) ab. Damit bleibt der rechtliche Rahmen für die Sterbehilfe weiter uneindeutig. Hintergrund für die Initiativen war ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020, das ein seit 2015 bestehendes Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe im Strafgesetzbuch gekippt hatte.
Aktive, passive und indirekte Sterbehilfe – was heißt das?
Sterbehilfe kann vieles sein: aktiv, passiv oder indirekt. Was steckt hinter diesen Begriffen und was ist strafbar?
Sterbehilfe ist in Deutschland ein umstrittenes Thema. Juristen unterscheiden zwischen assistiertem Suizid sowie aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe. Doch was bedeutet das und was ist erlaubt und was strafbar?
von Natascha Geier, Melanie Thun
Bis Ende Februar 2020 war der assistierte Suizid in Deutschland strafbar. Ein Gesetz verbot seit 2015 „die geschäftsmäßige Sterbehilfe“. Dagegen hatten Betroffene, Sterbehilfe-Vereine und Ärzte geklagt. Im Februar 2020 erklärte das Bundesverfassungsgerichts das Verbot, die Selbsttötung „geschäftsmäßig zu fördern“ für verfassungswidrig und hob ein entsprechendes Strafgesetz auf. Der Gesetzgeber muss die Sterbehilfe neu regeln. Zwei Initiativen für eine Neuregelung scheiterten im Juli jedoch im Bundestag.
Assistierter Suizid: Nach dem Urteil in einer Grauzone
Beihilfe zum Suizid heißt, dass bei der Selbsttötung geholfen wird. Zum Beispiel, indem ein tödliches Mittel beschafft oder bereitgestellt wird. Ein entscheidendes Kennzeichen in Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe ist, dass der Patient das Medikament selbst einnimmt. Das Gericht forderte in Zusammenhang mit der Aufhebung des Verbots die Politik auf, dass die Sterbehilfe gesetzlich neu geregelt werden muss. Passiert ist aber bislang nichts. Daher finden assistierte Suizide derzeit immer noch in einer rechtlichen Grauzone statt.
Im Jahr 2021 haben Sterbehilfeorganisation laut der „Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben“, „Dignitas Deutschland“ und „Sterbehilfe Deutschland“ in fast 350 Fällen Suizide begleitet oder Assistenz für die Selbsttötung vermittelt.
Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten
Im Gegensatz zum assistierten Suizid verabreicht bei der aktiven Sterbehilfe jemand anderes dem Patienten ein tödlich wirkendes Mittel. Diese Art der Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Nur in den Niederlanden, in Luxemburg, in Spanien und Belgien ist dies legal.
Passive und indirekte Sterbehilfe sind in Deutschland erlaubt
Als passive Sterbehilfe wird der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen bezeichnet. Dazu zählt zum Beispiel der Verzicht auf Ernährung, Bluttransfusion oder Beatmung.
Bei der indirekten Sterbehilfe geht es vor allem um Schmerzlinderung. Wenn der Patient in dem Zusammenhang Medikamente bekommt, die zur Folge haben, dass er früher verstirbt, ist das in Deutschland erlaubt und wird indirekte Sterbehilfe genannt.
Staat muss erst einmal kein Medikament zur Verfügung stellen
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen wies im Februar 2022 die Klagen von drei Personen ab, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn verpflichten wollte, ihnen ein tödliches Medikament zur Verfügung zu stellen. Der Staat muss schwerstkranken Menschen dem Urteil zufolge nicht den Zugang zu einem Suizid-Mittel verschaffen. Das Gericht verwies aber darauf, dass die Politik auch hier den gesetzlichen Rahmen neu regeln müsse. Bis dahin könnten schwerkranke Menschen Ärzte aufsuchen, die ihnen bei einem Suizid helfen.
Ein Gespräch mit dem Rechtswissenschaftler Gunnar Duttge über das Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster.
Bundesverfassungsgericht bestimmt 2020 ein Recht auf Selbstbestimmtes Sterben
Gemeinsam mit der „Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben“ kämpfte Hans-Jürgen Brennecke jahrelang für ein neues Sterbehilfegesetz. Mit der Diagnose Burkitt-Lymphom, das zu den am schnellsten wachsenden Tumorarten des Menschen gehört, unterzog er sich mehrerer Chemotherapien, die er sehr schlecht vertrug. Er musste künstlich ernährt werden, es kommt zum Atemstillstand. Außerdem leidet er auch nach den Therapien unter dauerhaft geschädigten Nerven in Händen und Füßen. Er beschließt, dass, sollte der Krebs zurückkommen, er es nicht noch einmal durchmachen möchte. In diesem Fall will er freiwillig aus dem Leben scheiden – mit ärztlicher Hilfe. Doch damals war die Beihilfe zum Suizid in Deutschland noch strafbar. Deshalb reichte er Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Im Februar 2020 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass „das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“.
Assistierte Suizide weiter in rechtlicher Grauzone
Der assistierte Suizid befindet sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in einer rechtlichen Grauzone. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließe auch die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und auf freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen, argumentierte das Bundesverfassungsgericht 2020. Doch für Ärztinnen und Ärzte gibt es keinen klaren Rechtsrahmen für die Bereitstellung eines todbringenden Mittels. Beide Gesetzesinitiativen wollten deshalb unter anderem im Betäubungsmittelgesetz ausdrücklich festschreiben, dass die Abgabe todbringender Medikamente auch zum Zweck der Selbsttötung zulässig ist. Die Berufsordnungen der Ärzte unterscheiden sich in diesem Punkt von Bundesland zu Bundesland.
Neuregelung der Sterbehilfe gescheitert: Was bedeutet das für Palliativmediziner?
Der Bundestag hat die beiden vorgelegten Gesetzentwürfe jeweils mehrheitlich abgelehnt – damit bleibt die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid weiter möglich.
Die Bundesärztekammer (BÄK) sieht in dem Scheitern der beiden Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz im Bundestag dennoch eine richtige Weichenstellung. „Nun haben wir Zeit für die noch nicht ausreichend geführte gesamtgesellschaftliche Debatte“, sagte Präsident Klaus Reinhardt am Donnerstag in Berlin. Man dürfe nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun. „Wir brauchen zunächst einmal ein umfassendes Gesetz zur Vorbeugung von Suiziden“, unterstrich der Mediziner. Der Bundestag habe dafür mit dem heute angenommenen Entschließungsantrag zur besseren Prävention die entscheidenden Weichen gestellt. Nach dem Suizidpräventionsgesetz sei eine gesetzliche Regelung zur Suizidhilfe dann der zweite Schritt. „Wir wollen gern dazu beitragen, dafür bessere Lösungen zu finden, als sie die bisher vorgelegten Gesetzentwürfe gebracht hätten“, sagte Reinhardt.
Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe gescheitert: „Keine Katastrophe“
Bei der Abstimmung im Bundestag fanden die beiden Vorschläge keine Mehrheit. Ein Gespräch mit Helmut Frister vom Deutschen Ethikrat.
Zwei Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidbeihilfe fanden am Donnerstag im Bundestag keine Mehrheit. Ein Gespräch mit Professor Helmut Frister vom Deutschen Ethikrat.
In einem Grundsatzurteil hat das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ausdrücklich anerkannt. Dieses Recht, sich selbst zu töten, umfasst auch die Freiheit, sich dafür Hilfe zu holen bei Dritten. Doch welche Regeln sollen für die Sterbehilfe gelten? Darüber wollte der Bundestag eine ausgewogene Lösung finden, die einerseits die Autonomie des Einzelnen gewährleistet und andererseits das Leben schützt. Es war eine Gewissensentscheidung wie zuletzt die Abstimmung über die allgemeine Impfpflicht – also nicht entlang von Parteigrenzen und ohne Fraktionsdisziplin. Zwei Vorschläge standen zur Abstimmung: begrenzte Straffreiheit und generelle Straffreiheit. Doch beide Entwürfe haben im Bundestag keine Mehrheiten gefunden. Das heißt: Hilfe bei der Selbsttötung wird in Deutschland weiterhin nicht gesetzlich geregelt.
Herr Frister, nun hatte der Ethikrat ausdrücklich und ganz bewusst keine Empfehlung für die eine oder andere Option abgegeben und die Gesetzesvorlagen nicht bewertet. Aber jetzt, da abgestimmt wurde: Wie bewerten Sie diese Nicht-Entscheidung?
Helmut Frister: Ich bin nicht glücklich über diese Entscheidung, obwohl ich sie ehrlich gesagt so erwartet hatte. Das war irgendwie absehbar. Meines Erachtens wäre es schon gut gewesen, eine gesetzliche Regelung zu haben, aber es ist keine Katastrophe, dass wir keine haben. Es ist auch nicht sinnvoll, auf eine neue gesetzliche Regelung zu warten, sondern man muss mit der geltenden Rechtslage leben. Diese geltende Rechtslage ist dadurch charakterisiert, dass Hilfe zum Suizid grundsätzlich erlaubt ist – und zwar sowohl strafrechtlich als auch berufsrechtlich für die Ärzte. Voraussetzung ist aber, dass die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung sorgfältig überprüft wird.
Neuregelung von Sterbehilfe-Gesetz gescheitert: Wie geht’s weiter?
Beide Vorschläge für eine Gesetzesreform erhielten im Bundestag überraschend keine Mehrheit. Das Bundesverfassungsgericht hatte eine Neuregelung gefordert.
Hilfe bei der Selbsttötung bleibt also in Deutschland grundsätzlich erlaubt, birgt aber teilweise weiterhin rechtliche Unsicherheiten. Was heißt das für Sterbewillige?
Frister: Für Sterbewillige besteht das praktische Problem vor allem darin, einen Arzt zu finden, der Hilfe zur Selbsttötung leistet, weil die meisten Ärzte dem doch eher ablehnend gegenüberstehen. Selbstverständlich kann niemand, auch kein Arzt, dazu verpflichtet werden, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Das ist aber ein Problem, dem auch die Gesetzentwürfe nicht beziehungsweise nur auf relativ schwierigen Wegen hätten abhelfen können. Das ist das faktische Problem, was wir haben. Aber rechtlich ist es derzeit erlaubt, und zwar auch Ärzten.
Also ist kein Arzt oder keine Ärztin gezwungen, Sterbehilfe zu leisten – das kann jeder oder jede frei entscheiden, richtig?
Frister: Ja, so ist es.
Zwei Gesetzesinitiativen zur Abstimmung
Der Vorschlag einer Abgeordnetengruppe um Renate Künast und Katrin Helling-Plahr zielte darauf, dass Ärztinnen und Ärzte Arzneimittel zur Selbsttötung grundsätzlich unter Voraussetzungen verschreiben dürfen. 375 von 682 Abgeordneten votierten bei der Abstimmung im Bundestag dagegen. Der andere Vorschlag einer Gruppe um Lars Castellucci sieht eine grundsätzliche Strafbarkeit vor, aber mit geregelten Ausnahmen. Dieser Vorschlag erhielt am Donnerstagmorgen keine Mehrheit im Parlament: 363 von 690 abgegebenen Stimmen votierten gegen den Entwurf.
Gruppe Castellucci: „Suizidprävention stärken, selbstbestimmtes Leben ermöglichen“
Die erste Initiative stammte von 85 Abgeordneten um Lars Castellucci. Ihr Entwurf sah vor, dass die Suizidassistenz weiter grundsätzlich strafbar ist, unter bestimmten Voraussetzungen aber erlaubt wird. Dafür sollte die Person, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen will, volljährig sein, sich mindestens zwei Mal von einem Facharzt für Psychiatrie untersuchen lassen und ein Beratungsgespräch absolvieren.
Die Selbstbestimmung könne unter Druck geraten, argumentierte Castellucci: „Von innen durch Erkrankungen oder plötzliche Krisen. Und von außen durch eine nahestehende Person, durch das Umfeld und gesellschaftliche Entwicklungen.“ Die psychatrischen Gutachter sollten deshalb nicht nur die psychische Stabilität prüfen, sondern auch ob Druck ausgeübt wird. Zudem sah der Gesetzentwurf vor, dass Sterbehilfe-Vereine strenger kontrolliert werden. „Flächendeckende Suizidberatungsstellen sind Suizidförderungseinrichtungen“, sagte Castellucci. „Je mehr Möglichkeiten und Angebote es gibt, desto leichter erreichbar Suizide sind, umso mehr Suizide wird es geben.“
Suizidgedanken? Es gibt Auswege!
Viele Menschen haben ein offenes Ohr für Ihre Probleme. Hier finden Sie Links und Telefonnummern.
Denken Sie darüber nach, sich das Leben zu nehmen? Können Sie mit niemandem in Ihrem Umfeld über Ihre Probleme reden? Auch in scheinbar ausweglosen Situationen gibt es viele Menschen, die Ihnen helfen können.
Auf dieser Seite finden Sie Links und Telefonnummern für Menschen in seelischer Not. Sie können sich – auch anonym – per Telefon, Mail, Chat oder in einem persönlichen Gespräch mitteilen. Diese Angebote stehen natürlich auch allen offen, die Bekannte oder Freunde haben, die suizidgefährdet sein könnten.
Sie können sich zum Beispiel auch an eine geistliche Vertrauensperson wenden. Pfarrer unterliegen dem Beichtgeheimnis und dem Seelsorgegeheimnis – Vertrauliches wird vertraulich behandelt.
– Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen: (030) 31 01 89 60 (Di, Mi, Fr 10 bis 14 Uhr; Do 14 bis 17 Uhr)
Gruppe Künast und Helling-Plahr: „Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“
Die Gruppen um Renate Künast und Katrin Helling-Plahr hatten zunächst zwei verschiedene Vorschläge eingebracht, die sie dann zusammengeführt haben. Die Gruppen habe eine Grundhaltung geeint, das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, gesetzlich zu verankern, so Helling-Plahr. Künast sagte, man sei sich zudem einig gewesen, dass es keine strafrechtliche Regelung zur Suizidassistenz geben soll. Im Gesetzentwurf hieß es: „Jeder darf einem anderen, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte, auf dessen Wunsch Hilfe zur Selbsttötung leisten und ihn bis zum Eintritt des Todes begleiten.“
Ein „psychatrisches Gutachten“, wie es im Entwurf von der Gruppe Castellucci enthalten war, lehnten die Parlamentarier ab. Die Abgeordneten wollten Sterbewilligen den Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten ermöglichen, wenn sie zuvor eine Beratung in Anspruch genommen haben.
Ein bundesweites Netz staatlich anerkannter Beratungsstellen sollte geschaffen werden. Die Einrichtungen würden nur staatlich anerkannt, wenn sichergestellt sei, dass ein wirtschaftliches Interesse an der Durchführung ausgeschlossen sei. In besonderen Härtefällen hätte ein Arzt – unter Einbeziehung eines weiteren Arztes – ein Mittel auch ohne Beratung verschreiben dürfen.