analyse – Kanzlerpartei ohne Strategie Wie die AfD zulegt und die SPD zuschaut
5. August 2023Ist Gelassenheit schon eine Strategie? Und wenn ja, reicht das gegen die AfD? Bislang drängt sich der Eindruck auf, die Kanzlerpartei SPD schaue zu, wie die AfD zulegt. Was ist da los?
Es ist ein Alarmsignal, auch und gerade für die SPD. Im jüngsten ARD-DeutschlandTrend sagen 21 Prozent der Menschen in Deutschland, wäre heute Bundestagswahl, würden sie die AfD wählen. Die Kanzlerpartei SPD liegt erneut deutlich hinter der AfD und käme auf 17 Prozent. Die Ampelkoalition hat keine Mehrheit mehr.
Es ist dieser Tage still im politischen Berlin, die Sommerpause gleicht einem Sommerschlaf, der offenbar vor allem die Sozialdemokraten erfasst hat. Der Kanzler ist noch im Urlaub, doch auch schon zuvor setzte er auf das Scholzsche Rezept der Gelassenheit. Bei der letzten Regierungsbefragung vor der Parlamentspause schaute der Kanzler auf die Reihen der AfD, um dann nach der Methode der schlichten Behauptung über die Zukunft dieser Partei eine Prognose abzugeben: „Sie werden bei der nächsten Bundestagswahl nicht anders abschneiden als bei der letzten.“ 2021 kam die AfD auf 10,3 Prozent.
Woher diese Gewissheit stammt, sagte Scholz nicht. Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend liegt die AfD mit 21 Prozent vier Prozentpunkte vor der SPD mit einem Kanzler, dessen Strategie gegen den Aufstieg der AfD bisher überwiegend darin besteht, sie als „Schlechte-Laune-Partei“ abzutun. Rechtsextreme? Gibt es schließlich überall. So sieht Scholz die Dinge öffentlich: „Das gibt’s auch anderswo in der Welt. Rechtsextreme müssen deshalb nicht dominant und relevant sein. Und das wird auch hier nicht der Fall sein“, sagte der SPD-Politiker vor der Sommerpause am Rande einer Pressekonferenz.
Ampelstreit nährt die AfD
Da schwingt das Motto mit: Wird schon gut gehen. Aber es scheint nicht mehr gut zu gehen. Die AfD legt kontinuierlich zu, und die SPD schaut ihr dabei zu. Scholz setzt auf gutes Regieren, gute inhaltliche Ergebnisse als Gegengift gegen Rechtsextremismus. Man müsse Politik machen, damit die Bürger genügend Gründe hätten, an eine gute Zukunft zu glauben, sagte der Kanzler in seiner Sommerpressekonferenz. Gutes Regieren als Strategie gegen Rechts?
Kajo Wasserhövel war einst SPD-Bundesgeschäftsführer, leitete Wahlkampagnen – jetzt berät er die sozialdemokratische Partei. Er sagt im ARD-Interview, gute inhaltliche Ergebnisse der Ampel allein reichten eben nicht. „Am Ende geht es auch darum, die Interpretationshoheit zu behalten.“ Und diese Interpretationshoheit über das, was in der Politik hierzulande läuft, sei an vielen Stellen weggerutscht, ohne dass diese Lücke gefüllt würde.
Beispiel Ampelkoalition: Man streitet öffentlich über das Heizungsgesetz. FDP gegen Grüne. Christian Lindner gegen Robert Habeck. Der Kanzler schaut zu. Misstöne und handwerkliche Fehler überlagern schließlich den Eindruck, es gebe noch eine handlungsfähige Bundesregierung. Ergebnis: Viele Bürgerinnen und Bürger glauben, die Politik streite nur noch, liefere nicht. Das sei Wasser auf AfD-Mühlen, sagt Wasserhövel, der diesen fatalen Eindruck ein „Gemeinschaftswerk der Bundesregierung, aber auch der Bundesländer und der demokratischen Opposition“ nennt. „Alle, die daran beteiligt gewesen sind, müssen sich darüber im Klaren sein, dass wenn sie das nicht verändern, alle die Verlierer sein werden“, sagt der Parteistratege.
Die Sache mit der Kommunikation
Aber was ist die SPD-Strategie gegen die AfD, um nicht am Ende Menschen und Wahlen zu verlieren? SPD-Chefin Saskia Esken sitzt im 5. Stock des Willy-Brandt-Hauses, der SPD-Parteizentrale in Berlin. Im ARD-Interview spricht sie viel über „gutes Regieren“, über „soziale Politik und notwendigen Zukunftsglauben der Menschen“. Aber sie redet eben auch über möglicherweise missratene Kommunikation der SPD: Beispiel Sonneberg, wo die AfD gerade erstmals eine Landratswahl gewann: „Wenn wir darauf schauen, dass im Landkreis Sonneberg 44 Prozent der Beschäftigten von der Erhöhung des Mindestlohnes profitiert haben, dann ist es uns möglicherweise nicht gelungen, zu erzählen, wer das war. Da müssen wir in der Kommunikation besser werden“, sagt Esken.
Aber Kommunikation, so Parteistratege Wasserhövel, sei auch klare Kante. Klare Worte. Die AfD müsse man isolieren, ihre Programmatik bloßstellen. Sympathisanten und Wählern erklären, was und wen sie da wählten. Der Sound bei Wasserhövel klingt unzweideutig: „Die AfD ist die politische Heimat der Niedertracht. Wer AfD wählt, wählt Faschisten, wählt eine Partei, die Europa zerschlagen will.“ Europa sei entstanden auf den Gräbern zweier Weltkriege. Die seien das Ergebnis von Nationalismus gewesen. Und Ergebnis einer Ideologie, für die Leute wie Thüringens AfD-Chef Björn Höcke brennen würden. „Und so wie die dafür brennen, wollen sie am Ende Europa brennen sehen“, fürchtet Wasserhövel.
Reicht ein Mantra?
Der Kanzler aber redet anders. Leise. Moduliert sich zumeist ohne Puls unaufgeregt durchs Tagesgeschäft, spricht von der „notwendigen Gelassenheit im Umgang miteinander“. Sein Mantra lautet: „Wenn wir regieren, wird es gut ausgehen, für jeden Einzelnen von uns.“ Das sagt er wieder und wieder. Ist das Strategie genug gegen eine AfD, die auf Zukunftsängste setzt? Die die Menschen glauben machen will, früher sei alles doch so viel besser gewesen?
SPD-Chefin Esken macht sich ernsthaft Sorgen, wie es weitergeht. „Natürlich machen wir uns Gedanken jeden Tag für die kommende Bundestagswahl, die Europawahl, die Landtagswahlen.“ Aber reicht es, sich zu Gedanken machen als Strategie gegen das Erstarken am äußersten rechten Rand? Eine parteinterne Strategie für den Umgang mit der AfD scheint es bisher nicht zu geben. Manche fragen hinter vorgehaltener Hand: Wo eigentlich ist Generalsekretär Kevin Kühnert, wo SPD-Chef Lars Klingbeil? Wo war zuletzt die SPD-Bundestagsfraktion, die im Parlament die AfD stellen und auch bloßstellen müsste?
Esken befürchtet, dass die AfD im Europawahlkampf punkten kann. „Nach den derzeitigen Zustimmungswerten zu urteilen und weil wir nicht alle Krisen und Umbrüche bis zur Europawahl bewältigen können, ist wohl mit starken Wahlergebnissen der AfD zu rechnen.“ Im Juni nächsten Jahres steht die Wahl an, im Herbst 2024 wird außerdem in drei ostdeutschen Bundesländern gewählt.
„Werdet wehrhafter, werdet lauter“
Parteistratege Wasserhövel rät seiner SPD: „Werdet wehrhafter, werdet lauter.“ Das Problem AfD müsse von allen deutlicher angesprochen werden, auch und gerade von der ältesten demokratischen Volkspartei, der SPD. Die Aufgabe, Demokratiefeinde zu bekämpfen, könne eben nicht delegiert werden.
„Das haben alle demokratischen Parteien, auch die SPD, auf dem Tisch“, so Wasserhövel. Die SPD müsse sich die Interpretationshoheit zurückholen und ein anderes politisches Klima im Land schaffen. Mit Blick auf die Europawahl hofft er, „dass der Rest der Sommerpause bei allen dazu genutzt wird, den Kopf mal ordentlich aufzuräumen“.