Volle Züge und Verspätungen: Die Fehler im Bahn-System erklärt

Volle Züge und Verspätungen: Die Fehler im Bahn-System erklärt

4. September 2023 Aus Von mvp-web
Stand: 04.09.2023 05:00 Uhr

Das Image der Bahn ist im Pendlerland Mecklenburg-Vorpommern nicht gerade das Beste. Volle Züge, Verspätungen und marode Bahnhöfe. Ein Dreiklang, der Reisende seit Jahren nervt.

Eine Analyse von Martin Möller

Zu DDR-Zeiten gab es den Witz über die vier Feinde des Sozialismus: Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Das trifft auch für den Bahnverkehr in Mecklenburg-Vorpommern zu. Aber in den vergangenen Jahren ist noch ein neuer Hauptfeind hinzugekommen. Das sind die Wochenenden besonders die mit Brückentagen und oder mit Badewetter. Und vielleicht ist das 49-Euro-Ticket ein ganz neuer Feind.

Überfüllte Züge, die durchrauschen

Fakt ist: Reisewillige mit Fahrrädern, Kinderwagen oder Rollstuhl sollten an sonnigen Wochenenden besser zu Hause bleiben. Dann müssen sie nicht erleben, wie übervolle Züge einfach und ohne Ansage durch den Bahnhof rauschen, so mehrfach in Berlin-Gesundbrunnen geschehen. Und immer wieder fragen sich die geplagten Fahrgäste, ob die Verantwortlichen nicht in der Lage sind, ein oder zwei Wagen mehr anzuhängen. Aber die Fehler stecken im System und die begannen mit der Bahn-Privatisierung im Jahr 1994.

Ursache: Bahnprivatisierung

Damals ging die Verantwortung für den Nahverkehr, also alle Regionalbahn- und Regionalexpressverbindungen, von der Deutschen Reichsbahn beziehungsweise Deutschen Bundesbahn auf die Bundesländer über. Seitdem müssen deren Verkehrsgesellschaften eigenverantwortlich den Schienennahverkehr organisieren. In Mecklenburg-Vorpommern ist es die Landesverkehrsgesellschaft mit Sitz in Schwerin. Sie bestimmt Linien, Takte, Fahrzeuge. Die Verträge werden ausgeschrieben und laufen über viele Jahre. Darin ist alles genau definiert. Ein Regionalzug von Berlin über Neustrelitz nach Rostock hat beispielsweise fünf Doppelstockwagen. Entsprechend wird Technik, Personal und Geld zur Verfügung gestellt.

 Grafik: Finanzierung des Schienennahverkehrs © NDR

So sieht der Finanzierungskreislauf für den Schienennahverkehr in Mecklenburg-Vorpommern aus.

Züge und Bahnsteige zu kurz

Ein sechster oder siebter Wagen, der kurzfristig angekoppelt werden könnte, ist nicht vorgesehen und auch nicht vorhanden. Hinzu kommt: Die meisten Bahnsteige wären mittlerweile auch zu kurz. Das Land Mecklenburg-Vorpommern müsste künftig Züge bestellen, die an den Wochenenden im Sommer länger sind. Dann würde ein Teil der teuren Wagen in der Woche und im Winter stillstehen, was zusätzliches Geld kostet. Und das ist im System so nicht vorgesehen, denn die Finanzen für den Nahverkehr, die sogenannten Regionalisierungsmittel des Bundes, sind gedeckelt. Für die Bestellungen von Nahverkehrszügen bekommt das Land Mecklenburg-Vorpommern einmal im Jahr vom Bund Geld überwiesen. In diesem Jahr sind es 285,3 Millionen Euro.

Rostocker Seehafen: Einstellen statt investieren

Zusätzliche Züge müsste das Land aus eigener Tasche bezahlen. Selbst kleine Investitionen, die den Bahnverkehr attraktiver und konkurrenzfähiger machen, sind so kaum möglich. Der Bahnverkehr wird dann lieber gleich ganz eingestellt, anstatt zu investieren – selbst an Stellen, wo das Kundenpotenzial nicht größer sein könnte. Beispiel: die S-Bahn-Anbindung zum Rostocker Seehafen. 2012 vom damaligen SPD-Verkehrsminister Volker Schlotmann eingestellt, statt die Haltestelle ein paar hundert Meter weiter zum Fährhafen zu verlegen. Und so wurde das größte Gewerbegebiet des Landes und der Fährhafen, mit mehr als einem Dutzend Abfahrten pro Tag, vom Schienennetz abgekoppelt. Seitdem geht es nur noch per Bus mit Umsteigen in die Innenstadt, was mehr als doppelt so lange dauert. Gerade wird der benachbarte Güterbahnhof des Seehafens für 300 Millionen Euro saniert. Auf die Idee, ein paar Meter Gleise und einen Haltepunkt für den Personenverkehr gleich mitzuverlegen, ist allerdings niemand gekommen.

 

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Südbahn: Erst runter gewirtschaftet, dann privatisiert

Ist der Bahnverkehr erstmal eingestellt, setzt das eine Abwärtsspirale in Gang. Beispiel Südbahn: Zuvor hatte die Deutsche Bahn die Trasse von Parchim nach Waren im Auftrag des Landes befahren, jährlich über 600.000 Euro Trassennutzungsgebühren kassiert, aber keinen Cent davon in die Infrastruktur investiert. Irgendwann konnten Züge teilweise nur noch mit 30 km/h über verschlissene Gleise schleichen, die Fahrgastzahlen sanken. Statt bei der Bahn durchzusetzen, dass die Strecke in Schuss gehalten wird, ließ der damalige Verkehrsminister Christian Pegel (SPD) den Personenverkehr einstellen. Wenig später verkaufte die Deutsche Bahn die gesamte Infrastruktur an die private Regio Infra Nordost GmbH. Die Südbahn schien Geschichte zu sein, jedenfalls für die Verkehrsstrategen der Landesregierung.

Wut bei Anwohnern, lange Leitung bei der Politik

Die Proteste der Anwohner, in Plau, Lübz und Karow hörten trotzdem nicht auf. Nun wird mühsam versucht, die Strecken zu reaktivieren, auch weil Brandenburg Druck macht. Im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern wurde das regionale Bahn-System in der benachbarten Prignitz umfassend saniert, ein Stundentakt zwischen Neuruppin, Wittstock und Wittenberge eingerichtet. Aber der Verkehr auf der Stichstrecke von Neustadt/Dosse nach Meyenburg lohnt sich auf Dauer auch nur, wenn es in Richtung Plau und Güstrow weitergeht. Das ist nicht der Fall. Immerhin, beide Länder haben erstmal eine entsprechende Potenzialanalyse vereinbart. In knapp zwei Jahren soll sie vorliegen. Bis dahin verstreicht allerdings wertvolle Zeit, in der die Seenplatte um den Plauer See nur teilweise und nur am Wochenende per Bahn zu erreichen ist.

Kein Baustart bei der Darßbahn, Swinetunnel fertig

Besonders an der Ostseeküste stehen die Urlauber weiter im Stau. Hier könnte die Bahn viele Straßen entlasten. Deshalb wurde die Reaktivierung der Darßbahn nach jahrelangem hin und her beschlossen. Das ist nun schon wieder drei Jahre her und es wird immer noch nicht gebaut. Ganz anders auf Usedom: Da gibt es eine neue Anbindung, allerdings auf der Straße. Über neue polnische Schnellstraßen und durch den Swinetunnel erreichen Autos nun schnell auch die deutschen Seebäder der Insel, wo sie allerdings weiter im Stau stehen. Es bleibt also erstmal alles beim Alten – entgegen allen verkehrspolitischen Zielen von Bundes- und Landesregierung.