Skandal um Corona-Papier: Beteiligter Arzt wusste nichts von Beamten-Alleingang
12. Mai 2020Der Umgang mit dem Corona-Virus sei ein „globaler Fehlalarm“, die Bundesregierung leiste sich „gravierende Fehlleistungen des Krisenmanagements“. So lauten nur zwei von vielen ungeheuerlichen Schlüssen, die ein Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums aus der Abteilung KM (Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) in einer „internen Analyse“ seines Referats im Bundesinnenministeriums zog.
So zumindest steht es auf dem Briefkopf eines rund 80 Seiten starken Papiers, das der BMI-Mitarbeiter am Freitag an einen großen Verteiler in diverse Landesinnenministerien verschickte. Doch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte am Montag, dass der betroffene Mitarbeiter „weder einen Auftrag noch eine Autorisierung“ hatte. Stattdessen soll er „unter Verwendung des BMI-Briefkopfs seine kritische Privatmeinung zum Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung“ verbreitet haben. Inzwischen sei gegen den Mitarbeiter ein Arbeitsverbot verhängt worden.
Leopoldina-Mitglied: „Dachte, die Anfrage wäre offiziell“
Inzwischen haben sich auch die „externen Experten“ zu Wort gemeldet, die dem BMI-Beamten für das Corona-Papier zugearbeitet haben. Es handelt sich dabei bis auf eine Ausnahme um Ärzte. Mit dabei: Peter Schirmacher, Direktor des Pathologischen Instituts des Universitätsklinikums Heidelberg und Mitglied der „Leopoldina“, der renommierten Nationalen Akademie der Wissenschaften.
„Ich kenne den BMI-Mitarbeiter nicht persönlich. Er ist wohl über Kollegen von mir auf mich gestoßen. Seine Bitte um meine Expertise hat er mir offiziell per Dienstmail vom BMI gestellt. Deswegen bin ich auch davon ausgegangen, dass es sich um eine amtliche Anfrage handelt“, erklärte Schirmacher gegenüber FOCUS Online. Er habe sich zudem zuvor im Organigramm des Ministeriums vergewissert, dass der Mitarbeiter dort auch wirklich arbeite. Direkten Kontakt zu dem BMI-Arbeiter habe er nur per E-Mail gehabt, allerdings nur wenige Male. „Nur die letzte Mail, die er mir geschickt hat, hat er von einem privaten E-Mail-Account geschickt“, ergänzt Schirmacher.
Zu seiner fachlichen Einschätzung des Krisenmanagements wollte sich der Institutsdirektor nicht äußern, da er seine Expertise „in nichtöffentlicher Form für das BMI“ angefertigt habe. Er stehe jedoch zu seinen medizinischen Einschätzungen, die er für die Expertise formuliert habe, bekräftigte Schirmacher.
„Nicht repräsentative Expertengruppe“ selbst zusammengestellt
Die neun Mediziner verschiedener Disziplinen sowie ein Sozialwissenschaftler kommen bei ihren Einschätzungen zu dem Schluss, dass die „therapeutischen und präventiven Maßnahmen niemals schädlicher sein dürfen als die Erkrankung selbst“, erklärte Gunter Frank, in Heidelberg niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren, gegenüber FOCUS Online. Ziel müsse es sein, Risikogruppen zu schützen, ohne die medizinische Versorgung und die Gesundheit der Gesamtbevölkerung zu gefährden. Doch sei genau dies in Deutschland „gerade leider der Fall“, so Frank, der auch Mitglied der ständigen Leitlinienkommission der Deutschen Gesellschaft für Familien- und Allgemeinmedizin ist.
Im Gegensatz zu Schirrmacher hat Frank jedoch nach eigener Aussage von vornherein gewusst, dass die Expertise des BMI-Mitarbeiters kein offizieller Auftrag gewesen ist. „Der Mitarbeiter ist selbst auf mich zugekommen, da ihm offenbar einige Texte, die ich zur Corona-Epidemie verfasst habe, gefallen haben. Er hat mir sogar gesagt, dass er Ärger bekommen könne bei der Veröffentlichung“, so der Allgemeinmediziner weiter. „Er sprach auch davon, dass ihm in seinem Ministerium klargemacht worden sei, dass seine Kritik nicht erwünscht sei.“
Die Experten listen in ihrer Analyse unter anderem „gesundheitliche Kollateralschäden“ auf, die aufgrund von Einschränkungen der Klinikverfügbarkeiten zum Beispiel durch verschobene oder abgesagte Folgebehandlungen entstehen würden. Die Experten-Gruppe zu dem Corona-Papier habe er, Frank, selbst zusammengestellt habe, sie sei jedoch „nicht repräsentativ“. Einer der zehn Fachleute habe allerdings nach der Reaktion des BMI auf die Eigeninitiative des Mitarbeiters die Presseerklärung der Expertengruppe am Ende nicht mitunterzeichnen wollen.
BMI: „Anschein erweckt, es handele sich um Position des Hauses“
Der BMI-Mitarbeiter selbst wollte zu dem Vorfall keine Stellung beziehen. „Ich kann Ihnen dazu keine Auskunft geben. Ich bin Beamter und will mich ordnungsgemäß verhalten“, zitierte ihn die „Zeit“. Ein Sprecher des BMI hatte am Montag hatte zur Begründung der Reaktion des Ministeriums auf die Aktion des Mitarbeiters erklärt, dass es in der Bewertung dieses Vorfalls nicht darum gehe, dass der Mitarbeiter eine „kritische Meinung“ äußere. Sondern es ginge „darum, dass er das unter dem Briefkopf des Bundesinnenministeriums tut“ und so den „Anschein erwecke, es handele sich um die Position des Hauses“.