EU-Innenminister beraten – Warum die Asylreform nun möglich ist
28. September 2023Vor den Beratungen über die Reform des EU-Asylsystems rechnet Innenministerin Faeser mit einem Durchbruch. Die Bundesregierung hat offenbar ihre Blockade der geplanten Krisenverordnung aufgegeben. Worum geht es dabei – und wie geht es weiter?
Die Verhandlungen über die EU-Asylreform stocken seit Langem – aber heute könnte es Fortschritte bei den Beratungen der EU-Innenminister geben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeigte sich optimistisch, dass der Weg für eine Einigung nun frei sei.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich zuversichtlich: „Wir werden das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem verabschieden, das einen Solidaritätsmechanismus zur Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen vorsieht“, sagte er der „Wirtschaftswoche“.
Bisher hatte die Bundesregierung ein Kernelement der Reform, die sogenannte Krisenverordnung, vor allem wegen Kritik der Grünen abgelehnt.
Kanzler Scholz spricht „Machtwort“ zu Streitthema Asylreform
Um was geht es bei den Reformplänen?
Mit der geplanten Asylreform soll unter anderem die irreguläre Migration begrenzt werden. Die Krisenverordnung ist ein Teil davon. Sie sieht etwa vor, dass bei einem besonders starken Anstieg der Migration der Zeitraum verlängert werden kann, in dem Menschen streng abgeschottet festgehalten werden können. Außerdem wären Mitgliedsstaaten nicht mehr verpflichtet, Asylbewerber zurückzunehmen, für die sie eigentlich zuständig sind, die aber in einen anderen EU-Staat weitergereist sind.
Insbesondere die Grünen hatten die Verordnung abgelehnt, weil sie befürchten, dass in Krisensituationen die Schutzstandards für Migranten in einer Weise abgesenkt werden könnten, die sie für inakzeptabel halten.
Wieso kommt nun Bewegung in die Verhandlungen?
Scholz hat am Mittwoch im Kabinett offenbar darauf gedrungen, dass die Krisenverordnung nicht länger blockiert werden dürfe. Mit diesem „Machtwort“ hat er Faeser Spielraum für die Verhandlungen in Brüssel verschafft. Das dürfte dort für Erleichterung sorgen – im EU-Parlament sieht man die Krisenverordnung als eine Frage der Solidarität.
Was sagen Vertreter der Ampelkoalition?
Aus dem Auswärtigen Amt von Annalena Baerbock (Grüne) hieß es am Mittwoch nur: „Jetzt wird in Brüssel endlich richtig verhandelt.“ FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr lobte Scholz‘ „klare Haltung“. Es gebe „eine einmalige Chance, die Migration insgesamt besser zu ordnen, eine Chance, die wir nicht verstreichen lassen dürfen“, sagte er dem Mediendienst „Table.Media“.
Auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese hofft auf eine Einigung in Brüssel. Die Reform sei „im ureigensten deutschen Interesse“, sagte er im ARD-Morgenmagazin. „Wir brauchen einen stärkeren Grenzschutz, wir brauchen Verfahren an den Außengrenzen.“ Es sei richtig, dass die Bundesregierung „mit den Worten des Kanzlers sich jetzt hier klar positioniert hat“, sagte Wiese weiter. „Ein Scheitern wäre nicht zu vertreten gewesen.“
Wie ist die Lage momentan?
Bis Ende August registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr als 204.000 Erstanträge auf Asyl. Das ist ein Plus von 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Zudem sind mehr als eine Million Menschen wegen des Krieges aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, die keinen Asylantrag stellen müssen.
Im zweiten Halbjahr werden erfahrungsgemäß noch mehr Asylanträge als im ersten registriert. CSU-Chef Markus Söder prophezeite in der „Augsburger Allgemeinen“: „Wir steuern auf 400.000 Asylanträge in Deutschland zu.“ Dies wäre die dritthöchste in der Bundesrepublik gemessene Zahl – nach 2015 und dem Spitzenjahr 2016 (745.545).
Wie könnte es nun weitergehen?
Dass der aktuelle Entwurf für die Krisenverordnung vor der Einigung noch einmal signifikant verändert werden könnte, galt in Brüssel im Vorfeld als sehr unwahrscheinlich. Sobald dieser Streit beigelegt ist, können wohl auch für die Reform wichtige Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament fortgesetzt werden.
Eine Einigung „bis Ende des Jahres“ sei möglich, sagte der Fraktionschef der konservativen europäischen Parteienfamilie EVP im Europaparlament, CSU-Vize Manfred Weber, der Mediengruppe Bayern. Das ist vor allem wegen der nahenden Europawahl im Juni 2024 von Bedeutung. Projekte, die bis dahin nicht mit den Regierungen der Mitgliedsstaaten ausgehandelt sind, könnten anschließend wieder infrage gestellt werden. Weber mahnte: „Wer sich jetzt noch verweigert und den breiten europäischen Konsens nicht mitträgt, der trägt Mitschuld, dass Lösungen verschleppt werden und Radikale weiter erstarken.“
SPD-Fraktionsvize Wiese zur Entscheidung der Bundesregierung die EU-Asylverschärfung nicht zu blockieren
Welche weiteren Baustellen gibt es?
Faeser hat sich auch für eine Erneuerung des Migrationsabkommens der EU mit der Türkei ausgesprochen: „Wir brauchen ein Update der Vereinbarung“, sagte sie dem Portal t-online. „Wir müssen jetzt darauf drängen, dass das Vereinbarte wieder eingehalten wird und an den Stellen neu verhandeln, wo es notwendig ist.“
Innerdeutschen Streit gibt es zudem noch um die Ausweitung der stationären Grenzkontrollen. Bisher existieren diese bei der EU zu beantragenden Kontrollen so nur an der Grenze zu Österreich. Die Union fordert sie auch für die Grenze zu Polen, wo die Migrantenzahlen stark gestiegen sind, und an der Grenze zu Tschechien. Faeser lehnt dies als personalintensiv und ineffektiv ab. Sie will dort stattdessen nur zeitweise und flexible Kontrollen, die nicht in Brüssel beantragt werden müssten.
Der Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, forderte „ein Machtwort des Kanzlers zu den Grenzkontrollen“. Faeser verhindere aktiv die Möglichkeit, an den Grenzen eine Einreise verweigern zu können, sagte er der dpa.