Porträt Söder vor Landtagswahl Stratege im Dilemma
3. Oktober 2023Dass die CSU mit Markus Söder bei der Bayernwahl am Sonntag erneut stärkste Kraft wird, dürfte wohl kaum jemand ernsthaft bezweifeln. Und doch geht es für Söder auch um seine politische Zukunft.
Das Team um Markus Söder hat einen Wohlfühltermin in der CSU-Zentrale im Münchner Norden organisiert. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident hat Schülerinnen und Schüler zu Gast, die ihn interviewen. Sie hocken vor ihm auf einem Spielteppich. Söder selbst sitzt auf einem Stuhl. „Ist dein Leben genauso stressig wie meins?“, will ein kleiner Junge wissen. „Wahrscheinlich viel lockerer als deins“, antwortet Söder prompt. Mit einem Augenzwinkern schiebt er hinterher, dass sein Leben aber schon auch sehr stressig sei.
Markus Söder hat diese Sequenz auf seinem Instagram-Account geteilt. Später werden noch mehr Szenen dieses Nachmittags auf seinen Social-Media-Kanälen stehen. Er erzählt von seiner Kindheit: Fußballspieler wollte er werden oder Tennisspieler oder vielleicht auch Astronaut. Es sind sympathische Momente. Frei nach der Regel: Kinder und Tiere gehen immer.
Bierzelt und Bratwurst
Spaziergänge mit seinen Hunden Molly und Bella teilt Söder ebenso wie seinen sonstigen Tagesablauf. In diesen Tagen sind es hauptsächlich Bierzeltauftritte. Dazu eine Ordensverleihung hier, der Almabtrieb dort. Und immer wieder Essensbilder: Schweinshaxe, Bratwürste und manchmal auch Salat. Von #Söderisst gibt es mittlerweile ein Kochbuch.
Wenn der Ministerpräsident mit der Schultüte wartet: Markus Söder vor einer Grundschule in München.
Pfarrer oder Politiker
So sehr Söder seinen Stress vor den Schulkindern kleinreden mag, er wollte genau diesen Stress. In die Fußstapfen seines Vaters zu treten, kam jedenfalls nicht infrage. Der Vater selbst, ein Maurer, bescheinigt dem Sohn früh ein „großes Mundwerk und zwei linke Hände“ zu haben. Damit solle er am besten Pfarrer oder Politiker werden. Diese Anekdote erzählt Söder gern – am liebsten vor Handwerkern.
Söder hat Jura studiert. Nach dem ersten Staatsexamen absolvierte er ein Volontariat beim Bayerischen Rundfunk, arbeitete kurze Zeit als Fernsehredakteur. Als der BR viele Jahre später eine Dokumentation über ihn drehte, gab er den ehemaligen Kollegen den Tipp, der wohl eher als Anweisung zu verstehen ist: „Achtung, Kameraführung!“ Die Familie sollte nicht mit ins Bild, seine Kinder schützt er vor der Öffentlichkeit.
Er selbst sucht genau diese Öffentlichkeit. 1994 animierten ihn Parteifreunde in der Jungen Union, im Wahlkreis Nürnberg West anzutreten. Söder setzte sich gegen weitaus erfahrenere Kandidaten durch und zog als 27-Jähriger in den Landtag ein.
Akribie, Härte und Wille zur Macht
Der damalige bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber wurde sein Mentor. Er machte Söder 2003 zum Generalsekretär der CSU, ein Amt, das er bis 2007 innehatte. Söders Forderungen waren immer ein wenig lauter, ein wenig schriller. Sein Themenspektrum wuchs, sein Einfluss auch. Schnell arbeitete er sich in andere Ressorts ein. 2007 wurde er Minister für Europaangelegenheiten, wenig später Umwelt- und Gesundheitsminister, Heimat- und Finanzminister.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) lästerte 2008 über seinen damaligen bayerischen Amtskollegen: Söder sei derjenige, der „möglichst laut eine Menge Unsinn erzählt“.
Stück für Stück baute Söder seine Machtbasis in Partei und Fraktion aus. Ende 2017 wagte den offenen Machtkampf gegen Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer. Dieser attestierte Söder in kleiner Runde „Schmutzeleien und charakterliche Schwächen“. Eine Beschreibung, die zumindest Söders Biograf Roman Deininger nicht verwundert. Er nennt Söder „schamlos und clever zugleich“.
Machtkampf um die Kanzlerkandidatur
Jedenfalls erreichte Söder sein Ziel: Er wurde Ministerpräsident, Anfang 2019 auch CSU-Chef. Er war ganz oben – in Bayern. In Deutschland gäbe es noch einen interessanten Posten: im Kanzleramt. Als klar war, dass Angela Merkel 2021 nicht mehr antreten würde, taktierte und pokerte Söder wochenlang, bis er dem CDU-Chef und nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet doch den Vortritt für die Kanzlerkandidatur ließ. Überlassen musste. Von Rückendeckung im Bundestagswahlkampf aber keine Spur. Was folgte, war ein beispielloses Gegeneinander in der Union. Die Union verlor bekanntlich die Wahl. Laschet wird später sagen, er habe Söder zunächst vertraut.
Nach der verlorenen Bundestagswahl zeigte der CSU-Chef durchaus einen Hauch von Selbstkritik. Dieses Hickhack um die Kanzlerkandidatur dürfe sich nicht wiederholen, heißt es heute unisono aus der Union. Aber ob Söder wirklich alle Kanzler-Ambitionen für sich fallengelassen hat, weiß niemand so ganz genau.
Wahlkampf im Schatten der Flugblatt-Affäre
Zunächst aber bleibt sein Platz in Bayern. Viel dürfte auch davon abhängen, wie die Landtagswahl für die CSU ausgeht. Ein schlechteres Ergebnis als die historisch schlechten 37,2 Prozent von 2018 sollten es nicht sein, wenn Söder wirklich noch ernsthaft über einen neuen Anlauf in der K-Frage nachdenken will.
Machtpolitisch hat sich Söder in Bayern früh festgelegt. Er wolle weiter mit einer „bürgerlichen Koalition“ regieren. Damit hängt er an seinem Koalitionspartner, den Freien Wählern – und steckt damit im strategischen Dilemma. Das wurde durch die Flugblatt-Affäre um Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger mehr als deutlich. Söder war zwar erkennbar ungehalten über Aiwangers Umgang mit den Vorwürfen. Aber er beließ seinen Wirtschaftsminister im Amt, eine Entlassung kurz vor der Wahl hätte womöglich noch mehr politischen Schaden für Söder und die CSU angerichtet. In den Umfragen profitierten die Freien Wähler zuletzt, die CSU nicht.
Beim Parteitag der CSU zwei Wochen vor der Wahl schaltete Söder um auf Angriff gegen den vermeintlich kleinen Koalitionspartner. Die Freien Wähler hatten Anspruch auf ein weiteres Ministerium nach der Wahl erhoben. Da seien wohl manchen die Umfragen zu Kopf gestiegen, mutmaßte Söder. Das Landwirtschaftsministerium bleibe jedenfalls in CSU-Hand, stellte er klar. Die CSU-Delegierten stärkten Söder bei der Wiederwahl zum CSU-Chef mit 96,5 Prozent demonstrativ den Rücken.
Eine „Schicksalswahl“?
Seine Attacken auf den bisherigen und vermutlich auch künftigen Koalitionspartner dürften auch als der Versuch gewertet werden, Aiwanger und seine Freien Wähler in die Schranken zu weisen. Eigentlich aber hatte Söder die Grünen als Hauptgegner im Wahlkampf ausgemacht. Bäume umarmt er schon lange nicht mehr. Schwarz-Grün hat er ausgeschlossen.
Unter diesen Vorzeichen muss Söder nun in diese Wahl. Das Wort von der „Schicksalswahl“ macht die Runde. Für Söder und für die CSU. Sollten sich die Umfragen bestätigen und die Freien Wähler mit Zugewinnen an den Kabinettstisch zurückkehren, wäre Söders Name wohl damit verbunden, dass die Zeiten der CSU-Alleinherrschaft in Bayern wohl endgültig vorbei sind.