Noch-Linke gründet Partei Wo Sahra Wagenknecht hinwill
21. Oktober 2023Sahra Wagenknecht will tatsächlich eine neue Partei gründen. Längst hat sie ein politisches Programm entwickelt. Und sowohl im Bundestag als auch an der Basis stehen ihre Unterstützer bereit.
„Wirtschaftliche Vernunft“ sind nicht die ersten Worte, die man mit einer Politikerin verbindet, die als Kommunistin bekannt geworden ist. Aber die Sahra Wagenknecht von heute, das betont sie, wo immer es geht, setzt auf wirtschaftliche Vernunft.
Das zeigt auch der Name des Vereins „BSW – Vernunft und Gerechtigkeit“, den Wagenknecht am Montag in Berlin vorstellen will – „zur Vorbereitung einer neuen Partei“, wie es in der Einladung heißt. Wagenknecht-Unterstützer haben das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ Ende September gegründet. Es ist der entscheidende Schritt vor der Parteigründung, über die Wagenknecht vorher monatelang öffentlich nachgedacht hat. Ihre alte Heimat, die Linkspartei, hat sie damit zerrissen.
Egotrip mit Potential?
Schon jetzt erklärt Wagenknecht bereitwillig ihr politisches Programm. So auch am Donnerstag vergangene Woche beim Interview mit tagesschau.de in ihrem Bundestagsbüro. Die Linkspartei, deren Mitglied sie noch ist, ist gerade bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern abgestürzt.
Mehr als 50 Parteimitglieder forderten danach ihren Ausschluss. Wagenknecht hat dafür nur noch müde Empörung übrig.
Ihre Gegner glauben, dass es ohne sie wieder aufwärts gehen würde. Zumindest könnte man dann wieder über Inhalte sprechen – und nicht mehr über Wagenknecht. Parteichefin Janine Wissler wirft ihr einen „Egotrip“ vor.
Plötzlich nervös
Und Wagenknechts Inhalte? Am Ende wird sie nichts aus dem halbstündigen Interview freigeben. Das solle jetzt doch erst auf der Pressekonferenz am Montag gesagt werden, heißt es Tage später. Es gibt offenbar eine gewisse Nervosität, nichts soll schiefgehen.
In dem Gespräch, aus dem also nicht zitiert werden darf, spricht sie darüber, wie sie die Inflation bekämpfen will. Dass sie – was allgemein bekannt ist – die Russland-Sanktionen zurücknehmen würde. Wie sie Industrie und Mittelstand erhalten wolle und wie mehr Zukunftstechnologien hier in Deutschland entstehen könnten. Welche Subventionen aus ihrer Sicht sinnvoll sind – und welche nicht. Dass die Förderpolitik der USA und Chinas Infrastrukturpolitik ihre Vorbilder sind. Auch Letzteres ist kein Geheimnis.
Vieles davon hat sie bereits in den vergangenen Monaten ausgebreitet. In der Schweizer „Weltwoche“, wo Gegner der heutigen Russlandpolitik ein Zuhause haben, hat sie schon im Mai geschrieben: Ein „exportstarkes und rohstoffarmes Land“ wie Deutschland brauche „zwingend eine Außenwirtschaftspolitik, die auf faire, stabile Handelsbeziehungen mit möglichst vielen Partnern“ setze. Preiswerte Energie statt „ausufernde Sanktionen und überhebliche Belehrungen“.
Wohl weniger radikal als gedacht
Der Eindruck, der bleibt: Wagenknechts Programm ist bei Weitem nicht so radikal, wie man es vermuten könnte. Zumindest, was die Wirtschaftspolitik betrifft – wenn man die Rücknahme der Sanktionen ausklammert. Vor einigen Wochen hat sie bei „Markus Lanz“ auch die ihr zugeschriebene Forderung nach „staatlichen Kontrollorganen“ für ganze Branchen abgeräumt.
Wenig radikal wirkt auch, dass Wagenknecht sich auf die Ökonomin Mariana Mazzucato beruft. Mazzucato zeichnet das Idealbild eines „unternehmerischen Staates“, einer aktiven Wirtschaftspolitik also. Sie gilt als Ideengeberin ausgerechnet für Wagenknechts quasi-Widersacher: den grünen Wirtschaftsminister Habeck. Dabei kann der in Wagenknechts Augen nichts richtig machen.
Bundestagsabgeordnete ziehen mit
Und noch ein Eindruck drängt sich auf: Wirtschaft steht für die heutige Wagenknecht vor Sozialem. Sie hat sich nicht von der Sozialpolitik der Linken verabschiedet, aber es ist ein bisschen wie bei der CDU und FDP, wo man so gern sagt: Der Wohlstand muss erst erwirtschaftet werden, bevor er verteilt werden kann. Und die Migration will Wagenknecht ja auch begrenzen.
Über ihre künftige Partei spricht Wagenknecht da noch im Konjunktiv. Darüber, ob sie Regierungsverantwortung übernehmen wolle. Ob nicht nur die Europawahl kommendes Jahr, sondern auch die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ihr Ziel sind. Wie eine Partei dafür aufgestellt sein müsste. Und dass sie sehr viele Zuschriften aus dem ganzen politischen Spektrum erhalte. Von Hoffnung, auf einen sozialen Teil der CDU, den Friedrich Merz heimatlos machen könnte.
An der Pressekonferenz zu Verein und Partei am kommenden Montag werden nun auch die ehemalige Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Amira Mohamed Ali, und der Abgeordnete Christian Leye teilnehmen. Wohl bis zu zehn Abgeordnete der Fraktion unterstützen Wagenknecht. Und auch in Teilen der Basis genießt sie breiten Rückhalt.
Linke-Mitglieder bekennen sich zu Wagenknecht
Das zeigt sich auch am Abend nach dem Interview. Wagenknecht liest in Staßfurt, Sachsen-Anhalt aus ihrem Buch „Die Selbstgerechten“, der Theatersaal ist mit rund 300 Besuchern ausverkauft. Auf zwei blauen Postern steht in weißer Schrift unter einer Friedenstaube: „Mir“ und „Peace“ – das russische und das englische Wort für Frieden.
Wagenknecht erhält viel Applaus für ihre Thesen. Zu einer neuen Partei sagt sie, anderthalb Wochen vor der Pressekonferenz, nur: „Ich verspreche, dass wir das sehr ernsthaft abwägen.“
„Sie sind der Hoffnungsträger der Menschen“
Aus dem Publikum kommt Druck – von Linken. Christine Pfeiffer, Stadträtin in Bernburg, aber aus der dortigen Linksfraktion ausgetreten, ruft durch den Saal: „Sie sind der Hoffnungsträger der Menschen.“ Wagenknecht solle schnell eine Partei gründen, damit man bereits zu den Kommunalwahlen antreten könne.
Margit Kietz, noch Stadträtin für die Linke in Staßfurt, meldet sich: „Frau Wagenknecht, wir sind völlig normale Menschen.“ Wagenknecht spreche für sie. Kietz zeigt sich auf Nachfrage offen für einen Parteiwechsel.
Bianca Görke leitet den Theaterförderverein und hat den Abend moderiert. Sie saß für die Linke mal im Landtag in Magdeburg und sitzt noch im Stadtrat. Auf kommunaler Ebene habe man keinerlei Probleme, sagt Görke. „Da geht es um die Sache.“ Unterstützung von der Landes- oder Bundesspitze könne man aber nicht erwarten. Die hätten ohnehin „Sahra als Alleinschuldige“ ausgemacht.
Auch Görke wartet auf die neue Partei. Seit einiger Zeit organisiere sie sich mit gut Hundert anderen Wagenknecht-Unterstützern allein aus Sachsen-Anhalt in Chatgruppen und Foren.