Bund-Länder-Gipfel: Wie geht es in der Migrationspolitik weiter?
6. November 2023Heute wollen die 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten bei einem Bund-Länder-Treffen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) unter anderem weitere Maßnahmen in der Migrationspolitik vereinbaren. Diskutiert wird auch die Frage, ob Barzahlungen für Asylbewerber durch eine Bezahlkarte und Sachleistungen ersetzt werden sollten.
Schon lange klagen Länder und Kommunen darüber, dass ihnen die Zahl der Geflüchteten über den Kopf wächst: zu wenig Unterbringungs- und Integrationsmöglichkeiten, zu wenig Geld. Die Ministerpräsidenten fordern deutlich stärkere finanzielle Unterstützung vom Bund. Ein Treffen Mitte Oktober hatte keine konkreten Beschlüsse mit Kanzler Scholz gebracht.
Länder wollen, dass Bund sich stärker an Asylkosten beteiligt
Auch bei dem neuen Treffen heute soll es darum gehen, ob der Bund sich stärker an den Kosten für Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten beteiligt. Im Gespräch ist die Rückkehr zu einer Pro-Kopf-Berechnung bei dem Bundeszuschuss, um der steigenden Zahl an ankommenden Flüchtlingen und Migranten Rechnung zu tragen. Auch Fragen wie Abschiebungen, Rückführungsabkommen, die Digitalisierung der Ausländerämter und eine bessere Koordination der Flüchtlingsbetreuung und Asyl-Antragsverfahren in den Kommunen und Ländern sollen bei der Ministerpräsidentenkonferenz besprochen werden.
Lindner knüpft Einigung an Einführung von Bezahlkarte oder Sachleistungen
Diskutiert werden soll ebenfalls, ob Barzahlungen für Asylbewerber durch eine elektronische Bezahlkarte und Sachleistungen ersetzt werden sollten. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte im Vorwege eine Einigung mit den Bundesländern über Asylkosten daran geknüpft. „Wenn die Länder eine Übereinkunft mit dem Bund in Finanzfragen über die Kosten der Migration haben wollen, dann erwarte ich umgekehrt die flächendeckende Einführung von Bezahlkarten oder Sachleistungen“, sagte er unter anderem der „Stuttgarter Zeitung“.
Hamburgs Finanzsenator Dressel fürchtet Desaster
Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) sprach von einem drohenden Desaster, falls der Bund nicht helfe: „Für die nächsten Jahre wird es ohne zusätzliche Bundesmittel nicht gehen.“ Er schätzt, dass die Länder im nächsten Jahr fünf Milliarden Euro brauchen, um Flüchtlinge unterzubringen. Doch der Bund plane, die Zuschüsse für die Flüchtlingskosten drastisch zu kürzen – auf eine Milliarde Euro für alle Bundesländer.
MV-Ministerpräsidentin Schwesig fordert vom Bund Pauschale je Asylbewerber
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) bekräftigte ihre Forderung nach mehr Bundesmitteln für die Versorgung von Asylbewerbern. Im Deutschlandfunk nannte sie am Sonntag eine Pauschale von 10.500 Euro pro Asylbewerber. Schwesig sprach von einem dynamischen System: Wenn mehr Asylbewerber kämen, solle es mehr Geld vom Bund geben. Gleichzeitig sprach Schwesig sich dafür aus, die illegale Migration zurückzudrängen. Städte und Gemeinden hätten längst die Grenze erreicht, die Akzeptanz in der Bevölkerung schwinde. Nach Meinung Schwesigs sollten sich Bund und Länder die Kosten für die Unterkunft vor Ort je zur Hälfte teilen: „Denn wir können es den Kommunen nicht zumuten, dass sie am Punkt stehen und entscheiden müssen, gebe ich jetzt das Geld für die Flüchtlingsunterkunft oder den Sportplatz aus. Da entsteht sozialer Unfrieden und davon kann ich nur abraten.“
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther erwartet Taten
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) erinnerte an frühere Regelungen. Der Bund habe mehr finanzielle Verantwortung übernommen, wenn mehr Menschen kamen. „Alles, was bisher vonseiten des Bundes auf dem Tisch liegt, reicht bei Weitem nicht aus“, sagte er am Freitag in Kiel. Günther forderte außerdem, dass Verfahren von Menschen aus Ländern mit einer niedrigen Anerkennungsquote möglichst innerhalb von drei Monaten beendet werden müssten. Das bedeute auch, „dass wir selbstverständlich auch Rückführungen durchführen müssen, dass wir sehr schnell auch unterscheiden zwischen denjenigen, die eine Bleibe-Perspektive haben, und denjenigen, die eben keinen Asylgrund vorweisen können“.
Niedersachsens Ministerpräsident Weil warnt vor zu hohen Erwartungen
Einen nationalen Konsens hat der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) angemahnt. „Die Finanzierung der Grundversorgung von Geflüchteten ist eine nationale Aufgabe, die von Ländern und Kommunen gemeinsam getragen werden muss“, sagte er am Sonntag. Niedersachsens Regierungschef forderte erneut, dass die Zahl der nach Deutschland kommenden Menschen reduziert werden muss. „Es hilft nichts, wir müssen die Zahl der allwöchentlich zu uns kommenden Menschen reduzieren. Wir wollen denjenigen, die wirklich Asyl oder Schutz nach der Genfer Flüchtlingskommission bei uns brauchen, auch zukünftig helfen.“ Um dies möglich zu machen, müsse man diejenigen, die aus anderen nachvollziehbaren, aber eben nicht so dringenden Gründen kommen, leider wieder nach Hause schicken. „Die Kommunen sind am Anschlag, sowohl finanziell wie auch von ihren Unterbringungskapazitäten her“, betonte Weil.
Kritik an geforderten Leistungskürzungen für Asylbewerber
Bundesfinanzminister Lindner und Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatten in einem Gastbeitrag für die „Welt am Sonntag“ gefordert, dass Leistungen für Asylbewerber abgesenkt werden sollten, unter Umständen sogar „auf null“.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese betonte, bei Geduldeten sei unter bestimmten Umständen eine weitere Reduzierung von Leistungen bereits möglich. „Aber man kann diese Schraube nicht immer weiter drehen. Die Leistungen müssen Geflüchteten in Deutschland ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen. Das hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung festgezurrt“, mahnte Wiese in der „Rheinischen Post“. In den Zeitungen der Funke-Mediengruppe zeigte sich der SPD-Politiker aber auch offen für weniger Leistungen für Asylbewerber: „Eine Anpassung der Leistungen für Asylbewerber kann Sinn machen, wenn ein Verfahren sehr lange dauert.“
Hilfsorganisationen: Diskussion „zynisch und realitätsfern“
Kritik kommt auch von sozialen Organisationen. „Nun geht es offenkundig darum, den grundlegenden Anspruch Asylsuchender einzuschränken, mit der Begründung, so könne die Zahl der Geflüchteten in Deutschland reduziert werden“, schrieben die Unterzeichner, zu denen Amnesty International Deutschland, der AWO-Bundesverband und Save the Children Deutschland gehören, in einer am Dienstag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung.
Asylbewerber kämen nicht wegen der Sozialleistungen nach Deutschland, sondern suchten Schutz. „Die Behauptung, von den geringen Asylbewerberleistungen würden relevante Geldbeträge in Herkunftsländer überwiesen oder im Nachhinein an Schlepper ausgehändigt, ist zynisch und realitätsfern.“