„analyse“ Linke ohne Wagenknecht Und jetzt wieder Ost-Partei?
12. November 2023Nach dem Bruch mit Wagenknecht wollen Teile der Linken die Partei wieder stärker auf den Osten ausrichten. Es gehe „um das Schicksal“ der Partei. Das könnte sich auch auf die künftige Gruppe im Bundestag auswirken.
„Ostdeutsch, sächsisch, links“ – drei Worte prangen am vergangenen Samstag von der Bühne des Landesparteitages der Linkspartei Sachsen in Chemnitz. Sie geben einen Eindruck, wohin sich die Partei ohne Sahra Wagenknecht entwickeln könnte. Nicht wenige wollen, dass die Linke ihr Überleben als das sichert, als was sie bis vor zehn Jahren lange galt: als die Ost-Kümmerer-Partei, die bei Wahlen durchweg 20 Prozent und mehr holte.
„Der Osten ist die Herzkammer der Linken“, ruft Dietmar Bartsch vom Podium. Der Noch-Fraktionschef im Bundestag spricht als Gastredner und sagt, man habe zwar die Region vernachlässigt, aber: „Wir haben diesen Fehler erkannt.“
Bislang gibt es keine Austrittswelle
Zwei Wochen ist es da her, dass Wagenknecht mit neun weiteren – allesamt westdeutschen – Bundestagsabgeordneten die Partei verlassen hat. Im Osten genoss sie bislang einen besonders hohen Zuspruch. Eine Austrittswelle blieb jedoch vorerst aus. Auch weil manche überzeugte Sozialisten, die zu DDR-Zeiten in die SED eintraten, zwar Wagenknechts Haltung gegen die Russland-Sanktionen stützen, in den wenigen bislang bekannten Wirtschafts- und Sozialthesen des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) aber nicht die reine Lehre erkennen können.
Der prominenteste Abgang ist die ehemalige sächsische Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann. In Berlin wechselte ein Mitglied des Abgeordnetenhauses zum BSW; in Sachsen-Anhalt eine ehemalige Landtagsabgeordnete. In den Landesparlamenten und unter den gut ein Dutzend Landräten und Bürgermeisterinnen, die die Linkspartei zwischen Ostsee und Erzgebirge stellt, sind hingegen alle geblieben.
Damit wird das BSW, wenn es eine Partei wird, kaum die drei Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im September 2024 bestreiten können. Mehr noch: Die „Ost-Kompetenz“ bleibt vorerst in der Linkspartei. Das will man für eine Neupositionierung nutzen, bei der die Europawahl im Sommer eine untergeordnete Rolle spielt.
„Alle müssen dafür Raum schaffen“
„Das Schicksal der Linken wird 2024 im Osten entschieden“, sagt der Vorsitzende der Brandenburger Linken, Sebastian Walter, im Gespräch mit tagesschau.de. „Und dafür müssen alle den Raum schaffen“, so Walter weiter.
Mit „alle“ sind hier offenkundig die westdeutschen Landesverbände gemeint. Walter sagt, der „Aufbau West“, also der Wandel der ehemaligen PDS zu einer gesamtdeutschen Partei, habe trotz großer Investitionen „nicht die erhofften Ergebnisse“ für die Partei gebracht.
Außerhalb der ostdeutschen Bundesländer und der drei Stadtstaaten steht die Linkspartei tatsächlich gerade auf verlorenem Posten. Im Oktober flog die Linke in Hessen aus dem Landtag, in Bayern kam man nur noch auf 1,5 Prozent. Beide Ergebnisse hatten sich im Vergleich zur vorherigen Wahl halbiert.
Das soll sich in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September 2024 nicht wiederholen. Als einen ersten Schritt in die richtige Richtung deuten Walter und andere ein Papier, das fast alle Spitzen der Partei gerade beschlossen haben. Darin fordern sie eine aktivere Wirtschaftspolitik und bessere Tarife, um Industriearbeitsplätze zu sichern und die klimafreundliche Transformation der Wirtschaft „gerecht zu gestalten“. Es soll ein Angebot an die Arbeiter gerade in den vielen ostdeutschen Betrieben sein, um die auch Wagenknecht und die AfD werben.
Gruppe sucht Führung
Auch im Bundestag könnte sich die Linkspartei wieder stärker auf Ostdeutschland ausrichten. Ein möglicher Ansatz: die Besetzung der Führung der künftigen Gruppe, die sich nach dem Ende der Fraktion bilden werden muss.
Geht es nach Noch-Fraktionschef Bartsch orientiert sich die Gruppe an den drei direkt gewählten Abgeordneten: Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann. Die drei haben lange versucht, Wagenknecht zu halten, sie dann aber unmittelbar nach Austritt zum Mandatsverzicht aufgefordert. Nach eigenen Rechnungen besitzt das Bartsch-Lager eine knappe Mehrheit unter den verbliebenen Linken.
Einen logischen Anspruch auf die Gruppen-Führung hätte aber auch Parteichefin Janine Wissler, selbst Bundestagsabgeordnete. Wissler hat dafür Unterstützerinnen, aber wohl keine sichere Mehrheit. Und sollte sie durchfallen, heißt es, würde sie sich wohl kaum an der Parteispitze halten können.
Über vielen anderen möglichen Kandidaten stehen Fragezeichen. Der rhetorisch wuchtige parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte hat sich gerade erst von diesem Posten verabschiedet.
Denkbar wäre auch ein kompletter Neustart. Etwa mit der umtriebigen 37-jährigen Migrationspolitikerin Clara Bünger aus Sachsen. Bünger selbst sagt dazu nur allgemein, es brauche einen „personellen Neuanfang“. Sie arbeite daran, dass die kommende Linken-Gruppe so groß wie möglich werde.
Einige Abgeordneten werden weiter mit einem Abgang zur SPD, den Grünen oder eben zu Wagenknecht in Verbindung gebracht. Oder aber, sie könnten sich durch die Streitereien der vergangenen Jahre entfremdet haben in die Fraktionslosigkeit zurückziehen. Auch von gleich zwei linken Gruppen ist mitunter die Rede, auch wenn die Parteidisziplin dem im Wege stehen dürfte.
In Thüringen am Schwächeln
Beim Landesparteitag in Chemnitz werden dann Susanne Schaper und Stefan Hartmann zum Spitzenduo für die sächsische Landtagswahl gekürt. Hartmann ist ein Vertrauter von Bartsch. Über die Krankenschwester und Landtagsabgeordnete Schaper heißt es, sie könne viele in der Partei halten, die mit Wagenknecht liebäugeln würden.
Unterstützung erhalten beide an diesem Tag von Bodo Ramelow. Thüringens Ministerpräsident gilt vielen als die letzte Hoffnung der Partei. Sollte er nach der Landtagswahl tatsächlich weiterregieren können – und zwar mit einer Mehrheit – erledigt sich die Debatte um die Zukunft der Linken von allein.
Man müsse „als linke Kraft in der Gesellschaft erkennbar sein“, sagt Ramelow. In der Abspaltung sieht er die Chance, wieder „eine gemeinsame Linie durchzuhalten“. In seiner mehr als halbstündigen Rede bleibt diese Linie allerdings vage: Ramelow springt vom Staatsbürgerkundeunterricht in der DDR zu Gesundheitskiosken, zu falschen Bremssystemen bei Lastzügen.
In Umfragen stagniert Thüringens Linke seit Monaten bei 20 bis 22 Prozent, liegt teilweise hinter der CDU und weit abgeschlagen von der AfD auf Platz drei. Um das zu drehen, braucht es wohl nicht nur ein restauriertes Partei-Image, sondern auch einen Ramelow in besserer Form.
Zumindest mit einem Problem rechnet man nicht: Wie Ramelow auf Nachfrage erklärt, glaube er nicht, dass das BSW in Thüringen antreten wird. „Das schafft sie nicht“, sagt Ramelow über Wagenknecht.