„Wir haben erheblichen Druck“ – Ausländerbehörden im Land überlastet

„Wir haben erheblichen Druck“ – Ausländerbehörden im Land überlastet

5. Dezember 2023 Aus Von mvp-web
Entlastung der Ausländerbehörden: Mehr Personal, Mentalitätswechsel und  schnelle Maßnahmen | PRO ASYLStand: 04.12.2023 17:54 Uhr

Mehr Einwanderung, mehr Gesetze: Ausländerbehörden in Mecklenburg-Vorpommern kommen an ihre Grenzen. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung ist die Situation in ganz Deutschland problematisch.

Die Ausländerbehörden in Mecklenburg-Vorpommern kämpfen aktuell mit einem stark erhöhten Aufkommen. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge stehen die Ausländerbehörden in der gesamten Bundesrepublik vor Problemen. Die Folge: lange Wartezeiten, nicht bearbeitete Anträge und mangelnde Erreichbarkeit.

Vollgepackte Terminkalender in Wismar

Im Landkreis Nordwestmecklenburg leben etwa 10.000 Ausländer. Von der Duldung bis hin zur Abschiebung, von Fragen zur Arbeitserlaubnis bis hin zur Deutschen Staatsbürgerschaft: Um all diese Themen kümmern sich die Mitarbeiter in der Ausländebehörde des Landkreises in Wismar. Die Belastung ist hoch. Wer persönlich beraten werden möchte, braucht einen Termin an einem der Sprechtage. Sachbearbeiter T. Gierke hat an einem Vormittag Ende November sieben Fälle, überwiegend Datenaufnahmen – also Fotos, Fingerabdrücke und persönliche Daten. Am Nachmittag kommen vier weitere Termine hinzu – und damit ist es oft noch nicht getan. „Es ist natürlich auch jederzeit möglich, dass ein Fall reinkommt, der einfach unvorhergesehen ist. Das kann vom Haftfall bis zum illegal Aufgegriffenen, kann das alles Mögliche sein“, erläutert Gierke. Er kümmert sich ausschließlich um das Thema Asyl – die meisten Menschen, die er und seine Kollegen betreuen, kommen aus Syrien, Afghanistan, der Ukraine und der Türkei.

Etwa 1.000 Menschen pro Mitarbeiter

Insgesamt verfügt Gierkes Abteilung über 15 Mitarbeitende. Im Schnitt betreut jeder von ihnen rund 1.000 Menschen. Einem Richtwert für die Sachbearbeiter nach sollten es eigentlich nur 400 sein. Gierke macht seinen Job bereits seit 18 Jahren, in denen die Arbeitslast enorm gestiegen sei. Vor knapp zehn Jahren hätte die Ausländerbehörde sich noch um etwa 3.500 Menschen gekümmert, jetzt seien es fast 10.000, sagt Gierkes Vorgesetzter Martin Helbig. Dem Fachdienstleiter Ordnung, Sicherheit und Straßenverkehr im Landratsamt zufolge kommen Behörde und Mitarbeitende an ihre Grenzen. „Wir haben erheblichen Druck. Wir haben eine Überlastungssituation, die wir auch nicht mehr wegdiskutiert bekommen, die wir auch trotz größtem Einsatz – und das sind wahnsinnig engagierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – nicht gelöst bekommen“, so Helbig. Die Situation sei „fast katastrophal“, das Aufkommen „kaum zu beherrschen“.

Mehr als zehn Prozent der Behörden telefonisch nicht erreichbar

Kein Einzelfall: In einer Bertelsmann-Studie vom Oktober heißt es, dass 92 Prozent der befragten Ausländerbehörden in Deutschland angaben, die Arbeitslast habe sich in den vergangenen Jahren „stark erhöht“. Mehr als zehn Prozent sind demnach telefonisch gar nicht mehr erreichbar. Etwa 50 Prozent könne nur noch zu festen Sprechzeiten auf Anrufe reagieren. 31 Prozent der Behörden gaben an, dass Bürger im Durchschnitt bei ihnen zwei Monate auf einen Termin warten müssten, elf Prozent der Behörden sprachen sogar von drei Monaten oder mehr. Die Studie wurde von Hannes Schammann und Sybille Münch von der Universität Hildesheim und Thorsten Schlee von der Universität Duisburg-Essen erarbeitet. Als Datengrundlage dienten qualitative Interviews, Plenarprotokolle und eine Umfrage unter 90 Ausländerbehörden.

Schleppende Digitalisierung bremst Behörden

Neben dem Anstieg der Einwanderungszahlen müssen die Behörden sich der Studie zufolge auch mit zahlreichen neuen Gesetzesinitiativen, der allgemeinen Komplexität des Rechtsbereichs und einer kaum fortgeschrittenen Digitalisierung auseinandersetzen. So käme es etwa zu unnötigen Mehrfachprüfungen von Dokumenten, die bereits von einer anderen Behörde, wie etwa dem Jobcenter, gesichtet wurden. Nur rund ein Viertel der Ausländerbehörden verfüge über die Möglichkeit digitaler Antragstellung. Digitalisierung werde zudem vielerorts als Belastung gesehen, manche Prozesse würden daher – zumindest vorübergehend – sogar verlangsamt. Hier ist Wismar schon weiter – Die Ausländerbehörde dort war die erste im Land, die vollständig mit der E-Akte arbeitete.