1. Die CDU bekäme mit Merz den ersten Vorsitzenden, der nicht der Parteihierarchie entspringt, der als Multiaufsichtsrat und Wirtschaftsanwalt neun Jahre lang das Leben eines politischen Aussteigers lebte und seinen Hut nun über die Köpfe der Parteifunktionäre hinweg in den Ring wirft. Die Disruption hat damit das politische System der Bundesrepublik erreicht.
2. Dass Merz von der Partei nicht als Außenseiter, sondern als Rückkehrer empfunden wird, liegt nicht nur an ihm, sondern vor allem an Merkel. Sie regiert Deutschland seit 13 Jahren links der Union. Sie hat den Markenkern der bürgerlichen Volkspartei nicht aufgelöst, aber immer wieder ohne Betäubung angebohrt. Die Nerven der CDU sind mittlerweile derart strapaziert, das Merz mit seiner Wirtschaftsnähe und Prinzipienfestigkeit nicht mehr aufpeitschend, sondern beruhigend wirkt. Die Partei schaut ihm ins Gesicht – und erkennt sich selbst.
3. Friedrich Merz besitzt den Willen zur Wahrheit. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit und ist doch in unseren Tagen eine Eigenschaft, die viele Berufspolitiker für eine Dummheit halten. Die Wahrheit wird von ihnen so lange gegen das Licht der eigenen Interessen gehalten, bis sie sich rosarot verfärbt. Mit dem bizarren Ergebnis: Der Westen steigt ab und große Teile der politischen Klasse leben im Zustand der vorsätzlichen Umnachtung. Keine Gegenwehr nirgends. Merz ist das weiße Schaf einer fast durchgängig schwarzen Herde.
5. Merz, das macht ihn für die Wirtschaft attraktiv, braucht keine Nachschulung in Sachen Ökonomie. Und eine Schonfrist von hundert Tagen benötigt er auch nicht. Sein Lebensweg vom Europaparlament über die Fraktionsführung der Union im Bundestag bis in die Chefetagen der Wirtschaft war ein Ausbildungsgang, wie ihn keine Universität anbietet. Er wäre ein Kanzler für den Sofortgebrauch.
6. Durch seine internationalen Kontakte, die von der Hochfinanz an der Wall Street und in der Londoner „City“ bis in die Reihen amerikanischer Senatoren reichen, käme ein wahrer Globalist ins Amt. In der Riege der deutschen Regierungschefs dominierte bisher der Typus des weltoffenen Provinzlers, auch wenn der Hanseat und spätere Weltökonom Helmut Schmidt dies natürlich bestritten hätte.
7. Die deutsche Wirtschaft bekäme den Kanzler, den sie jetzt braucht. Merz wäre nicht ihr Liebediener und Lobbyist, sondern ihr Transformator. Durch seine Arbeit beim Vermögensverwalter Blackrock, der an den wichtigsten Firmen des Landes beteiligt ist und tiefe Einblicke in deren Strategien besitzt, kennt er die Digitalisierungsdefizite und Erschöpfungszustände der deutschen Schlüsselindustrien. Die Frankfurter Großbanken sind nur noch ein Schatten ihrer selbst, die Medienbranche wurde von Google & Co. international deklassiert, die Energiewirtschaft leidet an der überstürzten Energiewende und die Automobilindustrie ist drauf und dran, das Zeitalter der Elektromobilität zu verpassen. Merz‘ vornehmste innenpolitische Aufgabe wäre die der Zukunftssicherung.
10. Die Große Koalition als Heimstatt parteipolitischer Gemütlichkeit hätte unter Merz ausgedient. Grüne und Liberale sollten sich jetzt schon aufs Regieren in einer Modernisierungskoalition vorbereiten. Grünen-Chef Robert Habeck und FDP-Vorsitzender Christian Lindner würden sich nicht nur bei Anne Will, sondern am Kabinettstisch duellieren. Berlin würde zur Stadt ohne Ausreden. Und Deutschland würde endlich in die Moderne aufbrechen. Oder um es mit Henry Kissinger zu sagen: „Die Aufgabe eines guten Staatsmannes ist es, sein Volk dorthin zu führen, wo es noch nie war.“