“ liveblog “ Krieg im Nahen Osten 07.10.23 – Tag 77 ++ Kein funktionierendes Krankenhaus in Nord-Gaza ++
21. Dezember 2023Im Norden des Gazastreifens gibt es laut WHO kein betriebsfähiges Krankenhaus mehr. Israel hat nach UN-Angaben großflächige Evakuierungen der Stadt Chan Yunis im Süden des Gazastreifens angeordnet.
- WHO: Kein funktionierendes Krankenhaus in Nord-Gaza mehr
- UN: Israel ordnet weitere Evakuierungen in Chan Yunis an
- UN-Sicherheitsrat verschiebt erneut Resolutionsvotum
- Libanon meldet israelische Angriffe im Landesinneren
13:05 Uhr
Raketenangriff auf Tel Aviv
Die Al-Kassam-Brigaden haben nach eigenen Angaben eine Raketensalve auf Tel Aviv abgefeuert. Der bewaffnete Flügel der Hamas teilte dies über den Messengerdienst Telegram mit. In Tel Aviv heulten Sirenen auf. Ein Kamerateam der Nachrichtenagentur Reuters berichtete, Raketen seien über der Stadt abgefangen worden. Ein Fernsehsender zeigte Aufnahmen von Raketenstarts im Gazastreifen. Berichte über Opfer oder Schäden liegen zunächst nicht vor.
Details zu Hamas-Tunnelsystem
Die israelische Armee hat Details und Bilder von dem Tunnelsystem der Terrororganisation Hamas veröffentlicht. Der weitläufige Komplex sei während des Angriffs auf Israel am 7. Oktober genutzt worden.
Israel veröffentlicht Details zum Tunnelsystem in Gaza-Stadt – letztes Krankenhaus in Nord-Gaza geschlossen
Hamas: Erst nach Ende der Aggression über Gefangenaustausch reden
Die Hamas macht ein vollständiges Ende der israelischen „Aggression“ zur Bedingung für Verhandlungen über den Austausch von Geiseln und Gefangenen. „Es gibt eine palästinensische nationale Entscheidung, dass es keine Gespräche über Gefangene oder Austauschabkommen geben soll, außer nach einem vollständigen Ende der Aggression“, heißt es in einer Erklärung der radikalislamischen Palästinenser-Organisation. Die Hamas hält noch mehrere Geiseln, ebenso wie die kleinere militante Palästinenser-Gruppe Islamischer Dschihad. Zuletzt hatten die Bemühungen um eine neue Feuerpause im Gazastreifen scheinbar an Fahrt gewonnen. Insidern zufolge sollte dabei neben einer Waffenruhe auch der Austausch von Geiseln und palästinensischen Gefangenen diskutiert werden.
Großbritannien drängt auf Hilfslieferungen per Schiff nach Gaza
Der britische Außenminister David Cameron drängt auf mehr Hilfslieferungen per Schiff nach Gaza. Man arbeite daran, dass künftig britische Schiffe Hilfslieferungen von Zypern aus nach Gaza bringen können, sagte Cameron nach einem Treffen mit dem ägyptischen Außenminister Samih Schukri. Alles was getan werden könne, müsse auch getan werden, um den Menschen im Gazastreifen zu helfen, betonte Cameron. „Humanitäre Hilfen sind die absolute Priorität.“ Es sei positiv, dass am Mittwoch erstmals auch Hilfslieferungen von Jordanien über Israel nach Gaza gelangt seien. Auch dieser Weg müsse ausgebaut werden. Israels Außenminister Eli Cohen hatte am Mittwoch bei einem Besuch auf Zypern erklärt, dass derzeit die Einzelheiten geklärt würden.
Israel untersucht Tod eines palästinensischen Häftlings
Die israelische Polizei hat im Zuge einer Untersuchung des Todes eines palästinensischen Häftlings, der infolge mutmaßlicher Gewalttätigkeiten gestorben war, 19 Gefängniswärter verhört. Nach Abschluss ihrer Verhöre seien die Wärter „unter strengen Auflagen“ freigelassen worden, sagte eine Polizeisprecherin. Hintergrund der Untersuchung sei ein „mutmaßlich gewalttätiger Vorfall“, der sich vor etwa einem Monat in einem Gefängnis im Süden des Landes ereignet habe. Details nannte die Sprecherin unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht. Auch eine Sprecherin der israelischen Gefängnisbehörde wollte sich auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP zum dem Vorfall nicht äußern. Nach Berichten der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa kam der inhaftierte 38-jährige Thaer Abu Assab aus dem Norden des Westjordanlandes im November ums Leben, nach dem er von Wärtern des Gefängnisses geschlagen worden war.
Deutsche Familie in Gaza getötet? Staatsanwaltschaft ermittelt
Die Staatsanwaltschaft in Dortmund hat ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet, um Erkenntnisse zum Fall einer mutmaßlich im Gaza-Krieg getöteten deutschen Familie zu gewinnen. Die zuletzt in Dortmund wohnhafte sechsköpfige Familie soll unbestätigten Berichten zufolge bei einem Aufenthalt im Gazastreifen Ende Oktober ums Leben gekommen sein, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Anfrage. Eine Rakete soll das Haus getroffen haben, in dem sich das Ehepaar mit seinen vier Kindern befunden habe. Zuvor hatte der WDR von den aufgenommenen Ermittlungen berichtet.
Der Staatsanwalt erläuterte zu dem Verfahren, man prüfe, ob die Familie tatsächlich zu Tode gekommen sei und welche Umstände im diesem Fall dazu geführt hätten. Ein Bruder des Familienvaters habe angegeben, dass dieser zusammen mit seiner Ehefrau und den vier Kindern im Gazastreifen bei einem Raketenangriff getötet worden sei. Dafür gebe es bisher keine Bestätigung. Die Staatsanwaltschaft versuche nun, dazu neue Erkenntnisse zu erlangen.
Hamas: Vier Tote bei israelischem Luftangriff in Rafah
Bei einem israelischen Luftangriff in Rafah sind nach Angaben der Hamas vier Menschen ums Leben gekommen. Darunter sei Bassam Ghaben, zuständig für den kommerziellen Grenzübergang Kerem Schalom, erklären die Islamisten und die ihnen unterstellten Gesundheitsbehörden. Der Angriff habe nahe des Übergangs stattgefunden. Das israelische Militär erklärte, man sei „mit dem Vorgang nicht vertraut“.
WHO: Kein funktionierendes Krankenhaus in Nord-Gaza
Im Norden des Gazastreifens gibt es nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kein betriebsfähiges Krankenhaus mehr. Es fehlten Treibstoff, Mitarbeiter und Materialien, erklärt der WHO-Vertreter im Gazastreifen, Richard Peeperkorn, in einer Online-Pressekonferenz. Die Al-Ahli-Klinik sei die letzte gewesen, sie sei aber nun auch nur noch minimal funktionsfähig.
Patienten würden nicht nur wegen mangelnder medizinischer Versorgung sterben, sagte WHO-Hilfskoordinator Sean Casey. „Sie verhungern und verdursten“, berichtete er in einer Videoschalte aus Rafah.
Israels Armee: Suchhund-Kamera zeichnete Stimmen von Geiseln auf
Beim Einsatz eines Suchhundes der israelischen Armee im Gazastreifen sind Hilferufe von drei Geiseln aufgezeichnet worden, die fünf Tage später versehentlich von Soldaten erschossen wurden. Der Hund sei während eines Gefechts mit einer Körperkamera in ein Gebäude geschickt worden, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari laut einer in der Nacht veröffentlichen Mitschrift. „Die Terroristen haben auf den Hund geschossen, und von dem Punkt an hörten wir die Stimmen der Geiseln“, sagte Hagari. Die Kamera am Körper des Hundes, der bei dem Einsatz getötet wurde, sei erst am Dienstag gefunden und ausgewertet worden.
Das Gebäude sei etwa einen Kilometer entfernt von dem Ort, wo die Geiseln später erschossen worden seien. Nach Auswertung der Kameraaufnahmen gehe man davon aus, dass die Männer, die die Geiseln festgehalten hätten, bei dem Vorfall getötet worden seien. Daraufhin hätten die Geiseln offenbar aus dem Gebäude fliehen können.
Neue Wasserleitung versorgt Gazastreifen aus Ägypten
Eine neue Pipeline versorgt den Gazastreifen aus Ägypten heraus mit Wasser. Wie die offizielle Nachrichtenagentur der Vereinigten Arabischen Emirate (WAM) mitteilte, sollen täglich rund 2.271 Kubikmeter Meerwasser aus dem Mittelmeer durch drei Entsalzungsanlagen aufbereitet werden. Dadurch könnten bis zu 300.000 Menschen im Gazastreifen mit Wasser versorgt werden. Zum Vergleich: Der Wasserverbrauch in Berlin liegt bei rund 436.000 Kubikmetern pro Tag.
Die Entsalzungsanlagen seien über eine 900 Meter lange Pipeline mit dem Gazastreifen verbunden, berichtete die WAM. Die Anlagen seien von den Vereinigten Arabischen Emiraten finanziert worden.
Libanon: Frau bei israelischem Artilleriebeschuss in Grenzort getötet
Bei israelischem Artilleriebeschuss im Südlibanon ist nach libanesischen Angaben eine Frau getötet worden. Die libanesische Nachrichtenagentur NNA berichtete, bei einem direkten Treffer in ihrem Haus in dem Grenzort Marun al-Ras sei auch ihr Ehemann verletzt worden. Beide seien ältere Leute in ihren 70ern.
Die israelische Armee bestätigte Artillerieangriffe im Libanon. In der Nacht und am Morgen habe die Luftwaffe erneut Stellungen der Schiitenmiliz Hisbollah angegriffen. Es seien „Terrorinfrastruktur“ sowie eine Raketen-Abschussrampe getroffen worden. Diese sei bei Raketenangriffen aus dem Libanon auf israelisches Gebiet eingesetzt worden.
UN: Israel ordnet weitere Evakuierungen in Chan Yunis an
Israel hat nach Angaben der Vereinten Nationen weitere großflächige Evakuierungen der Stadt Chan Yunis im Süden des Gazastreifens angeordnet. Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) erklärte, Israel habe am Mittwoch Karten veröffentlicht, in denen rund 20 Prozent des Stadtgebiets neu als zu räumendes Gebiet ausgezeichnet würden.
In dem Gebiet lebten nach Angaben der UN vor Beginn der Kämpfe zwischen Israel und der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas mehr als 110.000 Menschen. Außerdem befinden sich in dem Gebiet demnach 32 Notunterkünfte, in denen mehr als 140.000 Binnenflüchtlinge lebten, die meisten von ihnen aus dem Norden des Gazastreifens.
Graue Flächen: Bebaute Flächen im Gazastreifen. Schraffur: Israelische Armee
Libanon meldet israelische Luftangriffe auf Ziele im Landesinneren
Die israelische Luftwaffe hat laut libanesischen Staatsmedien Ziele im Libanon angegriffen. Am Abend sei ein Waldgebiet nahe der Stadt Buslaja, das sich mehr als 20 Kilometer von der Grenze entfernt befindet, beschossen worden, hieß es in dem Bericht. Am Mittwoch meldete die israelische Armee, sie habe Luftangriffe auf militärische Einrichtungen der Hisbollah geflogen. Dabei seien unter anderem ein Kommandozentrum und ein Waffenlager der Schiitenmiliz getroffen worden.
Die Hisbollah erklärte, sie habe Boden-Luft-Raketen auf israelische Militärhubschrauber abgefeuert. Am Mittwoch meldete die staatliche libanesische Nachrichtenagentur NNA zudem, ein israelischer Scharfschütze habe nahe der Grenzstadt Kfar Kila einen in einem Auto sitzenden Mann erschossen. Dieser wurde von der Hisbollah, die in der Regel Todesfälle unter ihren Kämpfern publik macht, nicht als eines ihrer Mitglieder identifiziert. Am Abend erklärte die Schiitenmiliz dann, einer ihrer Kämpfer sei bei einem israelischen Luftangriff auf ein Haus in Markaba getötet worden.
UN-Sicherheitsrat verschiebt abermals Votum über Gaza-Resolution
Erneut hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein geplantes Votum über eine Resolution zum Gaza-Krieg verschoben. Auch am Mittwoch wurde im höchsten UN-Gremium um den Text der Vorlage gerungen. Die US-Regierung will Änderungen am Wortlaut durchsetzen, damit sie sich nicht zu einem Veto gezwungen sieht. Als Streitpunkt gilt eine im Entwurf angemahnte „Einstellung der Feindseligkeiten“ zwischen Israel und der terroristischen Hamas, die den Krieg mit dem Großangriff im Süden Israels am 7. Oktober ausgelöst hat.
Unstimmigkeit herrscht im Sicherheitsrat auch über eine Forderung im Text, wonach die UN exklusiv mit der Inspektion von Hilfslieferungen in den Gazastreifen betraut werden sollen. Dagegen wehrt sich Israel, das die Güter vor deren Transport ins Küstengebiet begutachtet. Ein Diplomat erklärte unter Zusicherung von Anonymität, dass die USA und Ägypten aktuell direkt im Gespräch seien, um sicherzustellen, dass jeglicher Kontrollmechanismus für Gaza-Hilfslieferungen für alle Beteiligten funktioniere.