“ liveblog “ Krieg im Nahen Osten 07.10.23 – Tag 86 ++ Beschuss an israelisch-libanesischer Grenze ++
30. Dezember 2023Die israelische Armee hat ihr Bombardement von Zielen im Gazastreifen fortgesetzt. Das US-Außenministerium genehmigt unter Umgehung des Kongresses den Verkauf weiterer Waffen an Israel.
- Berliner Behörden verbieten pro-palästinensische Kundgebung
- Israel: Vierstündige Kampfpause in Lager in Rafah
- Israels Armee setzt Angriffe im Gazastreifen fort
- Blinken umgeht US-Kongress bei Waffendeal mit Israel
- Israelische Armee meldet Angriffe auf Syrien
17:19 Uhr
Damaskus: Sachschaden bei israelischem Luftangriff
Das syrische Verteidigungsministerium meldet eine israelischen Luftangriff südlich von Aleppo. Die israelische „Aggression“ sei vom Mittelmeer ausgegangen und habe sich gegen mehrere Ziele im Raum Aleppo gerichtet. Es sei Sachschaden entstanden.
Die israelische Armee lehnte einen Kommentar ab – wie üblich bei angeblichen Angriffen im Nachbarland.
Raketen- und Artilleriebeschuss im libanesischen Grenzgebiet
Im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon hat es erneut Beschuss gegeben. Aus dem Südlibanon seien mehrere Raketenstarts registriert worden, teilte die israelische Armee mit. Ein verdächtiges Geschoss sei im israelische Luftraum abgefangen worden.
Die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz teilte mit, israelische Soldaten angegriffen zu haben. Man habe eine israelische Stellung mit einer Drohne attackiert.
Die israelische Armee soll daraufhin drei „Terrorgruppen“ im Libanon aus der Luft angegriffen haben. Zudem sei „die operative Infrastruktur der Hisbollah“ attackiert worden. Die libanesische Nachrichtenagentur NNA meldete israelischen Artilleriebeschuss im Südlibanon. Berichte über Verletzte gab es zunächst nicht.
Mutmaßlicher Anschlag mit Auto im Westjordanland
Bei einer mutmaßlichen Autoattacke in der Nähe eines Armeepostens ist im Westjordanland nach israelischen Angaben ein Mensch verletzt worden. Das Opfer soll nach Medienberichten bei Bewusstsein sein.
Der „Terrorist“ in dem Auto sei nach dem Vorfall unweit von Hebron „neutralisiert“ worden, so die Armee. Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums in Ramallah ist der Palästinenser tot.
Die fragile Sicherheitslage im von Israel besetzten Westjordanland hat sich seit Ausbruch des Krieges deutlich verschlechtert. Bei Konfrontationen mit israelischen Soldaten, aber auch Attacken von israelischen Siedlern wurden 306 Palästinenser getötet, wie das Gesundheitsministerium in Ramallah mitteilte.
Bereits 65 Journalisten im Gazastreifen getötet
Nach Angaben des Internationalen Presse-Instituts (IPI) sind seit Ausbruch des Krieges mindestens 65 Journalistinnen und Journalisten getötet worden. „Dies ist die größte Anzahl von Journalisten, die in einem modernen Krieg oder Konflikt in so kurzer Zeit getötet wurden“, teilte das Institut in Wien mit. An Israel und die internationale Gemeinschaft wurde appelliert, dafür zu sorgen, dass Medienvertreter frei und sicher arbeiten können. Journalisten im Gazastreifen mangele es an Nahrungsmitteln, sauberem Wasser, Wasser und zeitweise Kommunikationsmöglichkeiten – genauso wie dem Rest der Zivilbevölkerung.
Bas fordert mehr Engagement gegen Antisemitismus
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat zu mehr Einsatz gegen Antisemitismus aufgerufen. Viele Jüdinnen und Juden fühlten sich derzeit alleingelassen, sagte sie dem Berliner Tagesspiegel: „Sie spüren auch Gleichgültigkeit und fragen sich, warum so wenige gegen den Antisemitismus bei uns im Land protestieren.“ Es müssten sich mehr Menschen gegen Judenhass engagieren.
Zugleich müsse auch das Leid der Menschen im Gazastreifen gesehen werden, sagte Bas. Die Menschen dort würden von der palästinensischen Terrororganisation Hamas als menschliche Schutzschilde missbraucht und lebten im Elend.
Berliner Behörden verbieten pro-palästinensische Kundgebung
Die in Berlin für die Silvesternacht angemeldete pro-palästinensische Kundgebung ist von der Versammlungsbehörde verboten worden. Das teilte die Polizei am Samstagmittag mit. Es bestehe die unmittelbare Gefahr, „dass es bei der Versammlung zu volksverhetzenden, antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichungen, dem Vermitteln von Gewaltbereitschaft und dadurch zu Einschüchterungen sowie Gewalttätigkeiten kommt“, hieß es zur Begründung.
Die Kundgebung war unter dem Motto „No Celebration during Genocide“ („Keine Feiern während eines Völkermordes“) für die Zeit von Silvester 22.30 Uhr bis Neujahr 01.00 Uhr angemeldet worden. Die Veranstalter werfen Israel vor, mit seinem Krieg gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen einen „Völkermord“ zu begehen, was Israel vehement zurückweist.
Israel: Vierstündige Kampfpause in einem Lager in Rafah
Israels Militär hat für Samstag eine vierstündige taktische Kampfpause in einem Lager in Rafah im Süden des Gazastreifens verkündet. Militärische Aktivitäten würden dort aus humanitären Gründen vorübergehend eingestellt, teilte ein Sprecher der Armee auf der Plattform X am Samstag auf Arabisch mit. Dies solle es der Bevölkerung ermöglichen, Vorräte zu besorgen.
Israels Militär hatte zuvor die Einwohner der heftig umkämpften Stadt Chan Junis im Süden des Küstengebiets aufgefordert, sich in Rafah nahe der ägyptischen Grenze in Sicherheit zu bringen. Berichten zufolge sind dort Tausende Palästinenser in Zelten untergekommen.
Israel rückt im Zentrum und Süden des Gazastreifens vor
In der Nacht sind nach Angaben von Bewohnern israelische Panzer weiter in Gebiete im zentralen und südlichen Gazastreifen vorgerückt. Es habe schweren Luft- und Artilleriebeschuss gegeben. Die Kämpfe am Freitagabend und Samstagmorgen hätten sich auf Al-Bureidsch, Nuseirat und Chan Junis konzentriert.
Die Angaben decken sich mit Äußerungen des israelischen Militärs, wonach die Armee dabei ist, sich auf den Süden und mittleren Gazastreifen zu konzentrieren.
Palästinenser drängen nach Fleischlieferung in Geschäfte
Die Versorgungslage im Gazastreifen ist weiterhin sehr schwierig – es mangelt an Lebensmitteln, Medikamenten und nahezu allen Sachen des Alltags. Israel gestattete die Einfuhr von gefrorenem Fleisch aus Ägypten über den Grenzübergang Kerem Schalom in das Küstengebiet. In Rafah führte dies zu einem Ansturm auf die Geschäfte.
Südafrika beschuldigt Israel des Völkermords
Südafrika hat Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag des Völkermords beschuldigt und eine Einstellung der Kämpfe verlangt. In der am Freitag eingereichten Klage ersucht Südafrika das Gericht um eine einstweilige Verfügung, mit der Israel aufgefordert wird, den Militäreinsatz in dem dicht besiedelten Küstengebiet unverzüglich auszusetzen. Israel wies die Anschuldigung eines Genozids am palästinensischen Volk als völlig haltlos zurück und bezeichnete Südafrikas Antrag laut Medienberichten als eine „verabscheuungswürdige“ Ausnutzung des Weltgerichts.
Krankheiten im Gazastreifen breiten sich weiter aus
In den vorübergehenden Unterkünften im Gazastreifen mit Zehntausenden Vertriebenen auf engstem Raum nehmen Krankheiten nach Angaben des UN-Nothilfebüros OCHA weiter zu. Gesundheitsdienste seien schon lange überfordert, und immer wieder neue, von Israel angeordnete Vertreibungen machten ihre Aufgabe noch schwieriger.
Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, listete beim Kurznachrichtendienst X die Krankheitsfälle auf. Danach litten bereits 180.000 Menschen an Atemwegsentzündungen, mehr als 136.000 Kinder unter fünf Jahren an Durchfall. Es gebe mehr als 55.000 Fälle von Läusen und Krätze.
Durchfall ist für Kinder unter fünf Jahren lebensgefährlich, wenn sie nicht behandelt werden, weil der Körper Wasser und wichtige Mineralstoffe verliert. Das UN-Kinderhilfswerk hat nach Angaben von OCHA am Freitag 600.000 Impfdosen in den Gazastreifen geliefert. Damit sollen kleine Kinder trotz des Krieges im nächsten Jahr ihre Routineimpfungen erhalten. Dazu gehören zum Beispiel Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten.
Israels Armee setzt Angriffe im Gazastreifen fort
Die israelische Armee hat ihr Bombardement von Zielen im Gazastreifen fortgesetzt. Wie die Armee am Morgen mitteilte, griffen Kampfflugzeuge im Verbund mit den Bodentruppen und flankiert von der Marine „in verschiedenen Gebieten“ des abgeriegelten Küstenstreifens „terroristische Zellen und Infrastruktur an“. Die Truppen lieferten sich „heftige“ Gefechte mit Terroristen. So habe man im Laufe des vergangenen Tages in der Stadt Gaza im Norden des Küstenstreifens Dutzende von Terroristen getötet, hieß es. Erneut seien im Gazastreifen militärische Anlagen der islamistischen Hamas sowie Waffenlager von den Truppen gesprengt worden.
Graue Flächen: Bebaute Flächen im Gazastreifen. Schraffur: Israelische Armee
Während die Armee nach vorherigen eigenen Angaben dabei ist, im Norden die operative Kontrolle über das Gebiet zu übernehmen, konzentriert sie sich nun auf den Süden und mittleren Gazastreifen. So wurden die Kämpfe vor allem in der südlichen Stadt Chan Junis ausgeweitet. Dort vermutet die Armee in den unterirdischen Tunnel Führungsleute der Hamas. Chan Junis gilt als die Hochburg der Hamas.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Stellen der palästinensischen und der israelischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Expertin: Israelische Kriegsziele „zu ambitioniert“
In Israel setzt sich nach Einschätzung der Nahost-Expertin Lidia Averbukh allmählich die Erkenntnis durch, dass die von der Regierung ausgegebenen Kriegsziele „zu ambitioniert“ seien. „Israel hat zwei definierte Ziele: die Hamas zu zerstören und die Geiseln zu befreien“, sagte die Politikwissenschaftlerin von der Bertelsmann-Stiftung der Nachrichtenagentur AFP. „Wenn das die Bedingungen für ein Ende des Krieges sein sollten, dann könnte dieser Krieg noch eine ganze Weile dauern.“
„Die Hamas zu zerstören und angesichts der komplizierten Kämpfe auch die Geiseln zu befreien, ist sehr schwierig“, sagte die Politikwissenschaftlerin, die an der Universität der Bundeswehr in München unter anderem zum israelischen Rechtssystem forschte. In fast drei Monaten Krieg habe sich gezeigt, „dass es nicht ohne Weiteres geht, die Hamas zu zerstören“. Zudem habe die israelische Führung dieses Ziel von Anfang an auch nicht klar definiert. „Aber selbst wenn es darum geht, die wichtigsten Köpfe der Hamas auszuschalten, könnte auch dieses Vorhaben noch mehrere Monate dauern.“
Für ein Umdenken im festgefahrenen Nahostkonflikt sieht Averbukh derzeit „keine Anhaltspunkte“ – weder bei Israelis noch bei Palästinensern. Derzeit spreche eher vieles dafür, dass der Konflikt sich „verstetigt und vielleicht noch grausamer werden könnte“.
Blinken umgeht US-Kongress bei Waffendeal mit Israel
Das US-Außenministerium hat unter Umgehung des Kongresses den Verkauf weiterer Waffen an Israel im Millionenwert genehmigt. Ohne die sonst bei Rüstungsverkäufen ins Ausland übliche Überprüfung durch den Kongress sei damit grundsätzlich der Verkauf von Waffen im Wert von 147,5 Millionen Dollar (rund 133 Mio Euro) möglich, teilte die zuständige Behörde Defense Security Cooperation Agency in Washington mit. Es gehe um die nationalen Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten, hieß es.
US-Außenminister Antony Blinken begründete die Genehmigung demnach mit einer Notlage, die den sofortigen Verkauf der Rüstungsgüter an Israel erfordere. Er hatte bereits am 9. Dezember in ähnlicher Weise den Kongress umgangen, um einen Waffenverkauf an Israel zu ermöglichen.
Israelische Armee meldet Angriffe auf Syrien
Nach Raketenbeschuss aus Syrien hat die israelische Armee nach eigenen Angaben Angriffe auf das Land ausgeführt. Vor kurzem seien nach dem Ertönen von Luftalarm „im Norden Israels“ zwei Raketen auf offenem Gelände abgestürzt, erklärte die Armee in der Nacht auf Samstag. Das Militär gehe nun gegen den Ursprung des Beschusses vor. Israel sieht die annektierten Golanhöhen als Teil seines Nordbezirks an.
Nach Angaben des syrischen Verteidigungsministeriums und laut syrischen Staatsmedien hatte ein israelischer Angriff am Donnerstag die Hauptstadt Damaskus zum Ziel. Generell äußert sich Israel kaum zu einzelnen Angriffen in Syrien. Es betont aber immer wieder, es werde nicht zulassen, dass sein Erzfeind Iran seine Präsenz in Syrien ausweite.
Teheran ist mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad verbündet. Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 hat Israel das Nachbarland hunderte Male aus der Luft beschossen. Die Angriffe richten sich insbesondere gegen die vom Iran unterstützte libanesische Hisbollah-Miliz, aber auch gegen Stellungen der syrischen Armee.