„analyse“Debatte über Parteiverbot Das AfD-Dilemma
17. Januar 2024Deutschlandweite Demonstrationen und Diskussionen rund um ein mögliches Parteiverbotsverfahren: Politik und Gesellschaft beschäftigen sich wieder vermehrt mit der AfD. Wird die Partei dadurch noch größer?
Seit Bekanntwerden der Recherchen des Netzwerks „Correctiv„ am Mittwoch vergangener Woche reden wieder alle über die AfD. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kündigte an, dass der Bundestag bei einer aktuellen Stunde am Donnerstag über das Geheimtreffen einzelner AfD-Mitglieder unter anderem mit Rechtsextremen in Potsdam debattieren will.
Innenministerin Nancy Faeser legte am Dienstag noch einmal nach. Ein Verbotsverfahren gegen die AfD sei das „schärfste Schwert“, das man zur Verfügung habe. Sie schließe das nicht aus, so die SPD-Politikerin im SWR.
Dilemma Verbotsverfahren
Fast alle Spitzenpolitikerinnen und -politiker haben sich inzwischen zu einem eventuellen Verbotsverfahren geäußert: Der grüne Vizekanzler Robert Habeck schließt ein Verbot nicht aus. CDU-Chef Friedrich Merz hat eine harte Auseinandersetzung mit der AfD angekündigt. SPD Co-Parteichefin Saskia Esken hat sich offen für ein Verbotsverfahren gezeigt.
Tatsächlich ist die AfD außerordentlich gefährlich, sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Uni Kassel. Eigentlich wäre es sinnvoll und notwendig, die Partei zu verbieten. Aber: Ein Verbotsverfahren könne zu einer noch schwierigeren Lage und zu einer Radikalisierung in der Gesellschaft führen, so Schroeder. Ein Erfolg sei nicht garantiert. Deswegen rate er davon ab, ein Verfahren einzuleiten.
Justizminister Marco Buschmann, FDP, sagt dazu: „Würde ein solches Verfahren scheitern, wäre es ein PR-Sieg für die AfD.“ Anders formuliert: Ein Verbotsverfahren, in dessen Zuge sich die Partei als Märtyrer präsentiert, könnte sie noch größer machen. Ein Scheitern erst recht.
Mosaiksteine sammeln
In den tagesthemen hat der Verfassungsrechtler Alexander Thiele von der Business & Law School erklärt, wie ein Verbotsverfahren abläuft. Taten, Aktionen und Worte von AfD Parteimitgliedern und Funktionären würden zusammengesammelt. Diese Mosaiksteine setzten sich dann zu einem Gesamtbild zusammen. Nach den „Correctiv“-Recherchen hält Thiele es „nicht für unwahrscheinlich, dass so ein Parteiverbotsverfahren gute Chancen hätte“.
Eine wichtige Rolle dürfte ein Verhandlungstermin Ende Februar vor dem Oberverwaltungsgericht Münster spielen. Verhandelt wird dort die Frage, ob die AfD bundesweit als rechtsextremer Verdachtsfall gelten darf.
Weidel schaltet auf Attacke um
Am Dienstagnachmittag hat mit Co-Parteichefin Alice Weidel erstmalig eine führende AfD-Politikerin Stellung zur Recherche von „Correctiv“ genommen. Dabei hat sie bestätigt, dass sie sich von ihrem Mitarbeiter Roland Hartwig, der an dem Treffen teilgenommen hat, getrennt hat. Warum, erklärt sie auch auf Nachfrage nicht.
Weidel hat auf Attacke umgeschaltet. Sie spricht im Zusammenhang mit der Recherche von einem „Politik- und Medienskandal“. Den „Correctiv“-Journalisten wirft sie unter anderem „stasiähnliche Geheimdienst- und Zersetzungsmethoden“ vor. Das ARD-Hauptstadtstudio hat erfahren, dass manche in der AfD-Fraktion die Entlassung von Hartwig für einen Fehler halten und darin eine Art Schuldeingeständnis Weidels sehen.
In ihrem Statement spricht sie davon, dass die AfD alle rechtsstaatlichen Mittel ausschöpfen wolle, um zum Beispiel Grenzkontrollen einzuführen. Nicht aufenthaltsberechtigte kriminelle und terrorverdächtige Migranten wolle man ausweisen und abschieben. Unklar bleibt, wen Weidel meint, wenn sie von „missbräuchlich erlangten Staatsbürgerschaften“ spricht, die man aberkennen könne.
Ein zweischneidiges Schwert
Die Pläne der AfD haben Zehntausende Menschen auf die Straße gebracht. Es gibt kaum ein Medium, das nicht über das Thema berichtet, kaum jemand, an dem dieses Thema vorbeigeht. Doch die öffentliche Debatte ist ein zweischneidiges Schwert. Denn so werden die Themen und Thesen der AfD noch präsenter, die Partei noch größer, als sie sowieso aktuell schon ist.
Ferda Ataman, die unabhängige Bundesbeauftrage für Antidiskriminierung warnt: Wenn man nur über die Themen der AfD rede, spiele man der Partei in die Hände. Man müsse auf die Sorgen und Nöte der Menschen eingehen.