„kommentar“ Debatte über AfD-Verbot Der Zeitpunkt ist da
18. Januar 2024In der Diskussion um ein Verbotsverfahren gegen die AfD überwiegt in der Politik die Skepsis. Dafür gibt es gute Argumente. Doch in Zeiten des permanenten Tabubruchs kann die Zivilgesellschaft das Problem nicht allein lösen.
Der frühere Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier ist dagegen, ebenso Bundesfinanzminister Christian Lindner oder CDU-Chef Friedrich Merz. Gegen ein Verbotsverfahren gegen die AfD.
Die Argumente der Verbotsgegner erinnern an die Schulzeit. Schon damals im Geschichts- und Politikunterricht gab es die Argumente gegen Parteiverbote, die jetzt in verschiedenen Variationen wiederkehren. Und das soll überhaupt nicht abwertend klingen. Denn die politischen Argumente gegen Parteiverbote sind auch verfassungsrechtlich sehr bedenkenswert.
Haltungen lassen sich nicht verbieten
Argument Nummer eins: Parteiverbote bekämpfen nur die Symptome und nicht die Ursachen. Verfassungsfeindliche, rechtsextreme Anschauungen sitzen tief in Teilen der deutschen Gesellschaft. Sie haben zu Nazi-Herrschaft, Weltkrieg und Holocaust geführt – und schwelen als rechtsautoritäre Grundhaltungen auch heute noch. Diese tiefsitzenden Haltungen lassen sich nicht einfach verbieten, sondern müssen langfristig angegangen werden.
Argument Nummer zwei: Diese Haltungen langfristig anzugehen ist eine Aufgabe der lebendigen Demokratie, sprich der Gesellschaft. Ein Parteiverbot würde der Gesellschaft diese Aufgabe einfach abnehmen.
Und Argument Nummer drei: Wenn verfassungsfeindliche Parteien nicht verboten sind, dann ist auch die Politik gezwungen, sich mit ihnen in der politischen Arena auseinanderzusetzen. Sie kann nicht einfach mit einem Verbot reinen Tisch machen.
Die ideale Zivilgesellschaft gibt es nicht
Alle diese Argumente sind gute Argumente. Sie setzen auf eine aufgeklärte Zivilgesellschaft, die ihre Probleme mit den Feinden von Freiheit und Demokratie selbst löst.
Doch da liegt auch das Problem: Diese ideale Zivilgesellschaft gibt es nicht – in diesen Zeiten immer weniger. Denn die Öffentlichkeit hat sich rasant gewandelt. TikTok, X und YouTube geben den Takt vor. Und diese Medien sind keine Orte des nachdenklichen Debattierens und Zuhörens. Die Algorithmen von Social Media setzen auf den schnellen Reiz, das laute Pöbeln, den permanenten Tabubruch.
Die AfD bewegt sich in dieser neuen Netz-Öffentlichkeit wie ein Fisch im Wasser. Vorurteile und Gehässigkeiten, kindlicher Trotz, das Einteilen der Welt in Freunde und Feinde, in echte Deutsche und gefährliche Migranten – dieses Schema trifft auf eine Social-Media-Öffentlichkeit, in der Nachdenklichkeit, Differenzierung, Geduld und Empathie immer weniger den Ton angeben. Die demokratische Kultur hat so gelitten, dass die Zivilgesellschaft allein es nicht mehr schafft, Rechtsextremisten von der Macht fernzuhalten.
Schutzschild für Demokratie
Das ist ein bitterer Befund angesichts einer deutschen Geschichte, in der schon einmal eine bürgerliche Gesellschaft die Demokratie preisgegeben und sich dem menschenfeindlichen Wir-gegen-die-Anderen-Faschismus an den Hals geworfen hat. In einer solchen Situation dürfen die Menschen in verantwortlicher Position den Ball nicht nur an die zurückspielen, die jetzt zum Glück gegen die AfD auf die Straße gehen.
Das Grundgesetz ist nicht blind gegenüber dieser Situation. Es verfügt aus gutem Grund über Instrumente der wehrhaften Demokratie wie ein Parteienverbot oder die Grundrechtsverwirkung bei rechtsextremen Agitatoren wie Björn Höcke. Doch den Schutzschild für die Demokratie muss die Politik schaffen. Der Zeitpunkt ist da, genau jetzt.