analyse Nach dem Ausstand der GDL Was der Streik bei der Bahn gekostet hat
29. Januar 2024Der Streik der Lokführer ist beendet, Bahn und GDL verhandeln wieder. Das ist eine gute Nachricht für alle Seiten – nicht zuletzt für die deutsche Wirtschaft. Denn die Schäden sind groß.
Der Aufwand für Stornierungen, Umbuchungen und Ausweichmanöver wegen ausgefallener Bahnverbindungen und Lieferungen ist schwer kalkulierbar. Noch schwieriger ist es, die Kosten für die ganze Volkswirtschaft zu erfassen.
Klar ist: Der Bahnstreik hat massive Schäden bei Privatpersonen, Geschäftsleuten und vor allem im Frachtgeschäft verursacht. Eine Bahnsprecherin sagt, allein bei der direkt bestreikten Deutschen Bahn entstünden Schäden von 25 Millionen Euro am Tag.
Vieles passt nicht in Lkw
Branchen mit regelmäßigen großen Transportmengen sind vom Ausfall der Bahnfracht besonders betroffen: die Stahlindustrie, die Chemische Industrie und die Autoindustrie. Die fünf deutschen Hochöfen brauchen beispielsweise täglich je drei bis vier Güterzüge Erz und Kohle. Ein Hochofen, der erlischt, geht kaputt. Daher ist die Versorgung für die vom Umbau zur Klimaneutralität ohnehin gebeutelten Branche enorm wichtig.
Die Chemische Industrie ist auf Riesenmengen Schüttgütern angewiesen, die sie als Grundstoff herstellt und ausliefern muss oder als Vorprodukte braucht. Allein über Bahnfracht gehen täglich 30.000 Tonnen, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie, Wolfgang Große Entrup.
Schäden im Frachtgeschäft
Bei der Bahnfracht hat die Deutsche Bahn nur noch etwa 40 Prozent Marktanteil. Die meisten Waren werden von privaten Konkurrenten transportiert. Die Bahn ist im Geschäft mit ganzen Zügen für Industriekunden besonders schwach sowie im sogenannten Kombinierten Verkehr. Dabei werden Container teils auf der Straße, teils auf der Schiene transportieren. Doch schon einzelne ausgefallene Züge können erhebliche Konsequenzen haben.
Nach Angaben des Verbands der Autoindustrie werden täglich 12.000 Autos exportiert. Wenn Frachtschiffe einen der knappen und teuren Liegeplätze in einem europäischen Hochseehafen gebucht haben, muss die Ladung wie disponiert angeliefert werden. Auf bestreikte Autofrachtzüge kann nicht gewartet werden. Das Schiff legt unter Umständen halbvoll ab, während irgendwo auf der Strecke ein Zug mit nagelneuen Porsches für Amerika steht. Nach dem Streik kann der nicht einfach weiterfahren und im Hafen abladen. Dort ist kein Platz und bis ein neues Schiff gefunden ist, dauert es.
Fatal ist der Streik im Einzelwagenbetrieb, den die Deutsche Bahn exklusiv anbietet. Dabei werden für kleinere Kunden einzelne Waggons zu Zügen zusammengestellt. Die deutsche Industrie rechnet mit mehr als 140 Produktionsbetrieben, die Einzelwagen brauchen. Es trifft vor allem Unternehmen, die Waren in Containern importieren oder exportieren. „Können diese nicht mehr weitertransportiert werden, werden die Stellplätze in den Häfen knapp“, sagt Florian Block vom Bundesverband Groß- und Außenhandel, „Die Störungen in den Häfen wirkt sich weltweit auf die Lieferketten aus.“
Schon ohne Streik schwierig
Michael Grömling vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) weist darauf hin, dass die Transportketten ohnehin gestört seien. Durch Schießereien im Roten Meer wird der Suez-Kanal nur noch wenig genutzt. Frachtschiffe haben durch den Umweg über die Südspritze Afrikas Verspätungen. Der Bahnstreik bringe die verschobenen Dispositionen weiter in Unordnung. Das habe Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft, sagt Grömling: „Deutschland ist ein großes Transportland.“
„Ich denke, dass durch Zusatzdispositionsaufwand und Mehrkosten von Alternativen erheblicher Aufwand entsteht“, sagt Christian Böttger von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft. Sehr große Schäden oder gar Produktionsausfälle seien aber nicht zu gewärtigen. Industrieverbände halten sich mit genauen Angaben zurück. Manche haben selbst keinen Überblick. Andere deuten an, sich nicht in den Tarifkonflikt einmischen zu wollen – ein öffentlich bekannter hoher Streikschaden könnte die Arbeitgeberseite schneller mürbe machen. In der Metallindustrie stehen dieses Jahr eigene Tarifverhandlungen an. Arbeitgeber möchten vorher deshalb ungern Gewerkschaften kritisieren.
Nicht alle Branchen leiden
IW-Ökonom Grömling greift auf eine frühere Schätzung zurück. Danach kostet ein Streiktag die Volkswirtschaft 100 Millionen Euro. Sein Institut hat dazu keine Zahlen und Grundlagen veröffentlicht, sondern gibt die Schätzung nur auf Anfrage mündlich preis. Viele Volkswirte halten das für zu spekulativ. Grömling gibt zu bedenken, dass bei aller Vorsicht und Zurückhaltung von Wirtschaftswissenschaftlern erwartet werden müsse, zumindest grobe Angaben zu liefern.
Nicht alle Branchen leiden unterm Streik: Taxen, Uber-Fahrer und Autovermieter haben lukrative Tage hinter sich. Aus der Branche der Privatbahnen heißt es, man habe mangels Personal- und Zugkapazität zwar kaum Kunden von der Deutschen Bahn übernehmen können. Doch während der Streiktage seien die Gleise frei gewesen, so dass endlich ohne Verzögerungen geliefert werden konnte.