Beschluss der Bundesländer Wie sinnvoll ist die Bezahlkarte für Asylsuchende?
31. Januar 2024Karte statt Bargeld: 14 Bundesländer haben sich darauf geeinigt, eine Bezahlkarte für Asylsuchende einzuführen – zwei gehen einen eigenen Weg. Die Länder versprechen sich viel davon. Was sagen Fachleute dazu?
Bereits im November haben die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Bundesländer gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz beschlossen, eine Bezahlkarte für Asylsuchende einzuführen. Nun soll bis zum Sommer in 14 Bundesländern ein gemeinsames Vergabeverfahren abgeschlossen werden. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen die Karte ebenfalls einführen, bei der Vergabe aber eigene Wege gehen.
Das Konzept lautet: Asylsuchende bekommen statt Bargeld eine guthabenbasierte Karte mit Debit-Funktion, mit der sie ihre alltäglichen Ausgaben bezahlen können. Über die Höhe des Barbetrags und über weitere Zusatzfunktionen kann jedes Bundesland selbst entscheiden, die technischen Voraussetzungen der Bezahlkarte sollen aber in allen Ländern einheitlich sein.
Die Bezahlkarte wird nur in Deutschland funktionieren, nicht im Ausland. In manchen Bundesländern könnte ihr Einsatz sogar regional beschränkt werden. Da sie guthabenbasiert ist, kann die Karte auch nicht überzogen werden. Überweisungen sind ausgeschlossen.
Hohe Erwartungen an die Bezahlkarte
Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten versprechen sich davon viel. „Mit der Einführung der Bezahlkarte senken wir den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen, unterbinden die Möglichkeit, Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen, und bekämpfen dadurch die menschenverachtende Schlepperkriminalität“, sagt etwa Hessens CDU-Ministerpräsident Boris Rhein, der derzeit den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz innehat.
Auch Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil weist auf einen geringeren Verwaltungsaufwand bei den Kommunen hin. „Mit einer Bezahlkarte werden Bargeldauszahlungen an Asylbewerberinnen und -bewerber weitgehend entbehrlich“, so der SPD-Politiker. „Gleichzeitig wollen wir den Menschen mit Bleibeperspektive die Aufnahme einer regulären Arbeit erleichtern. Sie sollen möglichst rasch aus dem Transferleistungsbezug herauskommen.“
„Kein entscheidender Pull-Faktor“
Die Bezahlkarte habe durchaus das Potenzial, den Aufnahmeprozess zu vereinfachen und bürokratische Prozesse zu beschleunigen, sagt Politikwissenschaftler Hans Vorländer, der momentan Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration der Bundesregierung ist. An den Ankunftszahlen werde sich dadurch allerdings nach Erwartung des Rats erst einmal nicht viel ändern.
„Aus der Forschung wissen wir, dass Sozialleistungen keinen entscheidenden Pull-Faktor darstellen“, teilt Vorländer auf Anfrage von tagesschau.de mit. Asylsuchende hätten andere Prioritäten. „Wichtig bei der Entscheidung über ein Zielland sind ein stabiles Umfeld, eigene berufliche Chancen sowie persönliche Netzwerke, etwa Familienangehörige oder Freunde, die die Geflüchteten unterstützen können.“
Die Migration nach Deutschland würden Bezahlkarten deshalb nicht grundsätzlich beeinflussen, sagt Vorländer. „Möglicherweise können sie aber Auswirkung auf die Zahl von Asylfolgeanträgen haben.“ Zahlen dafür gebe es noch nicht, das müsse sich erst mit der Umsetzung zeigen.
„Erwarten keine nachweisbaren Effekte“
„Das ordnet sich ein in die Debatte um Pull-Faktoren und zu hohe Sozialleistungen“, sagt auch Sozialwissenschaftler Marcus Engler gegenüber tagesschau.de. Er forscht am Deutschen Zentrum für Migrations- und Integrationsforschung zu deutscher, europäischer und globaler Flüchtlings- und Migrationspolitik.
Das Argument, Fluchtanreize ließen sich durch niedrigere Sozialleistungen senken, werde seit 30 Jahren immer wieder gebracht. „Es gibt aber keine belastbare Evidenz, dass es grundsätzlich so ist, dass die Höhe der Sozialleistungen einen signifikanten Einfluss darauf hat auf die Entscheidung, nach Deutschland zu fliehen.“
Die Umstellung auf Bezahlkarten sei deshalb Symbolpolitik, so Engler. „Viele meiner Kolleginnen und Kollegen erwarten keine nachweisbaren Effekte auf die Fluchtbewegungen nach Deutschland durch die Einführung dieser Karten.“
Am Ende komme es aber auch auf die Details an, Bezahlkarte sei nicht gleich Bezahlkarte. „Je nach Ausgestaltung kann es für die Verwaltung eine Erleichterung sein und auch für die Asylsuchenden. Das kann man erst bewerten, wenn man die konkrete Ausgestaltung sieht. „
„Ganz klar ein Diskriminierungsprogramm“
„Das, was jetzt vereinbart wurde, ist ganz klar ein Diskriminierungsprogramm“, sagt Andrea Kothen, Referentin von Pro Asyl, gegenüber tagesschau.de. „Das Motiv ist klar: Es soll abschrecken, nach Deutschland zu kommen.“ Die Politik gebe damit vor, die Zahl an Asylanträgen senken zu können. Das werde aber nicht passieren.
Kothen ordnet die Bezahlkarte wegen des Abschreckungsmotivs als fragwürdige Maßnahme ein. Das Bundesverfassungsgericht habe 2012 entschieden, dass die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden dürfe. Die Bundesländer blieben in der Pflicht, die Maßnahme diskriminierungsfrei auszugestalten – oder auf die Bezahlkarte ganz zu verzichten.
Pilotprojekte bereits gestartet
In einigen Kommunen wurde die Bezahlkarte bereits eingeführt, etwa im Ortenaukreis in Baden-Württemberg und in mehreren Landkreisen in Thüringen.
Im thüringischen Greiz hat Landrätin Martina Schweinsburg nach gut einem Monat bereits eine erste Bilanz gezogen: Es gebe weniger Verwaltungsaufwand, zufriedene Einzelhändler und eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung, so die CDU-Politikerin.
In dem Landkreis gibt es seit Dezember ein Pilotprojekt mit zunächst 29 Asylsuchenden. Auch bei ihnen sei die Karte weitgehend akzeptiert, sagte Schweinsburg. Klagen gebe es vereinzelt, weil die Karte nur im Landkreis Greiz gültig ist. Nun soll das Modellprojekt auf alle etwa 750 Asylsuchende im Landkreis ausgeweitet werden. Geflüchtete aus der Ukraine sind davon ausgenommen.
Der Thüringer Flüchtlingsrat kritisiert die Maßnahme. Es gebe erhebliche Einschränkungen für die Betroffenen. Sie könnten zwar in Supermärkten bezahlen – beim Friseur, in kleineren Geschäften oder beim Kauf eines Deutschlandtickets gebe es aber Probleme.
„Mit den geringen Leistungssätzen müssen Betroffene jetzt mühselig jonglieren, wo sie die Karte einsetzen können und wie sie Zahlungsaufforderungen gerecht werden können, wenn der Barbetrag aufgebraucht ist“, sagte Ellen Könneker vom Thüringer Flüchtlingsrat dem MDR.