“ liveblog “ Ukraine Tag 722 Sa 17.02.2024 ++ Scholz ruft Europäer zu mehr Ukraine-Hilfe auf ++
17. Februar 2024Bundeskanzler Scholz hat in München die EU-Partner zu mehr Hilfen für die Ukraine aufgerufen. Europa muss nach Einschätzung Litauens seine Fähigkeit zur Selbstverteidigung steigern.
- Von der Leyen kündigt EU-Rüstungsstrategie an
- Selenskyj ruft zu mehr Anstrengungen gegen russischen Angriffskrieg auf
- Scholz: Russland hat „kein einziges“ Kriegsziel erreicht
12:15 Uhr
Stoltenberg: Verzögerung bei US-Hilfe kostet Menschenleben
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat das US-Repräsentantenhaus eindringlich zur Freigabe der von der Regierung von Präsident Joe Biden geplanten Militärhilfen für die Ukraine aufgerufen. „Jede Woche, die wir warten, bedeutet, dass in der Ukraine mehr Menschen an der Front getötet werden“, sagte der Norweger bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Die bislang ausgebliebene neue Unterstützung habe direkte Auswirkungen auf die Lage an der Front in der von Russland angegriffenen Ukraine.
Es sei nicht seine Aufgabe, dem US-Kongress Ratschläge zur Verabschiedung von Gesetzen zu geben, ergänzte Stoltenberg in einer Podiumsdiskussion mit dem republikanischen US-Senator Pete Ricketts und Estlands Regierungschefin Kaja Kallas. Er könne aber sagen, dass die USA unbedingt das Hilfspaket für die Ukraine beschließen müssten. Das Land müsse halten, was es versprochen habe. Estlands Regierungschefin Kaja Kallas warnte, die Zeit arbeite für Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
Von der Leyen kündigt EU-Rüstungsstrategie an
Die EU-Kommission wird nach Angaben ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen in drei Wochen eine Strategie zu einer gemeinsamen Rüstungspolitik der Europäischen Union vorlegen. Dazu nannte von der Leyen vier Punkte: Zum einen müsse Europa mehr Geld ausgeben, und zum Zweiten müssten die Mittel besser eingesetzt werden. Es brauche eine gemeinsame Beschaffung, dazu müssten Rahmenverträge geschlossen werden, auch um die Interoperabilität der Systeme in der EU zu verbessern.
Drittens müsse gezielt eine europäische Rüstungsindustrie mit guten Arbeitsplätzen geschaffen werden, sagte die CDU-Politikerin und verwies auf die Produktion von „Patriot“-Flugabwehrsystemen. Viertens müsse die EU genau hinschauen, was in der Ukraine gebraucht werde, um die Ressourcen gezielt einzusetzen. Russland sei derzeit in der Masse überlegen, Tausende junge Männer würden geopfert. „Wir müssen klüger sein als Russland“, betonte von der Leyen. Dazu werde die EU-Kommission demnächst ein Koordinierungs-Büro in Kiew eröffnen.
Stoltenberg: USA müssen Ukraine liefern, „was sie versprochen haben“
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die USA aufgefordert, der Ukraine zu liefern, „was sie versprochen haben“. Es bestehe eine „absolute Notwendigkeit“ für den US-Kongress, „so schnell wie möglich“ über die Militärhilfen für Kiew zu entscheiden, sagte Stoltenberg auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Ein entsprechendes Hilfspaket im Wert von 60 Milliarden Dollar (rund 55,7 Milliarden Euro) wird seit Wochen im Kongress in Washington blockiert. Die Ukraine brauche die Hilfe, argumentierte Stoltenberg. Je länger die Verabschiedung des Gesetzes in den USA dauere, desto mehr Menschen würden an der Front in der Ukraine sterben, betonte er.
Selenskyj begründet Rückzug aus Awdijiwka mit Schutz von Menschenleben
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat den Rückzug aus der seit Monaten hart umkämpften ostukrainischen Stadt Awdijiwka mit dem Schutz von Menschenleben begründet. Es handele sich um eine „professionelle Entscheidung, um so viele Leben wie möglich zu retten“, sagte Selenskyj bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Für die russische Armee bedeute dies jedoch keinen Vorteil: „Die Entscheidung für den Rückzug wurde getroffen, aber Russland hat damit nichts gewonnen“, betonte er.
Weiter machte der Präsident den Mangel an Artillerie und Waffen mit hoher Reichweite für ausbleibende Erfolge der Ukraine verantwortlich. Dieses „künstliche Waffendefizit“ führe dazu, „dass aktuell mit dieser hohen Intensität nicht gekämpft werden kann“.
Selenskyj: Müssen jetzt handeln
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Unterstützer seines Landes zu verstärkten Anstrengungen gegen die russische Aggression und Präsident Wladimir Putin aufgerufen. „Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es Putin gelingen, die nächsten Jahre zur Katastrophe zu machen“, sagte Selenskyj auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Selenskyj warnte, je länger der Krieg dauere, desto größer sei die Gefahr einer Ausweitung sowie einer weiteren Beschädigung der internationalen Ordnung.
Russland habe nach seinen Worten nur einen entscheidenden Vorteil: „Menschliches Leben hat keinen Wert für den russischen Staat“, sagt Selenskyj. „Putin tötet, wen auch immer er will.“ Erst gestern habe Putin eine klare Botschaft an die Sicherheitskonferenz übermittelt, indem er einen russischen Oppositionellen ermordet habe, sagte Selenskyj mit Blick auf den Tod des inhaftierten Regierungskritikers Alexej Nawalny. „Putin ist eine Gefahr für alle freien Nationen.“ Es müsse klar sein, dass es für die Zukunft Putins nur zwei Optionen gebe: Entweder der russische Präsident lande vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder er werde getötet.
Scholz: Russland hat „kein einziges“ Kriegsziel erreicht
Russland hat nach den Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz „kein einziges seiner Kriegsziele“ in der Ukraine erreicht. Trotz „enormer eigener Verluste“ seien allerdings „wesentliche Teile der russischen Streitkräfte intakt“, sagte Scholz auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Deutschland sei daher „entschlossen“, den Weg der Unterstützung für die Ukraine weiterzugehen.
Für das laufende Jahr habe Deutschland seine Militärhilfe auf mehr als sieben Milliarden Euro nahezu verdoppelt. Zusagen für die kommenden Jahre beliefen sich auf sechs Milliarden. „Ich wünsche mir sehr – und ich werbe gemeinsam mit einigen anderen europäischen Kolleginnen und Kollegen auch hier ganz eindringlich dafür -, dass ähnliche Entscheidungen in allen EU-Hauptstädten getroffen werden“, sagte der Kanzler. Er wisse, dass dies einigen EU-Regierungen nicht leicht falle.
EU stellt Ukraine mehr Munition in Aussicht
Die EU-Kommission stellt der Ukraine nach anfänglichen Lieferproblemen ab 2025 bis zu zwei Millionen Artilleriegranaten jährlich in Aussicht. „Bis zum Zieldatum März können wir immerhin bereits 500.200 Schuss Artilleriemunition liefern“, sagte Finanzkommissar Johannes Hahn der Augsburger Allgemeinen. „Wir werden bis Jahresende so große Produktionskapazitäten haben, dass wir ab nächstem Jahr zwei Millionen Artilleriegranaten produzieren können“, fügte er hinzu.
Hahn räumte ein, dass die EU ihr im März gemachtes Versprechen der Lieferung von einer Million Schuss im vergangenen Jahr wegen Produktionsproblemen nicht erfüllen konnte. „Munition wurde immer nur nach Bedarf produziert. Deshalb haben wir in der Vergangenheit viele Produktionskapazitäten abgebaut, die wir jetzt wieder aufbauen müssen“, erklärte er.
Selenskyj-Rede in München
Am zweiten Tag der Münchner Sicherheitskonferenz wird es auch um den Krieg gegen die Ukraine gehen. Bundeskanzler Olaf Scholz eröffnet die Veranstaltung. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird persönlich erscheinen. Sein Land braucht dringend Unterstützung gegen die russischen Angreifer. Im vergangenen Jahr konnte Selenskyj wegen des Krieges mit Russland nur per Video zugeschaltet werden.
US-Vizepräsidentin Kamala Harris will mit Scholz und Selenskyj auch hinter verschlossenen Türen sprechen.
Syrskyj: Truppen aus Awdijiwka abgezogen
Die ukrainische Armee zieht sich im Krieg gegen die russischen Invasoren aus der seit Monaten umkämpften ukrainischen Stadt Awdijiwka zurück. „Angesichts der operativen Lage um Awdijiwka habe ich beschlossen, unsere Einheiten aus der Stadt abzuziehen und auf günstigeren Linien in die Verteidigung zu gehen, um eine Einkreisung zu vermeiden und das Leben und die Gesundheit der Soldaten zu schützen“, schrieb der neue ukrainische Armeeführer Oleksandr Syrskyj auf der Plattform X.
Schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Ukrainische Soldaten in Awdijiwka gefangen genommen
Bei den Kämpfen um die ostukrainische Stadt Awdijiwka haben russische Streitkräfte nach Angaben Kiews mehrere ukrainische Soldaten gefangen genommen. Der ukrainische General Oleksandr Tarnawskij schrieb bei Telegram, die ukrainischen Soldaten hätten sich von einigen Stellungen zurückgezogen und „wo nötig“ neue Stellungen bezogen. „Leider wurden bei einem dieser Einsätze mehrere unserer Soldaten gefangen genommen“, fügte Tarnawskij hinzu.
Der für den Frontabschnitt zuständige General hatte zuvor „erbitterte Kämpfe“ in Awdijiwka gemeldet. „Unsere Truppen nutzen alle verfügbaren Kräfte und Mittel, um den Feind zurückzudrängen“, schrieb Tarnawskij. Die Lage in Awdijiwka sei „schwierig“, aber unter Kontrolle. Neue Stellungen würden vorbereitet. Später am Freitag teilte Tarnawskij dann mit, die Armee ziehe sich von einer Stellung im Süden von Awdijiwka zurück. Russland versucht seit Monaten, Awdijiwka einzunehmen.
Simonyte: Europäische Fähigkeiten zur Selbstverteidigung erhöhen
Europa muss nach Einschätzung der Ministerpräsidentin Litauens seine Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhöhen. Zur militärischen Bedrohung durch Russland sagt Ingrida Simonyte im tagesthemen-Interview, der Angriff Russlands auf ein NATO-Land sei eine Frage „des politischen Willens und der militärischen Fähigkeiten“. Es gebe einen politischen Willen und „die Bereitschaft für eine langfristige Konfrontation mit der NATO“. Im Westen habe man „viel zu lange darüber diskutiert, ob Russland tatsächlich eine Bedrohung darstellt oder ob die baltischen Staaten sich das nur eingebildet haben“.
Die Entwicklung der nächsten fünf Jahre werde stark davon abhängen, „wie sich die Dinge 2024 in der Ukraine entwickeln“. Jetzt würde man sehen, „was es bedeutet, dass wir nicht ausreichend industrielle Kapazitäten in Europa haben, um die Ukraine zu unterstützen“, sagt Simonyte mit Blick auf die fehlende Munitions- und Waffenproduktion. Die europäische Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, müsse erhöht werden.