Antisemitismus an Hochschulen „Ich könnte derzeit den Campus nicht betreten“
17. Februar 2024An deutschen Hochschulen häufen sich antisemitische Vorfälle. Jüdische Studierende in Berlin fühlen sich nicht mehr sicher. Was können die Unis tun?
Hanna Veiler sitzt in einem Büro der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und erzählt ruhig, wie ihre Welt sich seit dem 7. Oktober verändert hat. Dem Tag, an dem die Hamas Soldaten und Zivilisten in Israel überfiel und mehr als 1.000 Menschen tötete.
„Wir sehen Universitäten, die absolut ratlos sind und keine Mechanismen haben, um den derzeitigen Antisemitismus zu bekämpfen“, sagt sie. Wöchentlich gebe es Blockaden vermeintlich pro-palästinensischer Veranstaltungen und Hörsaalbesetzungen: „Man braucht den Campus nur zu betreten und sieht Flyer und Plakate mit antisemitischen Inhalten.“
Zum Beispiel würden Karten von Israel komplett in palästinensischen Farben ausgemalt – eine kaum verhohlene Negierung des Existenzrechts des Staates. Flyer mit Aufrufen zur Intifada würden ausgelegt oder Plakate, auf denen tote israelische Soldaten zu sehen sind. Seit dem 7. Oktober sei es schwer für jüdische Studenten, sich sicher zu fühlen, sagt Veiler. Hinzu kämen permanente Hasstiraden und Anfeindungen, meist online.
Konkret bedroht
„Ich könnte derzeit einen Campus wie den der Freien Universität oder der Universität der Künste nicht betreten. Weil konkrete Bedrohungen da sind“, sagt sie. Vor einer Woche erst sei wieder so ein Brief angekommen: „Da stand so was drin wie: Ich kann es kaum erwarten, dich durch den Schornstein von Auschwitz jagen zu lassen.“ Solche Drohungen würden auch andere Mitglieder der JSUD erhalten.
Und offenbar bleibt es nicht bei Worten. Spätestens seit die Berliner Staatsanwaltschaft gegen einen Studenten der Freien Universität (FU) ermittelt, weil er einen jüdischen Kommilitonen außerhalb der Hochschule angegriffen und schwer verletzt haben soll, ist die Debatte um die Sicherheit jüdischer Studenten voll entbrannt. Der mutmaßliche Täter erhielt von der FU drei Monate Hausverbot. Die Staatsanwaltschaft geht von einem antisemitischen Hintergrund aus.
Der mutmaßliche Täter solle exmatrikuliert werden, forderten viele. Doch das ist juristisch ausgeschlossen – wegen einer Berliner Besonderheit. 2021 hatte das Abgeordnetenhaus das Hochschulgesetz geändert – und eine Exmatrikulation als mögliche Sanktion gestrichen.
Klaus Herrmann, Professor für Verwaltungsrecht an der BTU Cottbus-Senftenberg sagt: „Im Moment ist ganz klar: Die FU kann den Studenten nicht exmatrikulieren. Dafür besteht derzeit keine Rechtsgrundlage.“
In der Berliner Politik wird diskutiert, ob das alte Gesetz wieder in Kraft treten soll. Doch so einfach lasse sich das Problem nicht lösen, warnt Herrmann: „Auch nach der alten Fassung wäre man voraussichtlich zunächst bei einem Hausverbot gelandet.“ Denn der Vorfall sei ja noch nicht abschließend geklärt.
Erst nach einer strafrechtlichen Verurteilung könne es weitergehende Konsequenzen geben, so Herrmann: „Dann käme bei einer antisemitischen Gewalttat auch eine Exmatrikulation in Betracht.“
Hausverbot für Hörsaalblockaden?
Mehr Spielraum sieht Herrmann für die Universitäten beim Umgang mit Blockaden und Protesten: „Die Hochschule muss einen geordneten Hochschulbetrieb durchführen können. Dazu darf die Hochschule gegen Diskriminierung, gegen gezielte Beschränkung und Unterdrückung anderer Mitglieder vorgehen.“ Auch hier wäre es denkbar, mit Maßnahmen wie Hausverboten gegen Studenten durchzugreifen.
Das aber geschehe nicht, beklagt Hanna Veiler: „Die Unis könnten ihr Hausrecht durchsetzen. Aber Leitungen sind wahnsinnig langsam. Das ist eine Willensfrage.“ Sie habe das Gefühl, dass viele Hochschulen überrascht seien von der Tatsache, dass es Antisemitismus bei ihnen überhaupt gebe – und darüber, woher er komme.
„Gerade an den Universitäten ist es derzeit vor allem der linke Antisemitismus. Und linke Hochschulgruppen arbeiten dabei auch mit islamistischen Organisationen zusammen“, sagt sie. „Ich glaube, dass viele Universitäten gerade vielmehr daran interessiert sind, ihren guten Ruf zu schützen. Und nicht wahrhaben wollen, dass Antisemitismus stattfindet.“
„Zeitnahes“ Handeln
Am Freitag traf sich Berlins Wissenschaftssenatorin mit Vertretern der Berliner Hochschulen. Man habe sich „ausgetauscht“, hieß es von der Senatsverwaltung. Darüber, wie die Hochschulen noch besser vor antisemitischen Übergriffen und Bedrohungslagen geschützt werden können. Auch eine Änderung des Hochschulgesetzes sei diskutiert worden. Die Wissenschaftssenatorin werde „zeitnah einen Entwurf vorlegen“.