Wohl erster Fall in Deutschland Tod nach zweiter Corona-Infektion
20. Januar 202118:09:57
In Baden-Württemberg ist zum ersten Mal ein Mann nach einer erneuten Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Das bestätigte das Landesgesundheitsamt Stuttgart auf Anfrage von WDR, NDR und SZ.
Von Florian Flade und Markus Grill, WDR/NDR
Der 73 Jahre alte Mann aus dem Landkreis Freudenberg in Baden-Württemberg war laut Landesgesundheitsamt im April vergangenen Jahres erstmals am Coronavirus erkrankt. Im Dezember habe er sich dann erneut infiziert und verstarb am 11. Januar diesen Jahres „an einer Covid-19-Lungenentzündung und Sepsis mit Multiorganversagen“, wie das Regierungspräsidium Stuttgart auf Anfrage mitteilte.
Weil er eine lange symptomfreie Phase hatte und jetzt beim zweiten Mal auch seine Ehefrau infiziert sei, seien das „starke Kritierien“ für eine tatsächliche Reinfektion, sagt Christine Wagner-Wiening, stellvertretende Leiterin der Infektionsüberwachung beim Landesgesundheitsamt in Stuttgart, im Gespräch mit WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ (SZ). Zudem habe der Ct-Wert des Mannes bei der zweiten Infektion unter 30 gelegen – das heißt, es waren mehr als möglicherweise nur Viruspartikel einer Erstinfektion. Ct-Werte über 30 gelten als nicht mehr ansteckbar, oft handelt es sich um Virusreste einer früheren Infektion.
Zweite Ansteckung durch Mutation?
Ob sich der Mann, der auch an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung litt, beim zweiten Mal mit dem gleichen Virus oder einer mutierten Form infiziert habe, könne man nicht sagen, weil man die Probe der Erstinfektion vom April nicht mehr habe, also auch nicht analysieren könne, so das Landesgesundheitsamt. Der Landkreis Freudenstadt, in dem der Mann lebte, war zudem der erste Landkreis in Deutschland, in dem die in Großbritannien entdeckte Virusmutation B.1.1.7 auftauchte.
Nach Ansicht des Landesgesundheitsamtes gibt es jedoch „keinen epidemiologischen Hinweis“, dass der Verstorbene mit dieser Mutation in Berührung kam. Deshalb wurde vom örtlichen Gesundheitsamt auch keine genaue Virusanalyse, eine so genannte Genomsequenzierung, in Auftrag gegeben. „Nur bei den Fällen, bei denen eine Reiseverbindung nach Großbritannien, Südafrika oder Irland besteht, würden wir dem Gesundheitsamt Bescheid geben, eine Sequenzierung zu veranlassen“, erläutert Christine Wagner-Wiening vom Landesgesundheitsamt.
Reinfektionen sind ganz selten
Erneute Infektionen mit dem Coronavirus sind bisher selten. Einen weltweit ersten bestätigten Fall gab es im August, als ein Mann aus Hongkong nach einem Aufenthalt in Spanien erneut positiv getestet wurde. Allerdings wurde die Zweitinfektion zufällig bei einem Test am Flughafen entdeckt, da der Mann keine Symptome hatte. Viele Wissenschaftler gehen bisher davon aus, dass erneute Infektionen in der Regel milde verlaufen, da der Körper nach durchgestandener Erstinfektion zumindest über eine Teilimmunität verfügt.
Dass erneute Infektionen zum Tod führen, ist außergewöhnlich. Für das Landesgesundheitsamt in Stuttgart ist dies der erste bekannte Fall. Das Robert Koch-Institut (RKI) teilte auf Anfrage mit, dass Reinfektionen seit einiger Zeit bei der Meldung ans RKI übermittelt werden können und dass derzeit eine Reihe dieser Meldungen überprüft werde.
Weltweit ist es offenbar erst der dritte bekannt gewordene Todesfall nach einer Corona-Reinfektion. Im Oktober war eine 89-jährige Niederländerin verstorben, die allerdings durch eine Krebserkrankung immungeschwächt war. Im Dezember berichtete eine israelische Zeitung, dass dort ein 74-jähriger Bewohner eines Altenheims nach durchstandener Erstinfektion im August sich erneut infizierte und verstarb, obwohl er zwischendurch dreimal negativ getestet worden sei.
Experten warnen schon länger
Immer wieder hatten Fachleute davor gewarnt, dass eine überstandene Infektion mit Sars-CoV-2 nicht zwingend vor einer erneuten Infektion mit dem Virus schützt. Denn Reinfektionen wurden rund um den Erdball immer wieder gemeldet – wenn es auch in der Gesamtzahl nicht viele waren. Allerdings gab es auch Fälle, bei denen eine Reinfektion gar nicht wirklich stattfand; hier waren die Patienten offenbar nur sehr lange infiziert, weil ihre Immunabwehr das Virus anscheinend nicht effektiv bekämpfen konnte, so dass sie als reinfiziert galten. Laut des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) gab es Beobachtungszeiträume von bis zu 104 Tagen.
Aber es gab auch mindestens 15 gesicherte Fälle von Reinfektionen, in denen bei den Patienten nach zunächst positiven PCR-Tests zwischenzeitlich keinerlei Virus mehr nachweisbar war, bevor sie plötzlich wieder positiv waren. Diese Patienten hatten keinerlei immunologische Einschränkungen. In der Regel verlief die zweite Infektion weniger schwer. Antikörper scheinen anfangs nach einer natürlichen Infektion abzunehmen.
Allerdings sind die Gedächtniszellen in der Regel auch nach einem halben Jahr noch aktiv, wie Wissenschaftler um Michel Nussenzweig von der Rockefeller University gerade erst publiziert haben, indem sie das Blut von Infizierten nach einem halben Jahr nachuntersuchten. Die Stärke der Immunantwort könnte auch mit der Erkrankungsschwere zu tun zu haben, es gibt aber dazu noch keine Erkenntnisse.
Folgen für Geimpfte noch unklar
Auch was solche Reinfektionen für Geimpfte bedeuten, ist noch unklar. Allerdings führt die Impfung zu einer um ein Vielfaches stärkeren Immunantwort als die natürliche Infektion. Deshalb hoffen Fachleute, dass der Schutz durch die Impfung länger anhält. Möglicherweise muss aber auch engmaschig nachgeimpft werden.
Für Aufsehen sorgten diese Woche auch Berichte aus Brasilien über eine Virusmqutation, die zu erneuten Infektionen führt. Hartmut Hengel, Leiter der Virologie an der Universität Freiburg, geht davon aus, dass Reinfektionen in Brasilien sogar „verbreitet“ seien. „Es gibt dort inzwischen eine gewisse Populationsimmunität, die dafür sorgt, dass das Virus sich jetzt mehr anstrengen muss.“
Virologe erwartet mehr Mutationen
Hengel, bis vor einem Jahr auch Präsident der Gesellschaft für Virologie, glaubt, dass in der jetzigen Situation immer mehr Varianten und Mutanten entstehen werden. „Das Virus hat nun nicht mehr die einfache Situation, dass keiner immun ist. Jetzt muss das Virus wirklich zeigen, was es kann. Also werden die fittesten Viren durch schwach wirksame Antikörper selektiert. Und deswegen werden jetzt die Mutanten an Bedeutung gewinnen“, sagt Hengel. Deshalb sei die molekulare Überwachung von Coronaviren auch jetzt besonders wichtig.
Gesundheitsminister Jens Spahn, hat – für viele viel zu spät – nun ebenfalls eine Verordnung erlassen, die mit großzügigen Erstattungspreisen Labore dazu bewegen soll, Coronaviren zu sequenzieren. Fraglich ist auch, wie die bisher zugelassenen Impfstoffe auf die neuen Mutationen reagieren. „Ich glaube nicht, dass die Impfstoffe jetzt gar nicht mehr wirken“, sagt Virologe Hengel. Aber er fürchtet, dass sie an Effektivität verlieren könnten. „Ich denke, das jetzige Sars-Virus wird am Ende auch als saisonales Corona-Virus enden“, sagt Hengel.
Man werde immer wieder auch schwere Corona-Infektionen sehen. Aber im großen und ganzen werde man die Sache in den Griff bekommen – „vorausgesetzt man hat effektive Impfungen und die Impfstoffe werden kontinuierlich aktualisiert. So ähnlich wie bei Influenza auch.“ Die mRNA-Impfstoffe seien dazu jedenfalls gut geeignet, weil man sie relativ schnell und einfach an neue Mutationen anpassen könne.