Auch AstraZeneca liefert weniger Impfstoff
23. Januar 2021Nach dem Pharmariesen Pfizer hat auch der Hersteller AstraZeneca angekündigt, weniger Impfstoff als geplant in die EU liefern zu können. In den Mitgliedsstaaten wächst der Unmut – Italien droht Pfizer sogar mit juristischen Schritten.
Die Lieferengpässe großer Impfstoffhersteller sorgen für wachsende Verärgerung. Nach dem US-Konzern Pfizer kündigte auch das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca an, zunächst weniger Corona-Impfstoff an die EU-Staaten ausliefern zu können als geplant.
Pfizer und sein deutschen Partner BioNTech hatten die Lieferschwierigkeiten mit dem Umbau eines Produktionswerkes in Belgien begründet. AstraZeneca nannte nun geringere Erträge an einem Produktionsstandort „innerhalb unserer europäischen Lieferkette“ als Ursache.
60 Prozent weniger – deutliche Kritik von der EU
Die Ankündigung, im ersten Quartal 60 Prozent weniger Impfstoff als angekündigt zu liefern, sorgte für massive Verärgerung bei der EU-Kommission. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides wurde deutlich: Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten hätten tiefe Unzufriedenheit über die Verzögerungen geäußert. Man habe auf einem genauen Lieferplan bestanden, auf dessen Grundlage die Mitgliedsstaaten ihre Impfprogramme planen könnten. Die EU-Kommission werde weiter auf mehr Zuverlässigkeit bei den Lieferungen und auf eine beschleunigte Verteilung der Dosen dringen, unterstrich die EU-Gesundheitskommissarin.
Angekündigt hatte das britische-schwedische Unternehmen die Lieferprobleme am Freitag im EU-Lenkungsausschuss zur Impfstrategie. Nach bisherigen Informationen muss der Impfstoff nach den Mutationen des Virus in einigen Ländern angepasst werden, so dass die bereits auf Vorrat produzierten Impfstoffmengen möglicherweise nicht ausgeliefert werden können.
Außerdem habe ein Brand große Teile eines Werks in Indien zerstört. Das betroffene Serum Institute of India ist der weltgrößte Impfmittelhersteller. Eine Milliarde Dosen des AstraZeneca-Impfstoffes sollen hier produziert werden, ein Vorrat von etwa 50 Millionen Impfdosen lagert dort bereits. Das Unternehmen betonte allerdings, das Feuer habe weder die Produktionsanlagen noch den Vorrat beschädigt.
EU hat viel Geld in Vorproduktion investiert
Der Impfstoff von AstraZeneca wurde zusammen mit der britischen Universität Oxford entwickelt. In Großbritannien kommt er bereits zum Einsatz. Eine Zulassung für die EU wird in der kommenden Woche erwartet. In ihrer Videoschalte am Donnerstag hatten einige EU-Staats-und Regierungschefs Druck gemacht und eine schnellere Entscheidung der europäischen Arzneimittelbehörde gefordert.
Ein Sprecher von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte dem ARD-Hauptstadtstudio: „Wir gehen weiter davon aus, dass der Impfstoff von AstraZeneca Ende kommende Woche für die EU zugelassen wird. Die EU hat viel in die Vorproduktion dieses Impfstoffes investiert. Nach der Zulassung wird klar, wie viel Impfstoff wann zusätzlich für Deutschland zur Verfügung steht.“
Vor fünf Monaten hatte Kyriakides einen Vertrag mit AstraZeneca über 300 Millionen Impfdosen zuzüglich einer Option auf weitere 100 Millionen unterzeichnet. Es war der erste Impfstoffvertrag, den die EU-Kommission nach Vorarbeiten von Frankreich, Deutschland Italien und den Niederlanden unterzeichnete. Der Vorteil des Impfstoffs: Er ist deutlich billiger und leichter handhabbar als die Produkte von Pfizer/Biontech und Moderna, weil er weniger gekühlt werden muss.
Italien droht Pfizer mit juristischen Schritten
Nach BioNTech/Pfizer und Moderna ist Astra/Zeneca das dritte Unternehmen, das vor Lieferverzögerungen warnt. Weil wegen der verzögerten Bereitstellung des Pfizer-Vakzins derzeit viele Impfzentren in ganz Europa stillstehen, kündigte die EU-Kommission an, sich einzuschalten. „Wir werden das Unternehmen um eine Klärung bitten“, sagte ein Kommissionssprecher.
Kritik an Pfizer kommt vor allem aus Italien und Tschechien. Die italienische Regierung drohte dem Pharmariesen sogar mit juristischen Schritten. Nach Angaben von Italiens Corona-Beauftragtem Domenico Arcuri erhält das Land kommende Woche 20 Prozent weniger Impfstoff als vereinbart. In der ablaufenden Woche habe die Lücke fast 30 Prozent betragen. Der tschechische Gesundheitsminister Jan Blatny bezifferte den Ausfall für sein Land auf rund 15 Prozent in dieser Woche und auf bis zu 30 Prozent in den kommenden beiden Wochen.
Der Impfstoffvertrag mit der EU ist vertraulich. Jedes Mitgliedsland verhandelt mit Pfizer eigene Liefervereinbarungen. Unklar ist, ob der Konzern verpflichtet ist, bestimmte Mengen auf wöchentlicher oder auf Quartalsbasis zur Verfügung zu stellen.
Mit Informationen von Ralph Sina, ARD-Studio Brüssel