Nur 8 Prozent wirksam bei Senioren? Das steckt hinter dem Chaos um den Astrazeneca-Impfstoff

Nur 8 Prozent wirksam bei Senioren? Das steckt hinter dem Chaos um den Astrazeneca-Impfstoff

26. Januar 2021 Aus Von mvp-web

16:30:08
Berichte über eine sehr geringe Wirksamkeit des Astrazeneca-Imfpstoffs bei Senioren sorgten am Montagabend für Verwirrung. Sowohl das Unternehmen als auch das Gesundheitsministerium schmetterten die Vorwürfe ab. FOCUS Online zeigt auf, wie es wirklich um den Impfschutz des Vakzins steht.

Am Montagabend verursachten Medienberichte über den Impfstoff der britisch-schwedischen Firma Astrazeneca großes Chaos. Laut „Handelsblatt“ solle das Mittel bei Senioren eine geringere Wirkung haben. Bei Menschen über 65 Jahren solle die Wirkung nur bei rund acht Prozent liegen. Das wollte das Blatt aus Koalitionskreisen erfahren haben, auch die „Bild“-Zeitung berichtete.

Die Meldung dementierte zunächst der Hersteller selbst, später auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG). So erklärte am Dienstagmorgen etwa ein Sprecher von Astrazeneca, die Berichte seien „komplett falsch“.

Auch das BMG äußerte sich nur wenige Stunden später. „Das Bundesministerium für Gesundheit kann aktuelle Berichte über eine geringere Wirksamkeit des Astrazeneca-Impfstoffs nicht bestätigen“, heißt es in einer Mitteilung.

Wie es zu dem Chaos um die Wirksamkeit kam? Das BMG vermutet eine Verwechslung zweier wichtiger Punkte: Die anteiligen Probanden an der Studie und die Wirksamkeit. „Rund acht Prozent der Probanden der Astrazeneca Wirksamkeitsstudie waren zwischen 56 und 69 Jahren, nur 3 bis 4 Prozent über 70 Jahre.“

Daraus lasse sich aber nicht eine Wirksamkeit von nur acht Prozent bei Älteren ableiten. Dass in der Wirksamkeitsstudie weniger Ältere beteiligt waren als bei den Studien anderer Hersteller, sei zudem bereits seit dem Herbst bekannt.

Wirkung: So gut schützt das Mittel wirklich

Anders als bei Biontech/Pfizer und Moderna handelt es sich bei Astrazenecas Vakzin, AZD1222, um einen Vektor-Impfstoff. Er beruht auf der abgeschwächten Version eines Erkältungsvirus von Schimpansen. Das Mittel enthält genetisches Material eines Oberflächenproteins, mit dem der Erreger Sars-CoV-2 an menschliche Zellen andockt. Das Vakzin wirkt laut dem Hersteller zweifach: Es soll sowohl die Bildung von spezifischen Antikörpern als auch von T-Zellen fördern – beide sind für die Immunabwehr wichtig.

Um die Wirksamkeit des Astrazeneca-Mittels AZD1222 zu bestimmen, zog der Hersteller die Daten zweier Studien heran. Zum einen die aus einer kombinierten Phase-II/III-Studie, bei der die Versuchspersonen der Impfgruppe zuerst eine halbe Dosis des Impfstoffs und einen Monat später eine weitere volle Dosis erhielten. Die Effektivität lag hier den Angaben zufolge bei 90 Prozent.

Zum anderen wurden Ergebnisse einer Phase-III-Studie berücksichtigt, bei der Probanden der Impfstoff-Gruppe zwei volle Dosen bekamen. Die bisher errechnete Effektivität lag dabei bei 62 Prozent. Zusammengenommen ergibt sich den Angaben zufolge eine Wirksamkeit von 70 Prozent. Die Zwischenauswertung stammt aus dem November und basiert auf insgesamt 131 Infektionsfällen mit nachweislichem Covid-19.

Wegen von Experten geäußerter Zweifel an dem Zufallsbefund kündigte Astrazeneca Ende November eine “zusätzliche Studie” zur Wirksamkeit bei einer verringerten Impfdosis an. “Wir denken, wir haben die Siegerformel herausbekommen”, sagte Astrazeneca-Chef Pascal Soriot dazu der “Sunday Times” vor wenigen Wochen.

Er glaubt, dass das Mittel in seiner Wirksamkeit an die rund 95 Prozent von Biontech und Moderna herankommen werde. Zudem erklärte er, das Mittel könne zudem zu 100 Prozent schwere Covid-19-Verläufe abwenden.

Zulassung: Wann wir mit dem Impfstoff rechnen können

Für die finale Auswertung der Studien ist schlussendlich die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) zuständig. Mit deren Ergebnis ist am kommenden Freitag zu rechnen. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn werde man auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse nächste Woche entscheiden, „welche Altersgruppen zuerst mit diesem Impfstoff geimpft werden“.

Es wird erwartet, dass der Impfstoff von Astrazeneca am Freitag dann in der EU zugelassen wird, in Großbritannien wird er bereits in großem Stil eingesetzt. Allerdings hatte es zuletzt Diskussionen gegeben, weil Astrazeneca vorerst weniger Impfstoff an die EU liefern will als zugesagt.

Lieferung: EU-Politiker kritisieren Engpässe

Die EU-Kommission hat bereits bis zu 400 Millionen Dosen bestellt. Damit wäre Astrazeneca der dritte Impfstoff nach Biontech/Pfizer und Moderna, der in der EU eingesetzt werden könnte.

Allerdings hatte das britisch-schwedische Unternehmen am Freitag mitgeteilt, der EU zunächst weniger Corona-Impfdosen liefern zu können als vorgesehen. Grund seien Probleme in „einem Werk in unserer europäischen Lieferkette“.

Das kritsierte die EU nun stark. Der gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Peter Liese, sagte etwa am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin, es sei „völlig inakzeptabel“, dass Astrazeneca weiter wie geplant seinen Impfstoff nach Großbritannien liefere, aber entgegen seiner vertraglichen Verpflichtungen nicht in die EU.

Zwar gebe es Lieferengpässe, räumte Liese ein. Aber die Begründung des Konzerns, dass diese allein den europäischen Kontinent beträfen, „ist vorgeschoben“. Astrazeneca werde „sich in den nächsten Tagen korrigieren müssen“. Er sei „sicher, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“.