Corona hat alles verändert – auch die Medienstrategie der Kanzlerin
4. Februar 202114:36:04
Die Kanzlerin macht mobil – jedenfalls medial. Im Fernsehen tritt Angela Merkel – auch außerhalb der Nachrichtensendungen – so häufig auf wie noch nie in ihrer mehr als 15-jährigen Amtszeit. Heute Abend lässt sie sich in einer RTL-Sondersendung befragen. Merkels PR-Maschinerie nimmt in Pandemie-Zeiten Fahrt auf.
Erst am Dienstag verteidigte und erklärte sie ihre Corona-Politik in dem ARD-Format „Farbe bekennen.“ Am Montag war sie abends auf allen Nachrichtenkanälen zu sehen und zu hören, als sie die ziemlich dürftigen Ergebnisse des Impfgipfels erklärte.
Was heute gerne vergessen wird: Merkel begann ihre politische Karriere im Wendejahr 1989 als Pressesprecherin der neugegründeten, später in der CDU aufgegangenen DDR-Partei „Demokratischer Aufbruch“. Ihr nächster Karriereschritt: stellvertretende Sprecherin der ersten frei gewählten DDR-Regierung im Frühjahr 1989.
Über den Autor: Hugo Müller-Vogg
Dr. Hugo Müller-Vogg ist Journalist, Buch-Autor und ehemaliger Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Seit sie im Herbst 2005 ins Kanzleramt eingezogen ist, war aber von einem besonderen Verständnis Merkels für Gesprächs- und Interviewwünsche der Medien nicht viel zu spüren. Anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder, der sich als Medienkanzler inszenierte („Zum Regieren brauche ich Bild, Bams und Glotze“), machte seine Nachfolgerin sich gegenüber den Journalisten eher rar. Natürlich gab sie Interviews und stellte sich den Fragen in der Bundespressekonferenz. Aber alles sehr dosiert – und möglichst dann, wenn sie es für richtig hielt.
„Rede an die Nation“ war Merkels Start zu Medienoffensive
Corona hat in diesem Land vieles verändert – auch die Medienstrategie der Kanzlerin. So wandte sie sich im März vergangenen Jahres in einer Brandrede im Fernsehen an die Deutschen und ermahnte sie, die damals noch recht neue Bedrohung durch das Corona-Virus nicht zu unterschätzen: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ Mit mindestens 23 Millionen TV-Zuschauern wurde die Kanzlerin die Quotenkönigin des Jahres 2020.
Es war – von den Neujahrsansprachen abgesehen – die erste „Rede an die Nation“, die jemals ein deutscher Regierungschef gehalten hat. Es war der Start zu einer Medienoffensive, die seitdem nicht abgeebbt ist. Was besonders auffällt: Merkel tritt nicht nur häufiger vor die Presse oder das Fernsehpublikum. Sie nimmt sich bei Pressekonferenzen auch mehr Zeit für Fragen und Antworten. So stand sie allein im Januar drei Mal nach Treffen der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten ausgiebig Rede und Antwort, zuletzt nach dem Impfgipfel am Montag.
Heute RTL: Kreuzverhör oder Stichwortgeber wie die ARD?
Viel häufiger also sonst folgt Merkel seit einem Jahr auch Einladungen der Bundespressekonferenz, dem Zusammenschluss der beim Bundestag akkreditierten Journalisten. Normalerweise gab sich die Kanzlerin einmal im Jahr die Ehre, meistens zu Beginn oder nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause. In Zeiten von Corona ist das anders. Am 21. Januar trat die Kanzlerin bereits zum vierten Mal innerhalb eines Jahres vor die Hauptstadtpresse. Es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein.
Heute Abend aber kommt erst einmal der dritte große Fernsehauftritt in dieser Woche. Bei RTL wird Merkel von Nikolaus Blome und Frauke Ludowig. Ob diese beiden gegenüber Angela Merkel als Stichwort-Geber auftreten wie Tina Hassel und Rainald Becker am Dienstag bei der ARD? Oder werden sie der Kanzlerin einem Kreuzverhör unterziehen? Blome jedenfalls hat vor ein paar Tagen Merkel und den anderen Regierenden vorgeworfen, sie sollten lieber mehr impfen, als darüber zu schimpfen, dass die Deutschen sich über das schleppende Tempo beim Impfen beklagten. Mal sehen, wer heute Abend Grund zum Schimpfen hat: Die Kanzlerin über knallharte Fragen und hartnäckiges Nachfragen – oder der Zuschauer über eine eher laue Plauderstunde.