Debatte um Corona-Lockerungen Viele Konzepte für einen Fahrplan

Debatte um Corona-Lockerungen Viele Konzepte für einen Fahrplan

9. Februar 2021 Aus Von mvp-web

Stand: 09.02.2021 15:23 Uhr

Aus Sicht von Bundesregierung und Länderchefs ist es für Lockerungen der Corona-Maßnahmen noch zu früh. Und trotzdem wird vor dem morgigen Treffen gerade darüber am heftigsten diskutiert. Aber wer will eigentlich was?

Eines wird schon vor dem nächsten Bund-Länder-Treffen immer deutlicher: Der Lockdown wird wohl noch mal verlängert. Das geht auch aus einer vorläufigen Beschlussvorlage hervor, die dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Die aktuellen Beschlüsse blieben weiterhin gültig, heißt es in dem Papier, das noch keinen genauen Zeitpunkt für das Ende der Verlängerung nennt – und zahlreiche Punkte offen lässt.

Doch immerhin: „Bund und Länder werden in den nächsten Wochen weiter gemeinsam Öffnungsschritte abstimmen.“ Schon jetzt gibt es mehrere Vorschläge, wie Öffnungen aussehen können. Neben Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat auch Thüringen sein Konzept vorgelegt, an dem sich Entscheidungen für Öffnungen orientieren sollen. „Die Menschen sollen eine Perspektive sehen, ab wann wir ein Stück Normalität wieder ermöglichen“, sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow. Zudem solle der Umgang mit der Pandemie „sichtbar und nachvollziehbar“ werden.

Neben der Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sollen im Vier-Stufen-Plan Thüringens auch regionale Faktoren darüber entscheiden, ob und wie weit die Maßnahmen gelockert werden können. Die Impfquote in einzelnen Regionen etwa oder die Auslastung der Intensivbetten in den Kliniken.

Ein Plan bis Ostern

Laut Ramelow stimmt das Konzept seines Bundeslandes weitgehend mit den Plänen der CDU-Fraktion überein. Auch Anregungen aus der Wirtschaft seien aufgegriffen worden. Der Plan werde von all denen mitgetragen, die in der Pandemie Opfer bringen und Einschränkungen hinnehmen mussten oder komplett lahmgelegt waren.

Es gebe positive Entwicklungen in der Pandemie führte Ramelow an: Die Fallzahlen würden sinken und mit den Impfungen rücke das Ziel der Herdenimmunität näher. Doch gerade Thüringen bleibe das Bundesland mit den meisten Infektionen, darum dürfe man nun nicht „leichtsinnig werden oder fahrlässig handeln“, betonte Ramelow. Der Stufenplan sei auf die nächsten Monate ausgelegt – ein „klar orientierter Fahrplan bis Ostern“.

Kultusminister für schrittweise Öffnung

Die Kultusminister der Länder fordern eine schrittweise Öffnung der Schulen ab der kommenden Woche. „Die negativen Folgen von Schulschließungen für die Bildungsbiografien und die soziale Teilhabe von Kindern und Jugendlichen müssen begrenzt werden“, heißt es in einem heute veröffentlichten Beschluss. „Die KMK hat einstimmig beschlossen, dass beginnend ab dem 15. Februar 2021 nach den Abschlussklassen auch die unteren Jahrgänge wieder zur Schule gehen sollen, wenn die gute Entwicklung der Inzidenzwerte anhält“, sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Britta Ernst.

Erste Entscheidungen in den Ländern fallen bereits: Sachsen, das im Dezember als erstes Bundesland flächendeckende Schul- und Kitaschließungen angeordnet hatte, kündigte auch als erstes an, Grundschulen und Kitas ab kommenden Montag in einem eingeschränkten Betrieb wieder zu öffnen.

In sieben Stufen zu mehr Freiheiten

Auch die FDP hat einen Plan für Öffnungen entwickelt. Der beinhaltet insgesamt sieben Stufen und setzt ebenso wie die Länderkonzepte auf regionale Unterschiede im Pandemiegeschehen.

Deshalb sollen bei der Entscheidung über die Öffnung von Bildungseinrichtungen, Handel und Lockerungen im öffentlichen Leben auch Faktoren einbezogen werden wie die Auslastung der Intensivbetten in den einzelnen Regionen, die Kapazitäten in Gesundheitsämtern oder die Ansteckungen bei Menschen über 50 Jahren.

„Es geht nicht darum, sofort alles gleichzeitig zu öffnen. Aber ich bin mir sicher, dass erste Öffnungsschritte möglich wären – bei Kitas und Schulen zum Beispiel, aber auch bei Friseuren und im Handel“, forderte Parteichef Christian Lindner. Auch der Einsatz von Schnelltests im Eigengebrauch oder von Luftreinigern in öffentlichen Gebäuden seien „intelligente Konzepte“, damit Lockerungen machbar würden.

Der Plan der FDP ist in die Stufen null bis sechs gegliedert, wobei die höchste Stufe für eine Inzidenz von mehr als 200 Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche steht. Für die betroffenen Regionen sollen dann weiter die strikten Maßnahmen wie im derzeitigen Lockdown gelten. Mit jeder niedrigeren Stufe setzt die Partei mehr Öffnungen an – bis hin zur Stufe null mit einem Inzidenzwert unter zehn. Dann sollten nur noch die Maskenpflicht sowie die Abstandsregelungen gelten.

Unisono für längeren Lockdown

Für Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller ist die gewünschte Lockerungsperspektive vor allem an eine Bedingung gekoppelt: Die Infektionszahlen müssen sie hergeben. Auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans betonte in der „Rheinischen Post“: „Wir müssen dringend noch weiter runter mit den Neuinfektionen, um auch gegen die gefährlichen Virus-Mutanten gewappnet zu sein.“ Es wäre „ein Fehler, jetzt einfach wieder zu öffnen, nur weil ein bestimmtes Datum erreicht ist“, so der CDU-Politiker.

Auch der niedersächsische Landeschef Stephan Weil sprach sich klar für eine Verlängerung des Lockdowns aus. „Ich gehe davon aus, dass wir uns am Mittwoch in einer Schlüsselfrage einig sein werden: Wir kommen nicht umhin, den Lockdown noch einmal zu verlängern. Das ist angesichts des immer noch hohen Infektionsgeschehens und der Mutationen zwingend“, sagte der SPD-Politiker dem Magazin „WirtschaftsWoche“.

Sein SPD-Kollege und Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“: Öffnungsschritte dürfe es erst geben, „wenn der Einfluss der Mutationen auf das Infektionsgeschehen beurteilt werden kann“. Das sei derzeit noch nicht möglich. Er appellierte an seine Amtskollegen und die Kanzlerin, an einem gemeinsamen Strang zu ziehen.

Priorität für Kitas und Schulen

Das dürfte der Bundeskanzlerin zupasskommen. Angela Merkel hatte – wie mehrere Quellen dem ARD-Hauptstadtstudio bestätigen – im CDU-Präsidium durchblicken lassen, dass sie stark dafür ist, die Infektionszahlen noch zwei Wochen lang zu drücken, dass gleichzeitig aber die Beratungen von Bund und Ländern einen Perspektivplan für Schulen und Kitas hervorbringen könnten. Zuerst hatte die Nachrichtenagentur dpa darüber berichtet. Sowohl von Seiten der Bundesregierung als auch von Seiten der Länderchefs war immer wieder betont worden, dass Schulen und Kitas in der Öffnungsrangliste ganz oben stünden.

Für Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ist es gesetzt, dass Kitas und Schulen Vorrang genießen. Ebenso unterstrich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet im Düsseldorfer Landtag, dass Kitas und Schulen „das entscheidende Thema“ bei den morgigen Beratungen sein werden. „Das Homeoffice für Kinder ist kein guter Lernort“, so Laschet. Darum werde er als Regierungschef alles tun, damit „so schnell wie möglich Schulen und Geschäfte wieder offen sind“. Weitere Öffnungen halte er aber vorerst nicht für möglich.

Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey forderte erneut eine baldige Öffnung von Schulen und Kitas – ohne dabei einen konkreten Zeitpunkt zu nennen. Die jetzige Belastung im Corona-Lockdown gehe in manchen Familien in Richtung Kindeswohlgefährdung, sagte die SPD-Politikerin im NDR. Der Druck sei enorm. „Wir sehen gerade in sozialen Brennpunkten Verluste an Bildung, depressive Verstimmungen und Vereinsamung. Dem müssen wir entgegentreten.“

Ganz anders setzt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt seinen Schwerpunkt: Das Infektionsgeschehen an den Schulen sei nach wie vor hoch. Zudem gebe es für Kinder und Jugendliche Betreuungsangebote. Darum sollten von ersten Lockerungen eher „körpernahe Dienstleistungen“ profitieren, etwa die Friseursalons.