Lauterbach zu Corona-Mutanten „Wir sind am Beginn der dritten Welle“
20. Februar 2021Stand: 20.02.2021 17:12 Uhr
Die dritte Corona-Welle hat in Deutschland nach Ansicht des SPD-Gesundheitsexperten Lauterbach begonnen. Er plädierte im SWR für eine strengere Einhaltung der AHAL-Regeln und warnte angesichts aktueller Debatten vor vorschnellen Lockerungen.
Deutschland steht nach Ansicht des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach am Beginn der nächsten Corona-Welle. „Ich halte es für gesichert, dass die Zahlen darauf hindeuten, dass wir am Beginn einer dritten Welle sind“, sagte er im Gespräch mit dem SWR. Die Zahl der Neuinfektionen sowie der Sieben-Tage-Inzidenzwert waren zuletzt nur langsam gesunken. Heute meldete das Robert Koch-Institut sogar wieder etwas mehr Neuinfektionen als am Samstag vor einer Woche.
Diese Entwicklung sei absehbar gewesen, so Lauterbach. „Der Lockdown war stark genug, um die alte Wildtyp-Variante zu verdrängen. Aber die neuen Varianten dehnen sich weiter aus.“ Zum jetzigen Zeitpunkt halte er es für ausgeschlossen, dass man langfristig noch viel von der ursprünglichen Variante sehen werde. Die britische Mutation sei viel länger und bei einer geringeren Viruslast ansteckend, was die Ausbreitung begünstige. „Die dritte Welle ist gleichzeitig auch der Beginn einer neuen Pandemie“, warnte Lauterbach.
Binnen 24 Stunden verzeichnete das Robert-Koch-Institut 9164 Neuinfektionen mit dem Coronavirus.
Angesichts dieser Entwicklung sieht Lauterbach die teilweise Öffnung von Schulen in weiteren Bundesländern ab Montag kritisch. Die Antigen-Tests seien noch nicht da. „Daher geht man da ein Risiko ein“, sagte der SPD-Politiker. Er plädierte dafür, die Antigen-Tests je nach Verfügbarkeit so schnell wie möglich bei allen Schulkindern einzusetzen, die am Präsenzunterricht teilnehmen.
Die gute Nachricht sei laut Lauterbach, dass die AHAL-Regeln auch bei den neuen Virus-Varianten wirkten. Allerdings müssten die Regeln noch strikter eingehalten werden. Er rief dazu auf, in der Öffentlichkeit nach Möglichkeit stets FFP2-Masken zu tragen. Zudem müssten die Impfungen weiter voranschreiten. Als eine „pragmatische Lösung“ sieht er die schnelle Verimpfung des „zu unrecht in Verruf geratenen“ AstraZeneca-Vakzins bei den Unter-65-Jährigen in den ersten drei Prioritätengruppen. Der Impfstoff verhindere schwere Krankheitsverläufe, was Risiken etwa für Lehrkräfte oder Erzieherinnen und Erzieher senken könnte.
Kritik an Forderung nach sofortigen Lockerungen
Lauterbach kritisierte den Vorschlag von FDP-Chef Christian Lindner, Geschäfte, Restaurants und Fitnessstudios in Regionen mit niedriger Sieben-Tage-Inzidenz zu öffnen. An Orten, wo Masken nicht durchgängig getragen werden könnten, würden sich bei einer weiteren Ausbreitung der Mutationen viele Menschen infizieren, warnte der Gesundheitsexperte. „Allein deshalb, weil die Infizierten auch aus anderen Kreisen und Städten kämen. Da noch nicht einmal mit einer Testung der Gäste ein sicherer Betrieb möglich wäre, hätte die Region nicht lange etwas von den niedrigen Zahlen.“
Lindner hatte den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt, dass Kreise und kreisfreie Städte, die die 35-Inzidenz unterschreiten, ab sofort mit den Öffnungen beginnen können sollten. Dort seien Öffnungsschritte über Schulen, Kitas und Friseure hinaus möglich.
Lockerungsdiskussionen
Die Positionen Lindners und Lauterbachs zeichnen das Feld nach, auf welchem derzeit Debatten um mögliche Lockerungen geführt werden. So hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil angesichts der Gefahren durch Virus-Mutationen vor einer vorschnellen Lockerung der Corona-Auflagen in Deutschland gewarnt. „Bund und Länder müssen gemeinsam ein vernünftiges Öffnungskonzept entwickeln“, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Das muss so sicher sein, dass wir nicht nach ein paar Wochen wieder alles schließen müssen, was wir gerade erst geöffnet haben.“
Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz sagte dem „Mannheimer Morgen“, er erwarte ein Konzept zur weiteren Verringerung der Corona-Beschränkungen beim nächsten Bund-Länder-Treffen am 3. März. „Zur nächsten Konferenz der Bundesregierung mit den Ländern sollte es schon ein Konzept geben“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. „Dabei muss jeder Öffnungsschritt einzeln betrachtet werden. Aber wir müssen unser Handeln am Inzidenzgeschehen ausrichten.“
Ein Ende der strengen Einschränkungen forderten Wirtschaftsverbände. „Wir müssen den pauschalen Lockdown durch gezielte, wirksame Einzelmaßnahmen ersetzen“, sagte Stefan Genth, Geschäftsführer des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels, der „Rheinischen Post“. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, sagte dem Blatt: „Ich würde mir wünschen, dass die Politik evidenzbasierte Kriterien festlegt, die allen Orientierung geben.“