„Kein Feingefühl“ – Gastronom soll Corona-Hilfen zurückzahlen

„Kein Feingefühl“ – Gastronom soll Corona-Hilfen zurückzahlen

23. Februar 2021 Aus Von mvp-web
Dienstag, 23.02.2021, 15:11
Etliche Gastronomen sind wegen der Corona-Krise akut in finanzieller Not, viele mussten bereits aufgeben. Ein Hamburger Wirt, der seinen Laden in St. Pauli hat, muss nun eine besondere Herausforderung bewältigen: Er wurde aufgefordert, 20.000 Euro Corona-Hilfe zurückzuzahlen.

Sie konnten sich teilweise nur durch die Corona-Hilfen der Länder und des Bundes über Wasser halten – so auch Isidro Alarcon, der ein Restaurant auf St. Pauli betreibt. Anfang des Jahres bekam er jedoch eine Aufforderung, genau diese Hilfen jetzt zurückzuzahlen. Der verzweifelte Gastronom könnte jedoch kein Einzelfall bleiben.

Seit mehr als sechs Jahren betreibt Alarcon das Restaurant „Marend Tiroler Küche“ in der Feldstraße auf St. Pauli. Wie fast alle Gastronomen in der Hansestadt traf ihn die Corona-Pandemie Anfang vergangenen Jahres mit voller Wucht: Wegen der Corona-Maßnahmen musste er seinen Laden für die meiste Zeit schließen – nur Abholer durfte er mit Essen versorgen. Das führte zur finanziellen Schieflage.

Sechs Monate dicht seit Beginn der Pandemie

Die Corona-Hilfen von Bund und Ländern im März verschafften ihm kurzfristig etwas Luft: „Durch die erste Corona-Hilfe gelang es mir, den Laden gerade so über Wasser zu halten“, sagt Alarcon im MOPO-Gespräch. Nach eigenen Angaben musste er seit Beginn der Pandemie seinen Laden für sechs Monate schließen.

Anfang diesen Jahres dann der nächste Schock: ein Brief der Hamburger Investitions- und Förderbank (IFB). Darin die Aufforderung, den ausgezahlten Betrag der Corona-Soforthilfen von 20.000 Euro innerhalb eines Monats zurückzuzahlen. Der Grund: Laut IFB habe im Zeitraum vom April bis Juni kein Liquiditätsengpass bestanden.

Wirt soll 20.000 Euro an Corona-Hilfe zurückzahlen

Für Alarcon, der sein Lokal seit Monaten in seiner Existenz bedroht sieht, ist diese Forderung unverständlich: „Durch die Forderung, den Betrag in Gänze innerhalb eines Monats zurückzuzahlen, ist mein Restaurant in großer Gefahr. Ich steuere gerade direkt auf eine Schließung zu.“

Die Tatsache, dass ihm trotz der Rückforderung die aktuellen Dezemberhilfen von der IFB erneut bewilligt wurden, wirft weitere Fragen auf. „Dieses Mal hat den Antrag der Steuerberater übernommen, da hat alles reibungslos geklappt.“

Behörden haben „überhaupt kein Feingefühl“

Nach dem Schock durch die plötzliche Rückzahlungs-Aufforderung, reichte er Widerspruch ein und wendete sich parallel an die Anwaltskanzlei „Gansel Rechtsanwälte“ aus Berlin, die ihm von einem befreundeten Gastronomen aus Hamburg empfohlen wurde.

Der Berliner Anwalt Paul Czakert hat zum ersten Mal mit einer solchen Forderung zu tun. Für ihn ist das Timing der Rückzahlungsforderung denkbar schlecht: „Ich halte den Zeitpunkt für diese Forderung für sehr ungünstig – auch vor dem Hintergrund, dass die Novemberhilfe noch sehr schleppend ausgezahlt wird.“ Die Leute hätten gerade einfach kein Geld. Seiner Meinung nach beweisen die Behörden damit „überhaupt kein Feingefühl“.

Rechtsanwalt über die Forderung: „Schlechtes Timing“

Doch warum kommt die Forderung gerade jetzt? Laut Czakert hätten viele Gastronomen, wie üblich, am Ende des Jahres oder auch parallel mit dem Einreichen des Antrages für die Novemberhilfen, die Betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA) an die Stadt übermittelt. „Die wird dann geprüft, und wenn es Unstimmigkeiten bei den Fixkosten gibt oder die Zahlen in den betreffenden Monaten doch besser waren, als im Antrag prognostiziert, wird im Anschluss  oft die Rückzahlungsforderung verschickt.“

Laut Anwalt Czakert schlechtes Timing: Anstatt zu warten oder den Betrag mit den anderen Hilfen zu verrechnen, kommt jetzt diese Forderung.“ Isidro Alarcon wird kein Einzelfall bleiben: „Wir sind uns sicher, dass jetzt reihenweise solche Forderungen an die Gastronomen verschickt werden. Ich rate jedem, der so ein Schreiben bekommt, es von einem Rechtsanwalt prüfen zu lassen.“

Rückzahlung der Corona-Hilfen: Das sagt die Finanzbehörde

Die Finanzbehörde ist sich nach eigenen Angaben der Belastung durch die Rückzahlungsforderungen bewusst: „Rückforderungen lassen sich leider mit Blick auf die Regularien des Bundes nicht gänzlich vermeiden. Aber wir wissen, dass es im aktuellen Lockdown und angesichts teilweise noch ausstehender Bundeshilfen eine echte Härte wäre, solche Rückforderungen jetzt auch zu vollziehen“, erklärt Finanzsenator Andreas Dressel auf MOPO-Anfrage.

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Demnach habe die Behörde daher mit einer eigenen Initiative erreicht, dass die Abrechnung der Hilfen mit dem Bund um ein halbes Jahr bis zum Jahresende 2021 hinausgeschoben werde. Daher wird die Behörde laut Dressel die „Vollziehung solcher Rückforderungen grundsätzlich bis auf weiteres zurückstellen.“ Damit sollen Mehrbelastungen in der „kritischen Phase der Pandemie“ vermieden werden – ganz aus der Welt sind die Forderungen damit aber nicht.

3700 Forderungen wurden in Hamburg verschickt

Laut der Finanzbehörde sind im Rahmen der Hamburger Corona-Soforthilfen aktuell etwa 3700 Forderungen dieser Art in einem Gesamtvolumen von rund 34 Millionen Euro gestellt worden.

Es sind somit viele weitere Hamburger Gastronomen betroffen, die sich teilweise auch schon vor dem Bescheid der IFB in einer prekären Lage befanden und deren Sorgen nun noch größer werden.

Dieser Artikel wurde verfasst von Marvin Wennhold