Noch infektiöser als Briten-Variante? Was neue Kombi-Mutante B.1.525 so gefährlich macht

11. März 2021 Aus Von mvp-web

13:56:21

Die Corona-Mutation B.1.525 ist in Deutschland angekommen. Das RKI berichtet schon seit einiger Zeit von einzelnen Fällen, jetzt hat ein Labor in Berlin sie erneut nachgewiesen. Die Variante ähnelt der britischen, hat aber auch Merkmale der südafrikanischen und brasilianischen. Das könnte sie besonders gefährlich machen.

Kombiniert man die Eigenschaften der britischen, brasilianischen und südafrikanischen Corona-Variante, kommt B.1.525 dabei heraus. Die Mutation wurde Ende Dezember erstmals in Großbritannien und Nigeria nachgewiesen und steht nun auch in Deutschland immer mehr unter der Beobachtung des Robert-Koch-Instituts (RKI).

Dass die Mutation Veränderungen der bisher bekannten Virus-Varianten vereint, macht ihre weitere Verbreitung wahrscheinlich und ebenso gefährlich. „Es ist gut möglich, dass sie ansteckender ist als andere Varianten, die jede für sich bereits eine höhere Infektionsrate aufweist als der Wildtyp“, befürchtet etwa Peter Bauer, Chief Genomic Officer des Biotech-Unternehmens Centogene. Das Labor hatte am Dienstag mitgeteilt, die Mutation am Berliner Flughafen bei einer Person aus Sachsen festgestellt zu haben.

Bisher ist Mutation B.1.525 kaum verbreitet, doch das könnte sich schnell ändern

Auch das RKI erläutert in seinem aktuellen „Bericht zu Virusvarianten von Sars-CoV-2 in Deutschland“, die Variante B.1.525 trete „seit einiger Zeit in Dänemark und nun auch in Deutschland auf“. Laut RKI gilt die Variante bisher allerdings nicht wie etwa die britische B.1.1.7 als „Variant of Concern“, sondern lediglich als Variante „unter Beobachtung“.

Als „Variant of Concern“ bewertet das RKI genauso wie das britische Gesundheitsministerium besonders besorgniserregende Virusvarianten, die sich etwa nachweislich schneller verbreiten als der Wildtyp.

Zwischen Mitte Januar und Ende Februar lag der Anteil von B.1.525 an der Gesamtzahl der analysierten Proben in Deutschland laut RKI zwischen 0,1 und 0,5 Prozent. FOCUS Online gibt einen Überblick, was wir über die Mutation bisher wissen.

Verbreitung

B.1.525 tauchte laut „Gelber Liste“ bereits in 23 Ländern weltweit nachweislich auf. Ende Dezember wurde sie erstmals in Großbritannien und Nigeria nachgewiesen. Auch in Dänemark verbreitete sich die Variante, allerdings muss hier erwähnt werden, dass die Länder mehr Virusproben sequenzieren als etwa Deutschland.

So ermittelte Großbritannien bis zum 24. Februar 56 Fälle. Dänemark, das flächendeckend Corona-Infektionen sequenziert, machte sogar 114 Fälle aus. Von diesen stehen sieben in direktem Zusammenhang mit Auslandsreisen nach Nigeria. Hierzulande werden seit Ende Januar je nach Inzidenz nur zwischen fünf und zehn Prozent der Proben untersucht.

Prozentual verzeichnet Nigeria die meisten Ansteckungen mit B.1.525: Dort gehen laut „Pharmazeutischer Zeitung“ rund ein Viertel aller Infektionen auf die Variante zurück.

Wirksamkeit von Antikörpern gegen die Mutation

B.1.525 enthält verschiedene Mutationen, drei davon betreffen das Spike-Protein: Q52R, E484K und Q677H. Mit diesem Protein kann ein Virus an die Oberfläche der menschlichen Zellen andocken.

E484K taucht auch bei der südafrikanischen Variante B.1.351 sowie der brasilianischen P.1 auf. Die Mutation befindet sich an der Spitze des Spike-Proteins, ein häufiger Angriffspunkt von neutralisierenden Antikörpern. Durch die Veränderung scheinen die Zellen bestimmte Antikörper nicht mehr binden zu können. Das Virus lässt sich also nicht mehr so leicht neutralisieren, es entkommt zumindest teilweise der Immunantwort des Körpers. Man spricht hier von sogenannten „Immun-Escape-Mutationen“.

„Deswegen wird vermutet, dass die derzeit erhältlichen Impfstoffe gegen diese Variante eine geringere Wirksamkeit aufweisen könnten“, schreibt etwa das RKI zur brasilianischen Variante P.1.

Wissenschaftler untersuchten die Eigenschaften von P.1 anhand des Infektionsgeschehens in der brasiliansichen Stadt Manaus. Nach einer starken ersten Welle gingen Forscher davon aus, in der Stadt müsste bereits Herdenimmunität herrschen. Stattdessen erlitt Manaus eine ebenso heftige zweite Infektionswelle. Die Studie ergab, dass sich das mutierte Virus zu 25 Prozent bis 61 Prozent einer früheren Immunität entziehen kann. Damit könnten sie auch eine Erklärung dafür gefunden haben, warum sich P.1. trotz vorherrschender Herdenimmunität verbreiten konnte. Ob und inwieweit das auch bei B.1.525 der Fall ist, ist bislang nicht geklärt.

Infektiosität von B.1.525

Die anderen beiden Veränderungen der Aminosäuren bei B.1.525 sind noch nicht ausführlich hinsichtlich ihrer Infektiosität erforscht. Allerdings weist eine im Februar auf dem prePrint-Server „medRxiv“ veröffentlichte Studie darauf hin, dass Q677H bereits bei mindestens sechs weiteren Virusvarianten in den südlichen USA nachgewiesen wurde. Das könnte laut den Wissenschaftlern für eine stärkere Durchsetzungskraft und schnellere Verbreitung sprechen.

Außerdem weist B.1.525 drei Deletionen auf, zwei davon hat die Variante mit der britischen B.1.1.7 gemein. Eine Deletion bezeichnet in der Genetik den Verlust eines DNA-Abschnitts. Besonders besorgniserregend schätzen Experten die Deletion del69/0 ein. Deren Infektiosität gilt als doppelt so hoch wie die der Ursprungsvariante. Das zeigt zumindest eine Studie der Universität Cambridge, die die Forscher im Dezember 2020 ebenfalls auf dem prePrint-Server „medRxiv“ veröffentlichten. Damit könnte auch B.1.525 deutlich ansteckender sein als das Ursprungsvirus.

Darüber, um wie viel ansteckender die weiteren Corona-Mutationen tatsächlich sind, sind sich Wissenschaftler bislang aber uneins. Die britische Virusvariante B.1.1.7 ist nach Schätzungen des RKI um mindestens 35 Prozent ansteckender als die herkömmliche. Sie gilt als „Variant of Concern“ (VOC), vor Weihnachten schätzten britische Forscher ein um 50 bis 70 Prozent erhöhtes Risiko. Neuere Studien gehen von 43 bis 82 Prozent aus, während die britische Gesundheitsbehörde nur eine erhöhte Infektionswahrscheinlichkeit von 25 bis 40 Prozent angibt.

Auch bei B.1.351 geht das RKI von einer höheren Übertragbarkeit aus. Führende Experten aus Südafrika vermuten etwa ein um 50 Prozent erhöhtes Ansteckungsrisiko, welches sich in einer mathematischen Modellrechnung ergeben habe.

Die P.1-Variante soll etwa im brasilianischen Manaus für einen schnellen zweiten Infektionsanstieg verantwortlich sein. Wissenschaftler vermuten, dass das Virus dort zwischen 1,4 und 2,2-fach leichter übertragen wurde.

Verlauf und Sterblichkeit

Laut Experten liegen für B.1.525 bislang keine Daten vor, die auf schwerere Verläufe oder häufigere Todesfälle in Folge einer Infektion mit der Mutation hinweisen. Allerdings konnten britische und brasilianische Wissenschaftler etwa für die Variante P.1, die ja ebenfalls die Mutation E484K aufweist, in der Stadt Manaus ein um das 1,1 und 1,8-Fache erhöhtes Sterberisiko ermitteln.

Hier gibt es jedoch Einschränkungen: Das Gesundheitssystem in Manaus brach während der zweiten Infektionswelle erneut zusammen. Es ist also nicht eindeutig geklärt, ob das Sterberisiko auf überlastete Intensivstationen oder die Variante selbst zurückzuführen ist.

Variante muss genau beobachtet werden

B.1.525 ist aufgrund seiner genetischen Veränderungen also potenziell in der Lage, mehr Menschen zu infizieren als der Wildtyp. Auch, dass der Erreger möglicherweise den bislang zugelassenen Impfstoffen entkommen kann, ist möglich.

Ob die Variante damit allerdings noch gefährlicher ist, als die anderen Corona-Mutationen, bleibt abzuwarten. Beweise gibt es dafür bislang keine. So erklärte etwa Epidemiologe Andrew Hayward vom University College London dem britischen Sender „BBC“: „Glücklicherweise scheint er sich nicht schneller zu verbreiten als andere Stämme, die Verbreitung erfolgt immer noch auf einem sehr, sehr niedrigen Niveau.“ Dennoch betonte der Wissenschaftler: „Wir müssen all diese Varianten wirklich sehr genau beobachten. Wir wissen nicht, was sie auslösen können.“

Peter Bauer vom Biontech-Unternehmen Centogene, das die Variante jetzt am Berliner Flughafen nachgewiesen hat, ergänzt: „Wir haben im vergangenen Pandemie-Jahr einiges über Sars-CoV-2 gelernt. Trotzdem wissen wir noch lange nicht genug über das wandelbare neuartige Virus und die neu entstehenden Varianten, um das weltweite Infektionsgeschehen effektiv einschränken zu können. Gerade deshalb ist es so wichtig, neue Varianten engmaschig mittels Vollgenom-Sequenzierung zu verfolgen.“