Kritik an Spahns Impfmanagement wächst
16. März 2021Stand: 16.03.2021 19:19 Uhr
Gesundheitsminister Spahn gerät immer stärker unter Druck: Der Mangel an Impfstoff, die schleppende Organisation, der Stopp der AstraZeneca-Impfungen und die Verschiebung des Impfgipfels sorgen für Unmut.
Von Vera Wolfskämpf, ARD-Hauptstadtstudio
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragt das Bundesgesundheitsministerium das Paul-Ehrlich-Institut. Und das sagt zum Impfstoff von AstraZeneca: Es habe sieben schwerwiegende Fälle von Thrombosen gegeben, drei davon tödlich – und das seien mehr, als normalerweise ohne Impfung in der Bevölkerung auftreten.
Gesundheitsminister Jens Spahn ist dieser fachlichen Entscheidung gefolgt. Doch politisch hätte er das abwägen müssen, findet Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: „Auf der anderen Seite frage ich mich, war da eigentlich die Abwägung danach, wie viele Menschen erkranken, schwer erkranken, sterben können, wenn sie nicht geimpft werden? Das ist ein Versäumnis des Bundesgesundheitsministers.“
EMA: Vorteile überwiegen
Dirk Brockmann, Physiker am Robert Koch-Institut, macht dazu eine Rechnung auf: Ihm zufolge ist das Risiko, an Covid-19 zu sterben, tausendmal höher als eine mögliche tödliche Thrombose nach einer Impfung. Die genauen Zusammenhänge prüft nun die Europäische Arzneimittelagentur EMA, am Donnerstag will sie das Ergebnis bekannt geben. Bis dahin, und davon ist die EMA überzeugt, würden die Vorteile des Impfstoffs das Risiko überwiegen.
Den Stopp findet Linken-Chef Dietmar Bartsch daher falsch: „Ich fordere, dass der Impfstoff AstraZeneca an diejenigen, die geimpft werden wollen, auch weiterhin verimpft werden kann. Das wäre dringend notwendig.“
Grund für das Aussetzen der AstraZeneca-Impfungen waren sieben Fälle einer speziellen Thrombose. Diese sei bei Menschen zwischen etwa 20 und 50 Jahren aufgetreten, teilte das Paul Ehrlich-Institut mit. Sechs der Erkrankten hätten eine sogenannte Sinusvenenthrombose erlitten, davon betroffen gewesen seien Frauen in jüngerem bis mittlerem Alter. In einem weiteren, vergleichbaren Fall sei es zu Hirnblutungen bei einem Mangel an Blutplättchen gekommen.
„Alle Fälle traten zwischen vier und 16 Tage nach der Impfung mit dem Covid-19-Impfstoff AstraZeneca auf“, hieß es. Drei der sieben Betroffenen seien verstorben. Das seien mehr Fälle, als normalerweise ohne Impfung in der Bevölkerung auftreten.
Das Paul-Ehrlich-Institut weist darauf hin, dass sich Personen, die den Covid-19-Impfstoff von AstraZeneca erhalten haben und sich mehr als vier Tage nach der Impfung zunehmend unwohl fühlen – zum Beispiel mit starken und anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen -, unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben sollten.
Die AfD kritisiert einmal mehr das Impfchaos. Und FDP-Chef Christian Lindner sieht eine Fehlentscheidung darin, den Impfgipfel zu verschieben: „Wir brauchen eine Abstimmung der Impfprozesse in den Ländern und den Gemeinden mit dem Bund in dieser neuen Lage. Statt weniger zu sprechen, muss jetzt mehr gesprochen werden.“ Und zwar auch mit dem Hersteller AstraZeneca, mit der Wissenschaft und mit den Hausarztpraxen, fordert der FDP-Politiker.
Impfgipfel an diesem Freitag
Laut SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer soll der ursprünglich für morgen geplante Impfgipfel nun am Freitag stattfinden: „Weil die Europäische Arzneimittelbehörde sich am Donnerstag ein erneutes Bild über den Impfstoff AstraZeneca machen möchte und der Wunsch der Bundesebene war, dass wir uns dann Freitag dazu treffen werden.“ Dann habe man hoffentlich Klarheit, ob man mit dem Impfstoff von AstraZeneca rechnen könne, so Dreyer. Denn eigentlich wollten Bund und Länder einen Plan machen, wie es beim Impfen schneller vorangeht und wie sie etwa die Arztpraxen einbeziehen können.
-
Wichtige Antworten zum vorläufigen Impfstopp im Überblick.
Ob das wie angepeilt Mitte April losgeht, ist nun ungewiss. Der Impfstoff von AstraZeneca wäre dafür gut einsetzbar, weil er nicht so stark gekühlt werden muss. Aber selbst wenn er wieder freigegeben wird, könnte es stocken, befürchtet CSU-Chef Markus Söder, weil die Akzeptanz des Vakzins dann „nicht automatisch in den Himmel“ wachse. Außerdem sei es wichtig, schnell die Hausärzte einzubinden, so Söder. „Denn die Hausärzte können die individuelle Beratung machen, ob der Impfstoff für den Einzelnen geeignet ist oder nicht, und können mit der Impfung auch die Betreuung übernehmen.“
Selbst die Verantwortlichen in Bund und Ländern sehen einen Rückschlag für die Impfkampagne – umso mehr braucht es einen Plan, wie sie die Verzögerung aufholen und die schleppende Impfkampagne voranbringen können, um letztlich Vertrauen zurückzugewinnen.