NRW-Ministerpräsident in der Defensive – Laschet in der Kanzler-Falle: Kritiker fühlen sich bestätigt, Freunde sind verwirrt
24. Juni 2020Der Raum Gütersloh ist zum gefährlichsten Viren-Hotspot des Landes geworden. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident gerät verstärkt in die Defensive. Armins Laschets Hauptproblem heißt weder Merz noch Spahn (beide CDU) noch Söder (CSU), sondern Armin Laschet. Der 59-Jährige ist aus dem Tritt gekommen.
Die Zeit drängt. Er muss eigentlich gleich weiter, zu einer Runde im Kanzleramt. Armin Laschet kommt aus einem Gespräch mit seinen Ministerpräsidenten-Kollegen, er hat’s eilig. Doch ihn fangen wartende Reporter ab. Was der bedrohliche Corona-Ausbruch beim Fleisch-Giganten Tönnies über die bisherigen Lockerungen in Nordrhein-Westfalen aussagt, wollen sie wissen. Antwort Laschet: „Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind, und da der Virus herkommt.“
Der Virus als Auslands-Import, der mit dem Geschehen in seinem Land rein gar nichts zu tun hat? Die Aussage ist erst wenige Minuten alt, da geht das zugehörige Video schon viral. Laschet selbst dürfte bald gemerkt haben, dass seine Reflex-Antwort missraten war. Der Effekt: Der 59-Jährige, der im Dezember an die Spitze der CDU rücken will, ist in der Defensive. Wieder einmal.
Ausländer zu Sündenböcken gemacht
Laschet hatte vor einer Woche – buchstäblich im Vorübergehen – Ausländer, die selbst Opfer sind, zu Sündenbocken gemacht. Genau das ist zwar eigentlich nicht Laschets Art. Doch selbst die bulgarische Außenministerin reagierte verstimmt. Dass das ausgerechnet ihm passiert, ist mehr als erstaunlich. Der Mann, dem die eigenen Leute einst stichelnd den Beinamen „Türken-Armin“ verpasst haben, betrachtet Integration und den Kampf für Schwache als Herzenssache. Seit Jahren. Zudem ist er eher der friedliebende als der krawallige Typ. Und so fragen sich gerade immer mehr: Was ist eigentlich mit Laschet los?
„Bei Armin klingt selbst die Ankündigung eines Weltuntergangs wie eine Einladung zum Kaffeetrinken“, witzelte vor wenigen Wochen ein Parteifreund, der Laschet lange und gut kennt. Und in der Staatskanzlei eines anderen CDU-Regierungschefs hieß es über den Ministerpräsidenten aus dem Westen: „Seine Oster-Ansprache wirkte, als wolle er dem Bundespräsidenten Konkurrenz machen „. Es konnte zwar immer mal passieren, dass sich Laschet – so wie neulich bei Anne Will – zu kleinen Wut-Attacken hinreißen ließ. Und im Umgang mit Parteifreunden ist auch er wahrlich nicht zimperlich. Nur ist der Rheinländer im Kern ein fast harmoniesüchtiger Typ.
Einstige Widersacher um sich geschart
So hat Laschet in Düsseldorf in seinem Regierungsteam auch einstige Widersacher um sich geschart. Die Truppe arbeitet effizient und kollegial. Seine Regierungsleute lassen nichts auf den Chef kommen. Die Minister Karl-Josef Laumann (Gesundheit) und Hendrik Wüst (Verkehr) zum Beispiel waren noch vor wenigen Jahren eingefleischte Laschet-Gegner, die sich mit ihm offene Feldschlachten lieferten. Längst sind die Männer Teil der Mannschaft geworden.
In den letzten Wochen aber läuft es nicht mehr rund für Laschet. Die Corona-Krise bot ihm im Rennen um den CDU-Parteivorsitz die Chance, gegenüber Norbert Röttgen und – vor allem – gegenüber seinem schärfsten Konkurrenten Friedrich Merz weiter Boden gut zu machen und sich als Krisenmanager zu bewähren. Eigentlich. Doch wenn Laschet punkten konnte in den letzten Monaten, hat er den Gewinn meist schnell verspielt.
Wirtschaftsvertreter überzeugt
So war Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident derjenige, der früh und klar die Interessen von Familien und von Unternehmern in Corona-Zeiten formuliert hat. Bürgern Einschränkungen zu verdonnern, ist einem Laschet vom ganzen Denken her fremd. Mit seinem frühen und hartnäckigen Drängen für eine Lockerung der harten Corona-Schutzauflagen hat er vor allem Vertreter der Wirtschaft und eben des Wirtschaftsflügels der Union von sich überzeugt: „Endlich einer, der sich traut.“ Nur machte Laschet mit seiner Nervosität und Pannen bei der praktischen Umsetzung seines Plans einen Teil seiner Erfolge gleich wieder zunichte.
Erst gestern verhängte der Ministerpräsident für die Kreise Gütersloh und Warendorf mit ihren etwa 640.000 Einwohnern einen Lockdown light. Fahrlässig spät, wie viele befanden. Denn schon Tage zuvor waren hunderte Tönnies-Mitarbeiter positiv getestet worden. Mittlerweile sind es über 1400. Ob Laschet zögerte, weil er Angst hatte, dieser Schritt könnte ihm als Korrektur seiner Lockerungs-Linie ausgelegt werden? „In dieser Lage muss man verantwortlich abwägen, immer wieder, jeden Tag neu“, erklärte Laschet heute in der Aktuellen Stunde im Düsseldorfer Landtag.
Es gebe ein „enormes Pandemie-Risiko“. Genau deshalb allerdings hatten viele eine zügigere Entscheidung von ihm erwartet.
„Er hat den Söder im Kopf“
So kam Armin Laschet in diesen Wochen gefühlt immer wieder zu früh oder zu spät. Dabei war es oft sein eigenes Schwanken – mal hart, mal freundlich, mal streng, mal locker – , das die kritische Außen-Bewertung dann noch verfestigte. In Wahrheit kämpft Laschet natürlich nicht nur gegen die Pandemie, sondern immer auch ein bisschen gegen Merz und vor allem gegen den CSU-Vorsitzenden, gegen Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder.
Merz hat gegenüber Laschet den Vorteil des Theoretikers. Merz muss aktuell nur sagen, wie es laufen kann, er muss nicht beweisen, dass er es tatsächlich hinbekäme. Söder wiederum muss zwar als Ministerpräsident von Bayern liefern – was er auch tut – , genießt aber mit Blick auf eine mögliche Kanzlerkandidatur für die Union den Luxus des Konjunktivs: Er würde es vielleicht machen, aber er hat ja nie gesagt, dass er überhaupt will. Diese Versuchsanordnung hat für den 53-Jährigen einen großen Vorteil: Er kann nur gewinnen. Wer nie offiziell eine Kanzlerkandidatur angestrebt hat, kann sie auch nicht verlieren. Clever, der Franke. „Uns reicht die Vorstellung, dass wir’s könnten, wenn wir’s müssten“, sagte sein Generalsekretär Markus Blume neulich. Und dass er‘s könnte, lässt der CSU-Vorsitzende halt gern mal durchblicken.
Der tückischste Gegner des Armin Laschet ist Armin Laschet selbst.
Der Mann ist – die bissige Bemerkung über die rumänischen und bulgarischen Arbeiter ist da typisch – gerade nicht er selbst. Für einen, der nicht nur die Nr. 1 der CDU, sondern auch die Nr. 1 im Land werden möchte, darf dieser Zustand nicht lange andauern.
Kommt Spahn? „Bitte nicht blutig!“.
Seit Wochen wird in Berliner Debattier-Runden ein Gedankenspiel befeuert: Wenn Lachet schwächelt, könnte dann Jens Spahn, sein neuer Mitstreiter, die Bewerbung um den CDU-Vorsitz „übernehmen“? Spahn ist ehrgeizig. Einen wie ihn juckt es in den Fingern. Vielen ist aufgefallen, dass die beiden sich schon ziemlich lange nicht mehr gemeinsam öffentlich gezeigt haben.
Bis auf Weiteres aber bleibt ein fliegender Wechsel ein ziemlich theoretisches Gedankenspiel. Denn nachdem sich Spahn am 25. Februar im neuen Doppel der Harmonie mit Laschet als dessen Verbündeter im Kampf um die CDU-Spitze positioniert und den Verzicht auf eine eigene Kandidatur verkündet hatte, könnte der Bundesgesundheitsminister es sich nicht erlauben, Laschet wegzuputschen. Die CDU hält es nämlich bei Personalien wie die meisten Frauen bei der Steak-Bestellung: „bitte nicht blutig!“
Was noch vor wenigen Wochen erwartbar schien, ein Sieg Laschets, ist keineswegs mehr klar. Vielleicht kommt es auf dem CDU-Parteitag am 4. Dezember zu einer handfesten Überraschung. In der Politik ist ein halbes Jahr eine verdammt lange Zeit.