Drosten: Auffrisch-Impfungen womöglich ab Winter
27. April 2021In der neuen Folge des Podcasts Coronavirus-Update weist der Virologe Christian Drosten darauf hin, dass noch wenig darüber bekannt ist, für wie lange eine vollständige Impfung vor einer Coronavirus-Infektion schützt. Die Virus-Variante in Indien beunruhigt ihn hingegen nicht so sehr.
Der Virologe von der Berliner Charité hält es mit Blick auf die aktuellen Diskussionen in der Politik und in den Medien über das weitere Vorgehen in der Pandemie für wichtig, sich Folgendes klarzumachen: Das jetzige Wissen über die Wirkung der Corona-Schutzimpfung sei noch nicht sehr umfangreich, insbesondere, was den Bevölkerungsschutz angeht. „Was wir wissen ist: Die Impfungen sind sehr effektiv gegen die Krankheit, zu 90 Prozent und höher“, sagt Drosten. „Zusätzlich haben wir die Wahrnehmung, dass die Impfung zu einem hohen Prozentsatz gegen eine Infektion schützt, auch gegen eine unbemerkte Infektion. Wir müssen uns aber klarmachen, dass diese hohen Werte wenige Wochen nach einer Impfung erhoben worden sind.“
„Der Schleimhaut-Schutz hält nicht ein Leben lang“
Dieses Bild aus den Studien werde sich ändern, wenn man einen Zeitraum betrachtet, der ein paar Monate nach der zweiten Impfdosis liegt. „Dann werden die Impfstoffe nicht mehr so gut belastbar aussehen, was die Weitergabe des Virus angeht“, sagt Drosten. „Das muss in der Öffentlichkeit mitgedacht werden.“ Konkret gehe es um die IgA-Antikörper auf der Schleimhaut im Mund-Rachen-Raum, die vor einer Coronavirus-Infektion schützen. „Der Schleimhaut-Schutz hält nicht ein Leben lang nach zwei Impfungen“, macht der Virologe deutlich. „Der Schleimhaut-Schutz wird schon im kommenden Winter verringert sein.“ Was aber nicht heißt, dass er komplett verloren gegangen sein wird. Dennoch gelte: „Trotz Impfung werden diese Personen wieder zu denjenigen gehören, die das Virus nach einer Infektion weitergeben können“, so Drosten.
Wuhan-Studie: Antikörper auf Schleimhaut verringern sich wieder
In diesem Zusammenhang verweist Drosten auf eine Studie aus der chinesischen Stadt Wuhan. Die Forscher haben dabei auch untersucht, wie sich die Zahl der Antikörper bei den Menschen entwickelt, die sich zu Beginn der Pandemie mit dem Coronavirus angesteckt hatten und dann genesen waren. Die Zahlen aus dem Jahr 2020 geben den „sehr starken Hinweis“, dass der Schleimhaut-Schutz in der Bevölkerung nach einem Dreivierteljahr größtenteils verloren gegangen ist. Das heißt: Diese Personen können sich wieder infizieren, auch wenn sie dann nicht mehr schwer erkranken. „Auch nach einer Impfung gehen die Antikörper auf der Schleimhaut verloren“, sagt Drosten. „Wir wissen nur noch nicht, wie lange das dauert – bei keinem Impfstoff. Wir wissen das dank der Studie aus Wuhan bislang nur für die natürliche Virusinfektion.“
Im Winter wird man nachimpfen
Drosten betont, dass bei allen Infektionskrankheiten über die Atemwege gilt: Der Impfschutz bleibt nicht für immer. Das sei keine Besonderheit des neuartigen Coronavirus. Deshalb sei es auch klar, dass man nachimpfen muss – wie bei der Grippe-Impfung. „Ab dem Herbst oder Winter wird man zumindest den Risikogruppen eine einmalige Auffrischungsimpfung spritzen. Das werden dann wahrscheinlich Vakzine sein, die ein Update hinsichtlich der Immun-Escape-Varianten haben“, sagt der Virologe. „Solch ein Update für Mutationen ist relativ einfach auf Ebene eines zugelassenen Impfstoffes zu machen. Das sind eingeübte Prozesse, das kennen wir aus den Influenza-Impfungen. Das geht schnell.“
Nicht wegen der Mutationen sind Nachimpfungen erforderlich
Der Wissenschaftler stellt klar: „Man muss nicht nachimpfen, weil irgendwelche Mutanten auftreten, sondern in erster Linie, weil Immunität gegen Schleimhaut-Viren nicht lebenslang hält. Wir sprechen hier nicht von einer Masern-Impfung.“ Gerade Länder wie Deutschland – mit einem hohen Anteil älterer Bevölkerungsgruppen – sollten lieber auf Nummer sicher gehen und im kommenden Winter „mehr als nur sehr umgrenzte Risikogruppen nachimpfen“.
„Es ist Unsinn, dass die Corona-Pandemie niemals aufhört“
Die gute Nachricht lautet nach Auffassung von Drosten: Je öfter man sich mit einem Coronavirus ansteckt (und die Infektion dann höchstens noch als Erkältung wahrnimmt), desto länger hält der vollständige Schleimhaut-Immunschutz – nicht mehr für Monate, sondern dann für mehrere Jahre. „Endzeit-Szenarien, wonach die Corona-Pandemie nie aufhören werde, sind Unsinn“, sagt der Virologe.
Indien: „Die Virus-Variante beunruhigt mich nicht groß“
Dass der Immunschutz in den Schleimhäuten mit der Zeit nachlässt, könnte nach Meinung von Drosten auch in Indien eine Rolle spielen, wo die Infektionszahlen in jüngster Zeit dramatisch gestiegen sind. Die dort nachgewiesene Virus-Variante B.1.617 hält der Virologe aus Berlin hingegen nicht für allein ausschlaggebend. „Ja, die Virus-Variante hat Merkmale eines leichten Immun-Escape-Effektes. Aber das ist nichts, was mich groß beunruhigt“, sagt Drosten. Vom Effekt her sei das offenbar weniger als bei der südafrikanischen Variante. Es gebe auch bisher keinen wissenschaftlichen Anhaltspunkt, dass die Virusmutation in Indien kränker macht. Ausschlaggebend für die rasant gestiegenen Zahlen an Neuinfektionen sei vielmehr der geringe Immunschutz in der Bevölkerung – auch weil die Impfkampagne noch nicht weit fortgeschritten ist – in Kombination mit einer leichten Immun-Escape-Mutation. „Diese beiden Effekte kommen in Indien momentan zusammen“, sagt Drosten.
Sollen sich Schwangere impfen lassen?
In Deutschland gibt es bislang keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), dass sich Schwangere gegen das Coronavirus impfen lassen sollen. Einige andere Länder sehen das anders. So empfiehlt die britische Impfkommission, dass Schwangere ihre Impfungen mit den Vakzinen von Pfizer/Biontech oder Moderna erhalten sollen. Auch in den USA und in Frankreich laufen Impfungen von Schwangeren bereits. Drosten hält dieses Vorgehen nach aktueller Datenlage für unbedenklich – vor allem, wenn man die Impfung erst nach dem ersten Drittel der Schwangerschaft gibt. Dabei beruft sich Drosten auf eine Studie aus den USA. Mögliche Komplikationen treten demnach genauso häufig auf wie bei nicht-geimpften Schwangeren.
Der Virologe weist aber auch darauf hin, dass für die ersten drei – besonders sensiblen – Monate einer Schwangerschaft erst wenige Daten im Zusammenhang mit einer Corona-Impfung vorliegen. Die aussagekräftigsten Daten gibt es bislang für vor allem für Impfungen im dritten Trimester der Schwangerschaft.