Der mutmaßliche Staatsterrorist und der Verfassungsschutz
28. April 2021Der Fall des mutmaßlichen Staatsterroristen Walid D., der als V-Mann für den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern gearbeitet haben soll, hält die Landespolitik weiter in Atem. Der Generalbundesanwalt wirft ihm die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat und Verabredung zum Mord vor. Die Opposition im Landtag fordert Aufklärung.
Das Innenministerium, untergebracht im Arsenal am Pfaffenteich in der Schweriner Innenstadt, wirkt mit seinen Türmen und Zinnen wie eine trutzige Festung. Fieberhaft dürften sie hinter den historischen Mauern überlegt haben, wie sie mit der Geschichte um den mutmaßlichen Staatsterroristen Walid D. umgehen. Am Freitag vergangener Woche meldet das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erstmals, dass Walid D. auch V-Mann des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern gewesen sei. Einige Stunden später schickt die Pressestelle des Innenministeriums eine wortkarge Stellungnahme an die Medien – wegen laufender Ermittlungen der Bundesanwaltschaft könne man keine Aussagen zu dem Fall machen. Doch hinter den Kulissen dürfte der Druck weiter gestiegen sein, schließlich ist es nicht der einzige skandalöse Fall, den der Verfassungsschutz des Landes aufzuarbeiten hat – zumal Quellen aus Landespolitik und Behörden dem NDR die Geschichte bestätigen. Am Sonntagnachmittag dann die nächste Pressemitteilung: laut Innenministerium hätten die Polizei und der Verfassungsschutz des Landes eng und erfolgreich mit anderen Behörden zusammengearbeitet, zu der Frage, ob Walid D. tatsächlich als V-Mann gearbeitet hat, dazu dürfe man keine Auskunft geben, so das Innenministerium.
Die Spur führt nach Tschetschenien
Die dazugehörige Geschichte klingt abenteuerlich und beginnt rund 3.300 Kilometer östlich von Schwerin, in der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Dort herrscht Ramsan Kadyrow, Machthaber von Putins Gnaden. In der Wahl seiner Mittel zeigt er keine Skrupel, Opposition im eigenen Land wird nicht geduldet und auch im Ausland werden Regimekritiker verfolgt und liquidiert, wenn es Kadyrow geboten scheint. In einem tschetschenischen Gefängnis sitzt damals Tamirlan A. ein. Später wird der den deutschen Ermittlungsbehörden sagen, dass ihm im Knast ein Angebot gemacht wurde: er soll nach Deutschland als Flüchtling einreisen und dort einen Auftragsmord begehen, dafür sei ihm eine Menge Geld geboten worden. Tamirlan A. geht darauf ein, kommt frei und landet schließlich im mecklenburgischen Nostorf an der Elbe, so haben es MDR und „Spiegel“ recherchiert. Dort trifft er sich mit dem Mann, der quasi als Doppelagent arbeiten soll, nämlich für die tschetschenische Regierung und den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommerns, eben Walid D., der eine Waffe für Tamirlan A. besorgt hat. Mit der Pistole, Typ Makarow, üben die zwei im November vergangenen Jahres in einem Wald bei Nostorf schießen.
Ein Mordversuch im Auftrag des Regimes
Ziel des geplanten Mordes: Mochmad Abdurachmanow, der mit seiner Familie als Geflüchteter im Großraum München lebt. Er und sein Bruder, der in Schweden lebt, und auf den auch schon ein erfolgloser Anschlag verübt wurde, sind in der tschetschenischen Opposition gegen Machthaber Kadyrow aktiv. Tamirlan A. und Walid D. fahren nach Bayern, zum Aufenthaltsort von Mochmad Abdurachmanow. Doch der Mordversuch wird nicht durchgeführt, Tamirlan A. hat Bedenken wegen des Fluchtwegs. Tatsächlich geht er kurze Zeit später zur Polizei und lässt den ganzen Plan auffliegen. A. gibt an, dass er den Mord nie habe ausführen wollen. Die Behörden glauben seiner Geschichte, Tamirlan A. wird in ein Kronzeugenprogramm aufgenommen. Walid D. wird daraufhin verhaftet, in seiner Wohnung eine Waffe gefunden. Bis heute streitet er seine Tatbeteiligung ab.
Was wusste der Verfassungsschutz MV?
Was wusste der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern über Walid D.? War er schon vor dessen Verhaftung über seine Aktivitäten als Staatsterrorist informiert? Am Montag gibt Innenminister Torsten Renz (CDU) dem NDR ein Interview zu dem Fall, in dem er fast gebetsmühlenartig immer wieder dieselbe Botschaft wiederholt: „Als Innenminister habe ich die Sicherheit der Bürger Mecklenburg-Vorpommerns zu gewährleisten.“ Die Behörden hätten eng mit der bayerischen Polizei zusammengearbeitet, dies habe letztlich auch zur Identifizierung und Inhaftierung von Tatbeteiligten geführt. Und die Parlamentarische Kontrollkommission, also die Landtagsabgeordneten, die die Arbeit des Verfassungsschutzes überwachen, sei schon Ende Januar dazu informiert worden. Vom Minister gibt es allerdings kein Wort dazu, ob und welche Bezüge der Fall Walid D. zu Mecklenburg-Vorpommern hat – und erst recht nicht, ob er V-Mann des Verfassungsschutzes des Landes war. „Grundsätzlich kann ich zu V-Männern keine Aussagen treffen, weil dadurch Leib und Leben und das Staatswohl gefährdet sein könnten“, so Renz.
Der nächste Skandal?
Auch in Berlin wird die neueste Affäre um den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern beobachtet: die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Die Linke), die im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Attentats auf den Berliner Breitscheidplatz sitzt, schreibt auf Twitter: „Inneministerium MV paktierte mit mutmaßlichem Schwerverbrecher (…). Das muss aufgeklärt werden.“ Der SPD-Landtagsabgeordnete Dirk Friedriszik schreibt ebenfalls auf Twitter: „Eigentlich kann man das LfV (Landesamt für Verfassungsschutz, Anm. der Redaktion) nur noch auflösen und dann alles einmal auf Anfang.“ Und der innenpolitische Sprecher der Linken im Landtag, Peter Ritter, fordert „endlich Offenheit“ vom Innenministerium. „Das Vertrauen in die Behörden ist längst im Eimer“, so Ritter. Von Innenminister Torsten Renz erwartet er Aufklärung zum Fall Walid D. in der Sitzung des Innenausschusses des Landtags am Donnerstag.