Neueste Mutationszahlen vom RKIBinnen einer Woche: Anteil der Delta-Variante in Deutschland fast verdoppelt
23. Juni 2021Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht im Tagesrhythmus Zahlen zum Infektionsgeschehen. Mit besonderer Spannung wird derzeit der wöchentliche Virusvariantenbericht erwartet. Die Ausbreitung der Delta-Variante wird darüber entscheiden, ob Deutschland ein anstrengender Corona-Herbst droht.
In dem Moment, in dem eine ansteckendere Version des Coronvirus in einem Land Fuß gefasst hat, ist sie kaum mehr aufzuhalten. So war es bei der Alpha-Variante, wie die erstmals in Großbritannien aufgetauchte Mutante B.1.1.7 inzwischen heißt. Sie überholte den Wildtyp von Sars-Cov-2 auch in Deutschland und entwickelte sich in kurzer Zeit zur dominierenden Variante. Das hohe Ansteckungspotenzial von Alpha in Kombination mit der zäh anlaufenden Impfkampagne war verantwortlich dafür, dass die zweite Welle um Weihnachten herum nie ganz abflaute, bevor sich dann eine dritte Welle noch einmal massiv aufbauen konnte.
Die aus Indien stammende Delta-Variante wird allen Experten-Meinungen zufolge auf der gleichen Erfolgsspur durch Deutschland ziehen und aller Wahrscheinlichkeit nach im Herbst eine vierte Infektionswelle auslösen. Wie hoch diese wird, wann sie sich aufbaut und wen sie besonders treffen wird, hängt in erster Linie vom Impftempo ab und von unserem Verhalten in diesem Sommer.
Deltavariante klettert von 3,7 auf 8 auf 15 Prozent
In England ist Delta die dominierende Variante. Hierzulande ist sie auf dem Vormarsch. Wie schnell sie sich verbreitet und durchsetzt, wird von Medizinern und Gesundheitspolitikern mit Argusaugen beobachtet. Und so findet auch der wöchentliche Virusvariantenbericht des Robert-Koch-Instituts gespannte Beachtung.
Der am 23. Juni veröffentliche 15. Bericht zu Virusvarianten von Sars-CoV-2 lässt wenig Gutes ahnen: Er zeigt die von Experten erwartete wöchentliche Verdoppelung des Delta-Anteils am Infektionsgeschehen. Es ist sogar noch mehr.
Bei 8 Prozent lag der Anteil der Delta-Variante in der letzten RKI-Veröffentlichung zu den Mutationen. Die Zahl bezog sich auf den Zeitraum von 31. Mai bis 6. Juni. In der Woche zuvor war noch ein Anteil von 3,7 Prozent am Infektionsgeschehen registriert worden. Und nun: 15 Prozent beträgt der Anteil der ansteckenden Virusvariante – eine sprunghafte Steigerung.
Bundesländer nennen Delta-Anteil von 20 -25 Prozent
Zuvor hatten schon mehrere Bundesländer gemeldet, dass der Anteil der Variante bei ihnen deutlich gestiegen sei. In Hessen macht sie nach Angaben von Gesundheitsminister Kai Klose bereits mehr als ein Fünftel der Neuansteckungen aus. Aus Bayern hieß es: In einzelnen Laboren betrage der Anteil inzwischen fast ein Viertel. Die Zahl der bestätigten Infektionen mit der Delta-Variante habe sich im Verlauf einer Woche fast verdoppelt – von 132 auf 229 Fälle.
Viele offene Fragen zur Delta-Variante
In der Beurteilung der möglichen Gefahr durch die Delta-Variante sind sich die deutschen Virologen, Epidemie-Experten, Modellierer oder Intensivmediziner einig: Daher sollten Maßnahmen wie Masken tragen, Abstand halten und überschaubare Kontakte aufrecht erhalten werden. Viele Fragen können sie derzeit nicht beantworten: Kann die aktuell sehr niedrige Inzidenz in Deutschland die Delta-Variante abbremsen, bevor die hohe Infektiosität zum Tragen kommt? Werden Reiserückkehrer vom Sommerurlaub Delta-Infektionen im ganzen Land verstreuen? Ist England die Blaupause für die Entwicklung hierzulande?
Der Virologe Christian Drosten plädiert angesichts der Entwicklung dafür, mehr Druck bei der Impfung zu machen. „Wir müssen einfach schnell impfen“, lautet der Appell des Experten der Berliner Charité im NDR-Podcast „Coronavirus-Update“. Im Herbst werde die Inzidenz auf jeden Fall wieder steigen, sagte Drosten und betonte die Wichtigkeit der Impfung bei Eltern von Schulkindern.
Der Impfschutz gegen die Delta-Variante ist nach der Erstimpfung zwar relativ schwach, für vollständig Geimpfte aber im Vergleich zur noch in Deutschland dominierenden Variante Alpha gleichwertig. Und wichtig, denn: Gegenüber der Alpha-Variante (B.1.1.7) ist eine Delta-Infektion ansteckender, die Infizierten haben eine höhere Viruslast, es gibt Hinweise, dass auch die Krankheitsverläufe heftiger ausfallen.
Vorteil Deutschland: Sommer und sehr niedrige Inzidenz
Christian Drosten meint aber auch, dass Deutschland nicht dem Beispiel Englands folgen müsse, wo sich die Corona-Lage wegen der Delta-Variante wieder verschlechtert hat. Dort hatte sich die Delta-Variante nach Lockerungen bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 25 ausgebreitet. „Man hatte nicht so weit runtergebremst, wie wir das jetzt in Deutschland schon gemacht haben“, begründet der Virologe die Hoffnung, dass neue Kontaktbegrenzungen überflüssig blieben.
Hierzulande lag der Wert zuletzt bei 7,2 Infektionen pro Woche und 100.000 Einwohner, wie aus Daten des Robert Koch-Instituts vom 23. Juni hervorgeht. Das war fast die Hälfte von der Vorwoche mit einer 7-Tage-Inzidenz von 13,2. Auch in den Krankenhäusern hat sich die Corona-Lage entspannt.
Drosten verwies mit Blick auf die Bevölkerungsstruktur in Großbritannien darauf, dass das Virus anfangs in größeren asiatischstämmigen Communitys hochgekocht sei. Es habe dort eine höhere Zahl an unabhängigen Eintragungen der Variante – etwa direkt aus Indien – gegeben. „Deswegen kann es auch sein, dass sich das bei uns nicht so einstellt.“
Impfung oder Infektion – der Delta-Variante entkommt man nicht
Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, hält eine Forcierung der Impfung für notwendig, indem Impfzauderer und -verweigerer dazu animiert werden. Denn, selbst wenn allen erwachsenen Impfwilligen in den nächsten Wochen ein Angebot gemacht werden kann, wird es wohl nicht für die sogenannte Herdenimmunität genügen, die bei der hochansteckenden Delta-Variante bei 85 Prozent liegen müsste. Montgomery sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mit Blick auf die Delta-Variante: „Wer sich nicht impfen lässt, wird sich früher oder später mit dem Coronavirus infizieren.“
Alexander Kekulé hat keine Zweifel daran, dass die Delta-Variante auch in Deutschland dominant werden wird. Er hält die Delta-Variante an sich aber für kein größeres Problem als die anderen Coronavirus-Varianten. In seiner wöchentlichen FOCUS-Online-Kolumne schreibt der Virologe: „Je häufiger der Erreger auf immune Individuen trifft, desto effektiver muss er sich ausbreiten, damit die Epidemie nicht ins Stocken gerät.“ Und er prophezeit: „Am Ende dieser Entwicklung stehen die zwar hoch infektiösen, aber harmlosen Erreger von Erkältungskrankheiten, wie Schnupfen- oder gewöhnliche Coronaviren. Die Delta-Variante macht davon keine Ausnahme.“
Und ihn beruhigt außerdem, dass trotz steigender Inzidenz und vorherrschender Delta-Variante in Großbritannien, ebenso wie in Portugal, bislang keine Zunahme der Sterblichkeit durch Corona-Infektionen zu verzeichnen sei.
Delta lässt keinen Spielraum für große Lockerungen
Spielraum für große Lockerungen, etwa Aufhebung der Maskenpflicht oder Großveranstaltungen, sieht keiner der Experten für diese Pandemie. So sagte etwa der Virologe Marin Stürmer gegenüber FOCUS Online: „Im Augenblick ist es vor allem wichtig, nicht zu viel zu lockern. …Wir sollten uns genau anschauen, was gerade in Großbritannien passiert – und deren Fehler nicht wiederholen.“
Ähnlich äußerten sich die Epidemiologen Timo Ulrich und der Virologe Friedemann Weber: Masken in Innenräumen und Nahverkehr, konsequente Kontaktnachverfolgung, viele Tests und Quarantäne für Reiserückkehrer aus Variantengebieten – und weiter impfen, was das Zeug hält.
Infektionsausbrüche werden sich bei einer hochansteckenden Coronavirus-Variante trotzdem nicht verhindern lassen, wie die Entwicklung in Israel zeigt. In dem Land, wo von neu Millionen Einwohnern über 5 Millionen zweimal geimpft sind, wurden an zwei Tagen in Folge mehr als 100 neue Corona-Fälle binnen 24 Stunden registriert. Die meisten gehen auf die Delta-Variante zurück und betreffen vor allem jüngere Menschen. Jetzt herrscht vielerorts wieder Maskenpflicht, und die Quarantänebestimmungen wurden verschärft.