Virologe im Interview: Corona-Experte Drosten: „Masken werden wir so schnell nicht los“
18. September 2020
DW: Wie lange werden wir weltweit noch mit der Corona-Pandemie leben müssen?
Christian Drosten: Es ist sehr schwierig, globale Prognosen zu machen. Wir haben sehr viele verschiedene, schwierige Situationen in Europa. Der Winter wird nicht leicht. Im nächsten Jahr werden wir Impfstoffe haben. Ich denke, es wird bis Ende nächsten Jahres dauern, bis bestimmte Teile der Bevölkerung damit versorgt werden können.
Die Masken bekommen wir so schnell nicht los. Denn auch wenn wir mit den Impfungen beginnen, wird der größte Teil der Bevölkerung weiter Masken tragen müssen. In Ländern wie Deutschland, wo es nur wenige Infektionen gibt, wird es keine breite Immunität geben. Das werden wir wahrscheinlich auch in den anderen Ländern Europas nicht sehen.
Für andere Regionen ist es schwer zu sagen. In Afrika zum Beispiel scheinen die Krankheitsverläufe weniger schlimm zu sein. Das könnte an der jungen Altersstruktur liegen, allerdings schauen wir im Moment auch nur auf die urbanen Zentren, wo eben viele junge Menschen leben. Wir wissen nicht, wie sich das Virus verhält, wenn es sich auf dem Land ausbreitet. Wir wissen auch nicht, welchen Status die Epidemie dort gerade hat. Es gibt Daten, nach denen die Infektionen zurückgehen. Aber wir wissen nicht, ob wir das verallgemeinern können. In den Städten schwächt sich die Epidemie möglicherweise ab, aber es ist genauso gut möglich, dass sie erst noch richtig kommt.
Welche Regionen betrachten Sie mit besonderer Sorge?
Indien macht mir im Moment die größten Sorgen. Das Land hat eine große Bevölkerungsdichte. Das Virus breitet sich dort aus – ich würde nicht sagen unkontrolliert, aber es ist fast so. Dann natürlich auch Gebiete in Südamerika. Ich habe bereits über Afrika gesprochen, der afrikanische Kontinent ist im Moment ein kleines Rätsel. Und in der nördlichen Hemisphäre kommt der Winter und es gibt Regionen, darunter auch Europa, in denen es nur wenig Kontrolle über das Virus gibt. Einige Länder gehen schon mit vielen Corona-Fällen in die kalte Jahreszeit und das Vertrauen in die medizinischen Strukturen und die Gesundheitsversorgung ist gering. Es gibt Länder, auch in Europa, die, so meine ich, sehr bald strengere Maßnahmen ergreifen sollten.
Andere Länder sehen in Deutschland eine Art Vorbild im Umgang mit der Pandemie. Was machen die Deutschen richtig?
Da gibt es sicher eine Kombination mehrerer Ursachen. Ein Grund ist sicher das direkte entschiedene Vorgehen zu Beginn der ersten Welle, das die Kanzlerin damals vorgegeben hat. Inzwischen ist der Zusammenhalt der Bundesländer etwas verloren gegangen. Aber entscheidend war sicher, dass Deutschland sehr früh reagiert hat. Nicht in Bezug auf das Kalenderdatum, sondern in Bezug auf den relativen Zeitpunkt, zu dem Kontaktbeschränkungen – manchmal auch Lockdown genannt – verhängt wurden. Und zwar im Vergleich zur tatsächlichen Entwicklung der Epidemie. Wir wussten also von unserer Epidemie aufgrund von Labortests, und auch die Tests und die breite Verfügbarkeit der Tests unterscheiden Deutschland von anderen Staaten.
Eine andere Erklärung ist, dass die Epidemie bei uns etwas später anfing. Die ersten importierten Corona-Fälle entwickelten sich nicht schon im Januar zur Epidemie, sondern erst Ende Februar. Die ersten importierten Fälle konnten unter Kontrolle gehalten werden statt sich weiter zu verbreiten. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass unser Vorgehen sehr effizient war. Nach dem Lockdown, sagen wir ab Mitte Mai, gab es in Deutschland nur noch wenige Fälle und so ist es auch geblieben. Bis jetzt, auch wenn wir nun wieder einen leichten Anstieg an Infektionen haben.
Jetzt haben wir den Herbst und den Winter vor uns. Was meinen Sie wird in Deutschland passieren?
Ich denke, es gibt, was die Bevölkerungsstruktur und andere Parameter angeht, nur wenige Unterschiede zwischen den europäischen Ländern. Wir müssen darum auf die anderen schauen, auf Frankreich, Großbritannien, Spanien. Was wir dort sehen, werden wir auch in Deutschland erleben, wenn wir nicht sehr früh und so reagieren, dass es für die Wirtschaft erträglich und trotzdem zielgerichtet ist. Das ist eine schwierige Aufgabe, den richtigen Punkt zu finden, an dem wir die Maßnahmen, die wir gerade haben und an denen nichts zu kritisieren ist, verändern müssen.
Wie Sie schon sagten, werden wir wohl noch eine ziemlich lange Zeit weiter mit der Maske leben müssen. Wann dürfen wir uns denn wieder umarmen?
Das wird eine sehr regionale Frage sein. Es würde mich also nicht wundern, wenn in Teilen der Welt im nächsten Jahr die Bevölkerung geschützt ist. Aber das bedeutet, dass sie eine Epidemie durchgemacht haben werden, die aufgrund ihrer Altersstruktur nicht als eine so schwere Epidemie erscheinen mag. In Afrika könnte das zum Beispiel so sein. Zumindest wünsche ich mir, dass das jüngere Altersprofil die afrikanischen Bevölkerungen schützt. In anderen Teilen der Welt, in denen das Konzept darin besteht, eine weit verbreitete Virusübertragung zu vermeiden und auf den Einsatz eines Impfstoffs zu warten, können wir damit rechnen, dass wir bis Ende 2021 Masken tragen werden. Es ist unmöglich, genaue Vorhersagen zu machen, aber das nächste Jahr wird ein Jahr sein, in dem wir Masken tragen.
Das Interview führte Nina Haase.
Prof. Dr. Christian Drosten ist Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin. Er war 2003 einer der Mitentdecker des ersten SARS-Coronavirus, Anfang 2020 entwickelte er den weltweit ersten SARS-CoV-2-Diagnostiktest. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie wurde er als Experte in Deutschland einem breiten Publikum bekannt.
Autor: Nina Haase