4 neue Fälle von Corona-Reinfektionen zeigen, dass wir vor Immunitätsrätsel stehen
21. September 2020Mittlerweile gibt es vier Fälle von Patienten, die sich nach überstandener Covid-19-Erkrankung erneut mit Sars-CoV-2 infiziert haben. Zwar sind diese Reinfektionen bisher Einzelfälle, dennoch liefern sie besorgniserregende Hinweise über Immunität und die Chancen eines Impfstoffes.
Wie lange ist ein Mensch nach überstandener Corona-Infektion immun gegen Sars-CoV-2? Diese Frage ist eine der zentralen Fragen im Kampf gegen die Corona-Pandemie, auf die es noch keine eindeutige Antwort gibt. Zwar gehen Wissenschaftler davon aus, dass nach überstandener Infektion zumindest für einige Zeit eine Immunität besteht, aber die Hoffnung, dass diese über einen längeren Zeitraum anhält, scheint immer mehr zu schwinden.
Covid-Antikörper nicht lange nachweisbar
In einer im Fachblatt „Nature“ veröffentlichten Studie stellten chinesische Forscher etwa bereits im Juni fest, dass 40 Prozent der asymptomatischen Virusträger nach nur drei Monaten keinerlei nachweisbare Antikörper mehr im Blut aufwiesen. Aus Beobachtungen wie diesen schlussfolgerten manche, die mögliche Immunität gegen Sars-CoV-2 könnte ähnlich kurz andauern.
Eine neue Studie aus den USA zeigt, dass bei Ärzten und Pflegern, die einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind, bereits nach 60 Tagen die Antikörpertiter zurückgehen. Von insgesamt 249 getesteten medizinischen Mitarbeitern des Vanderbilt University Medical Center in Nashville, Tennessee, hatten anfänglich nur 19 Antikörper, nach 60 Tagen waren es nur noch 11 Personen.
Andere Forschungsergebnisse deuten aber darauf hin, dass trotz schnell sinkendem Antikörperspiegel immer noch Immunität besteht, weil der Körper sich nach einer durchgemachten Infektion noch länger an das Virus erinnern und entsprechend reagieren könnte. So kommen Autoren einer Studie der University of Arizona zu dem Schluss, dass eine Immunität mindestens mehrere Monate nach einer Sars-CoV-2-Infektion anhält.
Junger Mann aus USA erkrankt beim zweiten Mal noch schwerer
Dass dies nicht der Fall ist, darauf deuten vier gemeldete Fälle von Menschen hin, die sich ein zweites Mal mit Sars-CoV-2 infiziert haben.
Bei einem Fall, der in der Fachzeitschrift „Lancet“ veröffentlicht wurde, handelt es sich um einen 25-jährigen Amerikaner, der erstmals am 18. April positiv auf Corona getestet wurde. Bei ihm traten Symptome wie Kopfweh, Husten, Halsweh, Übelkeit und Durchfall auf, die zehn Tage anhielten. Nach der Erkrankung bestätigten zwei Tests ein negatives Ergebnis.
Am 31. Mai, nur 48 Tage später, traten bei dem jungen Mann erneut Covid-19-Symptome wie Fieber, Kopfweh, Husten, Übelkeit und Durchfall auf – diesmal so heftig, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste und sogar Sauerstoff benötigte. Ein Test ergab, dass er sich erneut infiziert hatte. Das Besorgniserregende: Der zweite Verlauf war deutlich schlimmer als der erste.
Mann aus Hongkong beim zweiten Mal asymptomatisch
Auch aus Hongkong wurde jüngst eine Reinfektion bekannt: Ein 33-Jähriger, der bereits im März mit Covid-19 mit Symptomen wie Husten, Auswurf, Halsschmerzen, Fieber, Kopfschmerzen im Krankenhaus lag, wurde am 15. August bei der Rückkehr aus Spanien nach Hongkong erneut positiv auf Sars-CoV-2 getestet – nur 142 Tage nach der ersten Infektion.
Das Gute daran: Der Patient wurde zwar erneut hospitalisiert, blieb aber symptomlos – nur die Entzündungswerte im Blut waren leicht erhöht. Das Negative daran: Genetische Analysen der Viren der ersten und der zweiten Infektion ergaben eindeutig, dass es sich bei der Zweitinfektion tatsächlich um eine neue Infektion mit einer anderen Variante von Sars-CoV-2 handelte und nicht etwa nur um eine nicht überwundene Erstinfektion.
Auch zwei Fälle in Europa gemeldet
Mittlerweile traten auch Fälle von Zweitinfektionen in Europa auf. So zum Beispiel in Belgien, wo eine 51-Jährige im März mit den typischen Symptomen Fieber, Husten, Brustschmerzen, Atemnot, Muskelschmerzen sowie Geschmacks- und Geruchsverlust an Covid-19 erkrankte. Im Juni, also 93 Tage danach, wurde sie erneut positiv auf Sars-CoV-2 getestet – diesmal waren die Symptome etwas milder und hielten nur eine Woche an.
Auch in den Niederlanden soll eine Reinfektion bei einem älteren Mann mit geschwächtem Immunsystem aufgetreten sein – allerdings wurde über die Einzelheiten zu diesem Fall bisher nichts bekannt.
Nur eine Analyse von Virengenomen kann eine zweite Neuinfektion bestätigen
Da bisher nur diese Einzelfälle bekannt sind, ist es relativ schwierig, daraus verlässliche Schlüsse zu ziehen. Dennoch könnte die Dunkelziffer derer, die mehrfach innerhalb kurzer Zeit an Sars-CoV-2 erkranken deutlich höher sein.
So vermuten auch Forscher, dass sich die Anzahl von Reinfektionen künftig erhöhen wird – und durch weltweit erhöhtes Testaufkommen somit auch die Anzahl der dokumentierten Fälle. Aber: Ob es sich tatsächlich um Zweitinfektionen handelt und nicht um eine nicht ausgeheilte Erstinfektion, lässt sich nur durch Sequenzierung viraler Genome eindeutig prüfen.
Auch die Frage, ob eine Zweitinfektion tendenziell milder als die erste verläuft, lässt sich anhand der wenigen bekannten Fällen kaum ablesen. So hält beispielsweise der britische Virologe Jonathan Stoye den Fall aus Hongkong, der bei der Zweitinfektion asymptomatisch blieb, nicht für repräsentativ. „Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt etwas aussagt“, zitiert ihn das Wissenschaftsmagazin „Spektrum“.
Der Schweregrad von Covid-19 verlaufe so unterschiedlich bei Betroffenen und hänge von verschiedenen Variablen ab wie die Anfangslast des Virus, der Sars-CoV-2-Variante sowie dem allgemeinen Gesundheitszustand, dass dies auch eine Reinfektion beeinflussen könnte.
Immunreaktionen auf Zweitinfektion unterschiedlich
Auch bezüglich der Wirksamkeit eines Impfstoffes werfen die bekannten Fälle von Zweitinfektionen Fragen auf. Eine Reaktion des Immunsystem auf eine erneute Infektion mit einem asymptomatischen oder milden Verlauf wie im Fall des Mannes aus Hongkong wäre eine normale Antwort des Immunsystems.
Doch eine Verschlimmerung der Symptomatik beim zweiten Mal wie es etwa bei dem Mann aus den USA war, könnte darauf hindeuten, dass das Immunsystem überreagiert – so wie es bei schweren Verläufen der Fall ist.
Außerdem besteht auch die Möglichkeit, dass Sars-CoV-2 auch zu einer sogenannten „antikörperverstärkenden Wirkung“ führen könnte. Dies bedeutet, dass die durch eine Infektion gebildeten Antikörper das Virus bei einer zweiten Infektion nicht bekämpfen, sondern verstärken. Hinweise dafür gab es laut „Spektrum“ beispielsweise bei der Impfstoffentwicklung für andere Coronaviren wie Sars und Mers.
Reinfektion könnte darauf hinweisen, dass das Virus sich trotz Impfstoff ausbreitet
Auch wenn Zweitinfektionen offensichtlich stattfinden, heißt das aber nicht, dass eine Impfung gegen Corona keinen Sinn macht. „Reinfektionen bedeuten nicht, dass es keinen Impfstoff oder keine natürliche Immunität gegen dieses Virus geben kann“, zitiert „Spektrum“ weiter den Spezialisten für Infektionskrankheiten, Richard Malley, am Bostoner Kinderkrankenhaus.
Allerdings könnten Auffrischimpfungen nötig sein, um einen Schutz aufrechtzuerhalten. Dennoch sei es besorgniserregend, wenn Impfstoffe Infektionen nicht verhindern, sondern nur abschwächen können – denn das bedeute im Umkehrschluss, dass Geimpfte zu asymptomatischen Trägern werden, die das Virus weiter verbreiten könnten.
Diese Vermutung unterstreichen auch die Schlussfolgerungen der Wissenschaftler um Kelvin Kai-Wang To, die den Fall des Mannes aus Hongkong untersuchten und dokumentierten. Sie folgerten aus ihrer Studie, dass das Virus trotz Herdenimmunität aufgrund natürlicher Infektion und eines Impfstoffes weiter zirkulieren könnte. Um diese Annahme allerdings zu beweisen, müssten noch viel mehr Fälle von Zweitinfektionen untersucht werden.