Deutscher Impfjäger macht Hoffnung: „Im Winter haben wir einen Impfstoff“

3. November 2020 Aus Von mvp-web
Mit Hochdruck arbeitet die Forschung an einem Impfstoff gegen Sars-CoV-2. Der Infektiologe Peter Kremsner von der Tübinger Universitätsklinik testet einen davon.

Im Gespräch mit FOCUS Online erklärt der Studienleiter, wie weit die Entwicklung vorangeschritten ist und ab wann wir hoffen dürfen.

Wegen der dramatisch steigenden Infektionszahlen in Deutschland haben Bund und Länder das beschlossen, wovor sich alle gefürchtet haben: einen erneuten Lockdown. Ein harter Schlag für Gastro-, Hotel-, Freizeit-, Sport- und Kulturbetriebe, die wieder einige Wochen schließen und um ihre Existenz fürchten müssen.

Umso größer sind jetzt die Hoffnungen, dass bald ein Impfstoff auf den Markt kommt, mit dem wir die Pandemie endlich besser eindämmen können. „Die Chancen, dass wir noch im Winter einen Sars-CoV-2-Impfstoff bekommen, stehen gut“, sagt Peter Kremsner, Direktor des Tropeninstituts Tübingen, im Gespräch mit FOCUS Online.

Phase I- und Phase-II-Studien in Europa sowie Mittel- und Südamerika

Der Infektiologe gibt sich nicht grundlos optimistisch. Als Studienleiter und Hauptprüfer testet er mit seinem Institut, das zur Universitätsklinik Tübingen gehört, den von der Firma Curevac – ebenfalls in Tübingen ansässig – entwickelten Impfstoff CVnCoV.

Bevor ein Impfstoff überhaupt auf den Markt kommt, durchläuft er mehrere Phasen: In der präklinischen Phase wird er an Tieren und im Reagenzglas getestet, danach in drei Phasen am Menschen: In Phase eins an etwa Hundert, in Phase zwei an mehreren Hundert und in Phase drei an mehreren Tausend Probanden. Erst, wenn diese Prüfungen erfolgreich abgeschlossen sind, kann eine Zulassung erfolgen.

Normalerweise dauert ein solcher Prozess ein bis zwei Jahrzehnte, doch wegen der Pandemie läuft er nun in wenigen Monaten ab. „Wir testen seit 18. Juni in einer Phase-eins-Studie unterschiedliche Dosierungen des Curevac-Impfstoffes an Testzentren in Tübingen, München, Hannover und Gent“, führt Kremsner aus. Dabei erhielten mehr als 250 Probanden zwischen 18 und 60 Jahren zwischen zwei und bis zwölf Mikrogramm des Impfstoffes. Eine Phase-zwei-Studie mit 690 Teilnehmern läuft bereits in Panama und Peru.

Keine schwerwiegenden Nebenwirkungen in Phase eins

Die bisherigen Tests verliefen laut Kremsner gut: „Insgesamt kann ich sagen, dass alles im grünen Bereich ist – die Verträglichkeit ist gut und die Immunantwort auch“, lautet die Zwischenbilanz des Wissenschaftlers. Es seien keine schwerwiegenden Nebenwirkungen beobachtet worden.

Bei zwölf Mikrogramm traten etwa Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Muskelschmerzen und in geringerem Maße Fieber auf. „Alle berichteten Ereignisse waren vorübergehend und klangen schnell ab, in der Regel innerhalb von 24 bis 48 Stunden“, erklärte Kremsner.

Allerdings zeige sich auch eines deutlich: „Die Abwehrreaktion im Körper hängt entscheidend von der Dosis ab.“

Um die Immunogenität des Stoffes zu messen, betrachten Kremsner und sein Wissenschaftsteam verschiedene Faktoren wie beispielsweise die Antikörper der humoralen Immunabwehr, neutralisierende Antikörper, die Reaktion auf das S-Antigen des Virus sowie die zelluläre Immunabwehr der T-Zellen und deren Produktion von Zytokinen.

„Basierend auf diesen Daten entscheiden wir dann, mit welcher Dosis wir in die Phase-drei-Prüfung gehen“, erklärt Kremsner. Diese zulassungsrelevante Phase soll noch vor Jahresende starten und mit einer Dosis von zwölf Mikrogramm an 30.000 Teilnehmern weltweit getestet werden.

Über die Dauer der Wirksamkeit lässt sich noch nichts sagen

Der Impfstoff von Curevac imitiert die natürliche Immunantwort auf die Infektion, die bei genesenen Covid-19-Patienten beobachtet wird. Der Impfstoff basiert auf dem Botenmolekül mRNA und regt im Körper die Bildung eines Virus-Eiweißes an. Dies löst eine Immunreaktion aus, die den Menschen vor dem Virus schützen soll.

Wie lange der Impfschutz des getesteten Curevac-Vakzins anhält, vermag Kremsner aber noch nicht zu sagen: „Es kann gar nicht, drei Monate, 20 Jahre oder lebenslang schützen – das wissen wir schlicht bei noch keinem Impfstoff bisher.“ Ein Langzeitschutz ließe sich zudem nur mit langwierigen mehrjährigen Studien nachweisen.

Dennoch sieht der Forscher eine Chance, dass der Impfstoff nicht nur saisonal schützt wie beispielsweise ein Grippeimpfstoff, der jedes Jahr neu gemischt werden muss. „Corona-Viren mutieren weniger stark als Grippeviren, deshalb könnte es schon sein, dass ein Impfstoff nicht nur saisonal wirksam ist“, sagt Kremsner. Allerdings deute vieles darauf hin, dass mehrere Impfdosen nötig sind, um eine Immunität aufzubauen.

Wirksamkeit muss für eine Zulassung mindestens 50 Prozent betragen

Auch wenn die laufenden Testphasen bisher vielversprechend klingen, kann bis zur Zulassung noch einiges passieren. „Es könnten Nebenwirkungen auftreten oder es zeigt sich, dass die Wirksamkeit des Impfstoffes nicht hoch genug ist“, erklärt Kremsner. Laut Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte ein Impfstoff mindestens eine Wirksamkeit von 50 Prozent betragen, bevor er zugelassen wird, erklärt er. „Das ist eine Menge.“

Es gibt zwar bei manchen Impfungen, beispielsweise bei den Masern, einen hohen Schutz, aber eine hundertprozentige Sicherheit bietet keine Impfung. Auch die Wirksamkeit der Grippeimpfung liegt lediglich zwischen 60 und 70 Prozent.

So kann es durchaus sein, dass ein erster Impfstoff gegen Corona eine Ansteckung vielleicht nicht in allen Fällen verhindert, aber er könnte dazu beitragen, schwere Verläufe abzuwenden und die Infektiosität zu verringern.

In Russland und China sind schon Sars-CoV-2-Impfstoffe zugelassen

Die Corona-Impfstoffe, die bereits in China und in Russland zugelassen sind, sieht Kremsner eher kritisch. „Ich würde mir keinen Impfstoff spritzen lassen, der nur in China, Russland oder den USA zugelassen wurde“, erklärt der Forscher. Er vertraue da auf eine Vakzine, die die behördliche Zulassung in der EU durchläuft.

Dennoch sieht Kremsner auch die europäische Vorgehensweise in Bezug auf das Medikament Remdesivir kritisch, das im Juli im Kampf gegen Corona von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) bedingt zugelassen wurde. „Dieses antivirale Medikament, das ursprünglich gegen Ebola entwickelt wurde, bekam viel zu früh eine Zulassung. Es zeigte bisher nur in einer einzigen Studie eine Verkürzung der Covid-19-Krankheitsdauer, in allen anderen Studien erwies es sich als wirkungslos – noch dazu auch in der größten von der WHO durchgeführten Studie“, erklärt er. Hinzu kommt noch, dass wir noch relativ wenig über das Nebenwirkungsprofil des Mittels wissen.

Zwei Impfstoffe in Deutschland bereits im Zulassungsverfahren

Von knapp 300 Corona-Impfstoffen, an denen weltweit derzeit geforscht wird, befinden sich ungefähr ein Dutzend in der dritten und letzten Phase der klinischen Prüfung.

In Europa wurde bereits der Zulassungsprozess für zwei Corona-Vakzine bei der EMA gestartet: zum einen für den Impfstoffkandidaten des britisch-schwedischen Pharmakonzerns Astra-Zeneca und zum anderen für den Kandidaten des Mainzer Unternehmens Biontech. Beide befinden sich in einem sogenannten rollierenden Verfahren, das parallel zu den letzten Testphasen verläuft und auf die Prüfung der präklinischen und klinischen Daten beruht.

Curevac, dass im Jahr 2000 aus der Universität Tübingen entstanden ist und 500 Mitarbeiter beschäftigt, hatte nach der Mainzer Firma Biontec als zweites deutsches Unternehmen die Genehmigung für eine klinische Studie bekommen.

Auch wenn uns voraussichtlich die baldige Zulassung eines Impfstoffes bevorsteht und Experten und die Pharmaindustrie davon ausgehen, dass der Impfprozess ab Mitte nächsten Jahres beginnen könnte, bedeutet dies nicht, dass die Pandemie damit beendet ist. Allerdings ist sich Kremsner sicher: „Sars CoV-2 wird uns noch Jahre bis Jahrzehnte beschäftigen, aber es wird seinen Schrecken verlieren und wir werden lernen, damit zu leben.“

Mit Material von dpa