Erste Untersuchung an deutscher Klinik deutet an, wie tödlich der April-Lockdown war

11. November 2020 Aus Von mvp-web
Eine Infektion mit Sars-Cov-2 kann für Risikopatienten tödlich enden. Aber nicht nur das Virus selbst, auch ein Lockdown kann zum Killer werden – etwa dann, wenn Menschen, die dringend Hilfe bräuchten, Notaufnahmen oder Arztpraxen aus Angst vor einer Ansteckung meiden.

In Deutschland sind bislang 11.767 Menschen an oder in Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Das ist der Stand zum 11. November 2020 laut den offiziellen Zahlen des Robert Koch-Instituts. Diese 11.767 Menschen haben sich mit dem Virus infiziert und sind anschließend verstorben.

Doch das Coronavirus tötet nicht nur durch eine Ansteckung. Es kann auch indirekte Todesursache sein: Wenn Menschen aus Angst vor einer Ansteckung nicht zum Arzt gehen, obwohl sie schwer krank sind. Wenn Operationen verschoben werden, weil Krankenhäuser mit Covid-19-Patienten alle Hände voll zu tun haben. Wenn der Lockdown einsam und depressiv macht – und schließlich lebensmüde. Oder wenn die Zwangsschließung des eigenen Unternehmens den finanziellen Ruin bedeutet – und in der Folge kein Geld bleibt für teure Medikamente, etwa im Rahmen einer Krebstherapie.

Mehr Menschen im April gestorben als in Vorjahren – nicht nur an Covid-19

Ausmalen lassen sich viele Szenarien, in denen die Pandemie einen Menschen indirekt krank macht. Aus offiziellen Statistiken lassen sich solche Todesfälle nicht herauslesen. Schließlich stehen sie nicht eindeutig mit dem Virus oder dem Lockdown in Verbindung. Doch es gibt eine erste deutsche Studie, die konkrete Zahlen liefert. Ärzte des Klinikums Hochrhein in Waldshut-Tiengen haben die Todesrate in ihrem Landkreis von 24. Februar bis 31. Mai 2020 untersucht – kurz vor, während und nach dem Lockdown.

Demnach starben im Baden-Württembergischen Waldshut im April 227 Menschen. Das sind 37 Prozent mehr als im selben Monat in den Jahren zuvor. 165 Tote gab es im Schnitt im April der Jahre 2016, 2017, 2018 und 2019. Somit waren es nun 62 Tote mehr. Davon hatten sich aber nur 34 nachweislich mit Sars-Cov-2 infiziert. 28 Personen starben also nicht in direktem Zusammenhang mit dem Virus.

Eine signifikant hohe Zahl, die sich nicht allein durch Zufall erklären lässt, betont Stefan Kortüm gegenüber FOCUS Online. Der Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Klinikum Hochrhein war Leiter der Studie.

Menschen meiden die Notaufnahme – mit teils schwerwiegenden Folgen

Den Ursprung für die gestiegenen Todesfälle im April sieht Kortüm vor allem in der Notfallmedizin. Bereits kurz vor Beginn des Lockdowns hätten weniger Menschen die Notaufnahme aufgesucht. „Ab dem 25. Februar waren die Zahlen leicht rückläufig“, berichtet Kortüm im Gespräch mit FOCUS Online. „Das fällt zusammen mit den ersten Statements der Politik, man müsse die Krankenhäuser schonen, solle nicht mit jedem Schnupfen in die Notaufnahme gehen mit Rücksicht auf einen zu erwartenden Ansturm an Corona-Patienten.“

Die Studie legt jedoch nahe, dass nicht nur Menschen mit einer Erkältung von einem Besuch in der Notaufnahme abgesehen haben, sondern auch tatsächliche Notfälle, die damit auf eine lebenswichtige Behandlung verzichtet haben. Einen extremen Einbruch der Patientenzahl habe man dann ab Kalenderwoche 12 verzeichnet – mit Beginn des Lockdowns.

US-Studie kommt zu ähnlichem Ergebnis

Vergleichbare Studien für ganz Deutschland sind bislang nicht erschienen. Rückläufige Zahlen in den Notaufnahmen gab es im April aber tatsächlich deutschland- und sogar weltweit, bestätigt Kortüm. Das lässt vermuten, dass auch andernorts Menschen aufgrund des Lockdowns auf wichtige Behandlung verzichtet haben – und möglicherweise aufgrund dessen verstorben sind.