Spektakuläre Untersuchung Studie: Gas-Embargo gegen Russland würde deutsche Wirtschaft sogar stärken
23. Februar 2022Russlands Präsident Wladimir Putin zündelt in der Ukraine, die USA und Europa antworten mit wirtschaftlichen Sanktionen. Ökonomen haben nun durchgerechnet, was passieren würde, wenn der Westen seine Strafmaßnahmen noch verschärfen würde, bis hin zu einem Stopp des Imports von russischem Gas. Das Ergebnis ist überraschend.
Ein Energieembargo der EU gegen Russland würde die russische Wirtschaft nach Einschätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hart treffen – die Wirtschaft in Deutschland und der EU aber kaum. Angesichts des von Russland angezettelten Konflikts in der Ukraine und Sanktionen der Europäer und Amerikaner gegen Russland habe der Ökonom Hendrik Mahlkow am IfW simuliert, mit welchen Handelssanktionen der Westen die russische Wirtschaft am härtesten treffen würde, berichtete das IfW am Mittwoch.
„Demnach hätte ein Handelsstopp mit Gas einen Einbruch der russischen Wirtschaftsleistung um knapp 3 Prozent zur Folge, ein Handelsstopp mit Öl einen Einbruch um gut 1 Prozent“, lautet der Befund. „Für Deutschland und die EU wären die wirtschaftlichen
Schäden in beiden Fällen äußerst gering.“ Dabei spielt laut IfW keine Rolle, ob ein Einfuhrembargo seitens der EU verhängt würde, oder ob Russland ein Lieferembargo beschlösse.
Paradoxes Plus
Im Falle eines Handelsstopps für Gas
würde laut IfW das deutsche Bruttoinlandsprodukt sogar leicht um 0,1 Prozent zunehmen. „Grund für das Plus ist, dass die westlichen Verbündeten die fehlenden Importe Russlands durch Produkte der Bündnispartner ersetzen würden und hier Deutschland besonders wettbewerbsfähig ist“, so das Kieler Institut. „Im Falle eines Gasembargos hätte Deutschland beispielsweise bei der energieintensiven Produktion bzw. Verarbeitung von Metallen einen Kostenvorteil, weil sein Energiemix nur zu verhältnismäßig geringen Teilen aus russischem Gas besteht.“
Ein Handelsembargo mit Öl hätte laut IfW-Berechnungen für Russland einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,2 Prozent zur Folge, in Deutschland und der EU aber nur um jeweils 0,1 Prozent. Geringer schätzt das Institut die makroökonomischen Effekte eines Embargos für Maschinen und Maschinenteile sowie Fahrzeuge und Fahrzeugteile ein. Diese ließen Russlands Wirtschaft um 0,5 Prozent beziehungsweise 0,3 Prozent schrumpfen. Auch hier beurteilt das IfW die Effekte auf die Wirtschaftsleistung Deutschlands und der EU als minimal.
„Damoklesschwert über der deutschen Konjunktur“
Nach Einschätzung anderer Volkswirte kann der Konflikt aber dennoch zur Bremse für den Aufschwung der deutschen Wirtschaft werden. „Die Ukraine-Krise hängt wie ein Damoklesschwert über der deutschen Konjunktur“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt. „Dabei sind nicht die deutschen Exporte nach Russland das Problem, die nur zwei Prozent aller deutschen Ausfuhren ausmachen. Stattdessen geht von einer Eskalation der Ukraine-Krise eine große Unsicherheit aus, die Gift für die Wirtschaft ist.“
Da Russland ein großer Gaslieferant für Deutschland und Europa ist, sieht Krämer zumindest mittelfristig „ein gewisses Risiko, dass es zu einer Energiekrise kommt, die den Aufschwung zumindest unterbrechen würde“.
Dellen für den Frühjahrsaufschwung
Auch ING-Deutschland-Chefvolkswirt Carsten Brzeski verweist auf eine „sehr hohe Abhängigkeit“ der deutschen Wirtschaft vom russischen Gas und anderen Rohstoffen: „Die möglichen Folgen einer weiteren Eskalation sieht man jetzt schon: ein Anstieg der Gaspreise, höhere Inflation und zunehmende Unsicherheit, die sich wiederum in weniger Konsum und schwächeren Investitionen in Deutschland äußern könnten.“
Bislang gehen Ökonomen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft nach einem schwachen Winter infolge der Omikron-Welle im Frühjahr wieder zulegen wird. „Die aktuellen Spannungen und eine mögliche Eskalation sind vielleicht nicht der ganz große Gamechanger, sie verstärken aber die aktuellen Risikofaktoren für die deutsche Wirtschaft: Inflation und Unsicherheit“, sagt Brzeski. „Der erwartete Frühjahrsaufschwung würde große Dellen bekommen.“
Alle Zeichen auf „Sommerhoch“
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin rechnet trotz der neuen Belastungen durch den Russland-Ukraine-Konflikt mit einem „Sommerhoch“ für die deutsche Wirtschaft. Die Corona-Pandemie habe die deutsche Wirtschaft zwar nach wie vor im Griff, dennoch werde sich „die wirtschaftliche Lage Richtung Frühsommer wohl deutlich verbessern“, prognostizierte das DIW am Mittwoch. „In Mittel- und Osteuropa verzeichnet die Industrie gut gefüllte Auftragsbücher. Mit dem allmählichen Auflösen der Lieferproblematik dürfte die Produktion ab Frühsommer daher deutlich an Fahrt gewinnen.“
Für das Gesamtjahr 2022 sagt das DIW für Deutschland ein Wirtschaftswachstum von 3,0 Prozent voraus. Das wäre etwas mehr als im vergangenen Jahr, als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Europas größter Volkswirtschaft um 2,8 Prozent zugelegt hatte.
Sanktionen und Gegensanktionen
Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater hält eine weitere Verteuerung von Energierohstoffen aus konjunktureller Sicht für verkraftbar. „Schwieriger könnte es werden, wenn sich Sanktionen und Gegensanktionen aufschaukeln“, meint Kater. „Physische Lieferkürzungen können in Europa und anderswo die Produktionsbänder schnell anhalten lassen und sind daher für die Konjunktur problematischer als steigende Preise.“
Im Schlussquartal 2021 war die Wirtschaftsleistung in Deutschland nach vorläufigen Daten um 0,7 Prozent zum Vorquartal gesunken. Detaillierte Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt für das vierte Quartal will das Statistische Bundesamt an diesem Freitag veröffentlichen.