Hoher Preis für guten Ton in der Staatskanzlei
8. März 2022Die Staatskanzlei möchte für einen sechsstelligen Betrag aus dem schuldenfinanzierten MV-Schutzfonds neue Videokonferenztechnik kaufen. Kritik zu Preis, Pandemiebezug und Zeitpunkt der Ausgaben kommen aus Teilen der Opposition, vom Landesrechnungshof und vom Bund der Steuerzahler im Land. Gegenüber dem NDR begründet die Staatskanzlei die Ausgaben jetzt mit gänzlich anderen Argumenten als im Finanzausschuss.
Das Pandemiejahr Nummer drei ist angebrochen. Aktuell laufen die Abstimmungen für die Aufhebung aller „tiefgreifenden“ Corona-Regeln zum 20. März. Videokonferenzen bleiben aber offenbar Teil des politischen Alltags. Die Staatskanzlei will sich nun dafür großflächig ausstatten. Bei der Finanzausschusssitzung im Landtag am vergangenen Donnerstag holte sie sich dafür die Erlaubnis der Parlamentarier. Es geht um Kameras und Mikrofonanlagen im Wert von 356.000 Euro. Bezahlt werden sollen sie aus dem schuldenfinanzierten MV-Schutzfonds. Damit werde die „Handlungsfähigkeit der Landesregierung“ in der Corona-Pandemie gesichert, so die Begründung der Staatskanzlei in der nichtöffentlichen Vorlage für den Ausschuss. Technik im Wert eines Einfamilienhauses – das sorgt nicht nur in Teilen der Opposition, sondern auch beim Landesrechnungshof und beim Bund der Steuerzahler für Kritik. Nach einer NDR-Anfrage entsteht bei Beobachtern zusätzlich der Eindruck, die Staatskanzlei wolle ihre Umstellung genereller Arbeitsabläufe aus dem Schutzfonds finanzieren.
Präsidentin des Landesrechnungshofs: „Diese Höhe wirft Fragen auf“
Der Vorlage für den Finanzausschuss liegt eine Aufschlüsselung der geplanten Kosten bei. Demnach entfielen 212.000 Euro auf die Videokonferenzanlage. Gemeint sei Kamera- und Displaytechnik, so ein Sprecher. Weitere 116.000 Euro werden für die Mikrofonanlagen veranschlagt und zusätzliche 28.000 Euro wurden laut Kalkulation der Staatskanzlei für Personal- und Beratungsleistungen eingeplant. Konkrete Angebote von Dienstleistern oder eine Wirtschaftlichkeitsprüfungen fehlen in den Unterlagen für die Abgeordneten. „Für uns ist absolut unklar, wie der Betrag von 356.000 Euro zustande kommt. Hier fehlt es an Transparenz“, meint die Präsidentin des Landesrechnungshofs, Martina Johannsen. Sie kritisiert seit der Schaffung des MV-Schutzfonds immer wieder, dass die Landesregierung mit diesem Sondervermögen Projekte finanziere, denen häufig der Pandemiebezug schlicht weg fehle. In diesem Fall könne man diesen Bezug zwar herstellen, so Johannsen in einem ersten Gespräch, doch es entstünden Fragen zum Zeitpunkt: „Nach zwei Jahren der Pandemie werden jetzt die Schutzmaßnahmen zurückgefahren. Also warum möchte man jetzt erst diese Technik kaufen?“ Sie ist der Meinung, vor zwei Jahren zum Beginn der Krise hätte die Staatskanzlei dazu eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vornehmen müssen, um zu erörtern, inwiefern der Technikkauf schon damals sinnvoll gewesen wäre.
Staatskanzlei mietet bisher Technik für 710 Euro pro Woche
Zwangsläufig ergibt sich bei dem aktuellen Vorhaben der Staatskanzlei die Frage, wie beispielsweise die digitalen Bund-Länder-Schalten in den vergangenen 24 Monaten überhaupt umgesetzt werden konnten. Der Vorlage für den Ausschuss ist zu entnehmen, dass dafür derzeit Technik für 710 Euro pro Woche, also 2.840 Euro im Monat angemietet wird. Auf Nachfrage erklärt ein Sprecher der Staatskanzlei, dass seit März 2020 „in unterschiedlichem Ausmaß und zu unterschiedlichen Preisen Technik für MV-Gipfel, Kabinettssitzungen und viele weitere Sitzungen“ geliehen wird. Auch das wird bislang aus dem MV-Schutzfonds bezahlt.
Bund der Steuerzahler im Land wünscht sich Debatte im Landtag
Ausgaben von denen der Bund der Steuerzahler im Land nur durch NDR-Recherchen erfährt. „Es geht beim Schutzfonds insgesamt um ein Sondervermögen von 2,85 Milliarden Euro. Anträge wie dieser gehören in das Parlament. Dieser öffentlichen Debatte muss sich auch die Staatskanzlei stellen“, meint eine Sprecherin des Bundes der Steuerzahler. Außerdem stellt sie ein grundsätzliches Problem in den Fokus: „Die technische Ausstattung der Staatskanzlei hat generell keinen Pandemiebezug. Das muss im laufenden Haushalt der Staatskanzlei abgebildet werden und nicht im MV-Schutzfonds.“
Landtag zahlte für Videokonferenztechnik nur 8.600 Euro
Genauso hatten das bereits einige Ministerien und auch der Landtag gelöst. Letzterer hatte sich schon zu Pandemiebeginn technisch ausgestattet, um Ausschusssitzung hybrid zu ermöglichen. Die bereits vorhandene Mikrofonanlage wurde mit einer mobilen 360 Grad Kamera ergänzt. Die Kosten von 8.600 Euro entsprechen nicht einmal drei Prozent der derzeitigen Planungen in der Staatskanzlei. Die erklärt auf Nachfrage wie es zu der – vergleichsweise – hohen Summe kam: „Es handelt sich hierbei um Preisinformationen des DVZ, dem IT-Dienstleister der Landesregierung, um den Finanzrahmen festzulegen.“ Die Wirtschaftlichkeit werde erst noch eingehend geprüft, bislang sei kein Beschaffungsantrag ausgelöst worden, heißt es.
Geteilte Meinung in der Opposition
Bei den Mitgliedern im Finanzausschuss des Landtags gehen die Meinungen zu diesem Vorhaben auseinander. „Wenn man merkt, man braucht Konferenzsysteme, dann muss das auch aus dem eigenen Haushalt bezahlen“, findet FDP-Fraktionsvorsitzender René Domke. Das hätte die Staatskanzlei aus dem Reisekostentopf bezahlen können, schließlich habe es durch die Pandemie weniger Dienstfahrten gegeben. Ähnlich sieht das auch der Christdemokrat Marc Reinhardt mit Blick auf diese „stolze Summe“. Der finanzpolitische Sprecher der AfD, Martin Schmidt, erklärt: „Die Technikanlage der Landesregierung ist nicht notwendig. Da Herr Dahlemann irgendwelche fünfstelligen Summen im Ausschuss nannte, die sonst das Anmieten kostet, hat die AfD-Fraktion sich enthalten.“ Zustimmung gab es am Donnerstag aus den Reihen der Opposition lediglich von Grünen-Fraktionschef Harald Terpe. Er sieht in der neuen Technik eine „gerechtfertigte Zukunftsinvestition“ und hofft künftig auf weniger Reisekosten.
Staatskanzlei plant Umstellung in Arbeitsabläufen
Auch die Staatskanzlei richtet den Blick offenbar in die Zukunft. Auf NDR-Nachfrage warum diese Ausstattung zum jetztigen Zeitpunkt überhaupt notwendig sei, finden sich plötzlich Gründe, die wenig mit den Argumenten aus der Ausschusssitzung zu tun haben. „Über die Zeit der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie hinaus“ wolle man den Mitarbeitenden Home-Office anbieten. Dafür brauche es die Technik. Langfristig plane die Staatskanzlei, die vorgehaltenen Arbeitsplätze um 30 Prozent zu verringern. Das klingt nach einer generellen Umstellung der Arbeitsabläufe in der Staatskanzlei. Im Ausschuss hieß es noch, mit der neuen Technik könnten unter anderem länderübergreifende Bund-Länder-Schalten und Sitzungen der Chefs der Staatskanzleien ermöglicht werden. Die Präsidentin des Landesrechnungshofes, Johannsen, zeigt sich von dieser neuen Begründung gegenüber dem NDR überrascht: „Das hat mit Corona wirklich nichts mehr zu tun. Im Grunde geht es jetzt doch darum, die Arbeitswelt umzustrukturieren. Dieser Prozess läuft doch ohnehin schon in der Staatskanzlei und hat keinen Pandemiebezug mehr.“ Für sie steht nach dieser Begründung, die die Staatskanzlei dem NDR lieferte, fest: Die neue Videokonferenztechnik darf nicht aus dem MV-Schutzfonds bezahlt werden. Mehrere Parlamentsmitglieder sprechen angesichts der abweichenden Argumente bereits von einer „Missachtung des Landtages“.