Biontech vs. Moderna – Wie der Corona-Impfstoff genau funktioniert und was die Zwischenergebnisse bedeuten

16. November 2020 Aus Von mvp-web
Schon bald könnte in Deutschland ein Corona-Impfstoff zugelassen werden. Eine neue Technologie erlaubt, in kurzer Zeit große Mengen davon zu produzieren. Wie das möglich ist und was die Zwischenergebnisse der Firmen Biontech und Moderna bedeuten.

Forschungsinstitute auf der ganzen Welt arbeiten seit Beginn des Jahres mit Hochdruck an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2. Wissenschaftler testen derzeit mindestens 224 Vakzine in Zellkulturen, Tierversuchen oder klinischen Studien am Menschen. Dem deutschen Unternehmen Biontech und dem US-amerikanischen Pharmakonzern Pfizer scheint dabei letzte Woche ein Durchbruch gelungen zu sein. Der von ihnen entwickelte Corona-Impfstoff weist laut neuesten Studienergebnissen eine Effizienz von 90 Prozent auf. Jetzt zieht der US-Konzern Moderna nach und berichtet von einer fast 95-prozentigen Wirksamkeit des eigenen Vakzins. Wie aussagekräftig sind die Erfolgsmeldungen und wo liegt der Unterschied zwischen den beiden Impfstoffkandidaten?

Was die Zwischenergebnisse von Biontech aussagen

Die Prüfung eines Impfstoffes durchläuft stets mehrere Phasen. Nach dem Test an Zellkulturen und Tieren (meist Mäusen) im Labor, verabreichen die Entwickler das neue Vakzin freiwilligen Probanden – unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen. Geprüft wird in drei Abschnitten. Experten sprechen von klinischen Studien der Phasen eins bis drei. Während das Vakzin in der ersten und zweiten Testung nur verhältnismäßig kleinen Gruppen verabreicht wird, erhalten in der dritten Phase mehrere zehntausend Personen den Impfstoff. Damit ist dieser Abschnitt am aufwändigsten, aber auch am aussagekräftigsten.

Am 27. Juli startete die Phase-3-Studie des Vakzins von Biontech und Pfizer mit 43.538 Teilnehmern. Die eine Hälfte erhielt den Impfstoff, die anderen 50 Prozent bekamen ein Placebo. Da die Kandidaten aus ethischen Gründen nicht absichtlich mit SARS-CoV-2 infiziert wurden, wie dies bei jeder Vakzin-Untersuchung der Fall ist, registrierten die Forscher bislang erst 94 COVID-19-Fälle. Der Impfstoff-Kandidat schützte nach dem Verabreichen von zwei Impfstoffdosen mit mehr als 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Die Forscher beobachteten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen.

Die Untersuchung wird solange fortgesetzt, bis insgesamt 164 Coronafälle unter den Teilnehmern aufgetreten sind. Diese Zahl ist für eine statistische Absicherung der Ergebnisse notwendig. „Die Zwischenanalyse weist darauf hin, dass der Impfstoff COVID-19 verhindern kann“, fasst Ugur Sahin, Gründer und CEO von Biontech, die Ergebnisse euphorisch zusammen.

Moderna zieht nach: Noch höhere Wirksamkeit?

Auch das amerikanische Biotechnologieunternehmen Moderna gab eine Zwischenbilanz zur Phase drei ihrer Impfstoffprüfung bekannt. Die harten Fakten sind ähnlich: 30.000 Teilnehmer, bislang 95 bestätigte COVID-19 Fälle, die eine Hälfte erhielt den Impfstoff, die andere ein Placebo. Die Effizienz des Vakzins liege nach zwei Impfdosen sogar bei 94,5 Prozent. Der Impfstoff sei gut verträglich gewesen, selten kam es bei den Studienteilnehmern zu leichten Gliederschmerzen oder Müdigkeit. Auch die Forscher von Moderna werden die Phase-III-Studie weiterführen, um genauere Ergebnisse zu erhalten, solange, bis 151 Teilnehmer mit COVID-19 infiziert wurden. Moderna war das erste Unternehmen, das bereits im März mit den Tests seines Impfstoff gegen SARS-CoV-2 an Menschen startete.

Neuer Mechanismus erlaubt Massenproduktion

Biontech oder Moderna setzen auf ein völlig neues Impfstoff-Konzept: sogenannte RNA-Vakzine. Sie schleusen genetische Baupläne des Virus in Körperzellen ein und simulieren so eine Infektion. Der große Vorteil gegenüber konventionellen Schutzimpfungen: Die Dosen lassen sich relativ einfach in Massen produzieren. Damit wäre es theoretisch denkbar, so viel des Arzneistoffes herzustellen, dass Ärzte die Weltbevölkerung durchimpfen könnten – ein großer Vorteil im Fall einer Pandemie. Wie rasch sich ein RNA-Impfstoff herstellen lässt, bewies die amerikanische Firma Moderna. Nachdem die chinesischen Behörden die genetische Sequenz des neuartigen Coronavirus am 11. Januar 2020 veröffentlichten, benötigten die Wissenschaftler gerade einmal zwei Tage, um einen RNA-Impfstoff zu finden. Am 7. Februar war bereits eine Charge für erste Labortests fertig.

So funktionieren RNA-Impfstoffe

Der Bauplan des Virus ist in einer Substanz namens Ribonukleinsäure (RNA) notiert. Bei RNA handelt es sich um ein Erbmolekül ähnlich der DNA, das natürlicherweise in Zellen vorkommt. Während die DNA sozusagen die original Bauanleitung des Lebens bildet und gut verpackt im Zellkern steckt, ist die RNA die Abschrift einzelner Gene. Sie wandert aus dem Zellkern zu den Proteinfabriken, wo nach ihrer Anleitung neue Zellbausteine gefertigt werden. Etwa so als würde Coca Cola seine Geheimrezepte in einem Safe hüten, aber immer wieder einzelne Seiten kopieren und diese an die Produktionsstätten verschicken.

Ribonukleinsäuren sind viel leichter herzustellen als Proteine, da ihre chemischen Eigenschaften sehr stabil sind. „Proteine sind wie Diven, die sich ständig unterschiedlich verhalten“, sagt Biontech-Gründer und Immunologe Sahin. Doch mit der Herstellung des passenden RNA-Moleküls hat man noch lange keinen funktionierenden Impfstoff. Die genetische Information benötigt ein Taxi, um in die Zellen zu gelangen. Genfähren mit Nanopartikeln sollen das Problem lösen. Sie messen nur wenige Millionstel Zentimeter, befördern die verpackten Erbgutstränge durch die Zellwand und verhindern, dass der Impfstoff im Körper zu schnell abgebaut wird.

„Die Nanopartikel sind wie ein Brief mit einer Adresse versehen. Sie fließen mit dem Blutstrom zu ihrem Ziel: den dendritischen Zellen“, erklärt Impfstoffproduzent Sahin. Diese Immunzellen lesen die RNA aus und bauen nach der Anleitung die Virusproteine. Genauer, das sogenannte Spike-Protein, welches auf der Oberfläche des Virus vorkommt. Der Mirkoorganismus benötigt es, um in die Wirtszellen zu gelangen, umgekehrt erkennt das Immunsystem anhand der Struktur den Eindringling. Außerdem löst die fremde RNA Alarm bei den Immunzellen aus. „Viele Viren infizieren gesunde Zellen, indem sie RNA einschleusen. Das ist für die Zelle also immer ein Grund zur Sorge“, so Sahin. Weitere Immunzellen kommen hinzu und wappnen sich gegen den potenziellen Erreger. Passiert nun eine wirkliche Infektion mit SARS-CoV-2, ist das Immunsystem gut vorbereitet.

„Zwischen den beiden Imfpstoff-Kandidaten von Biontech und Moderna gibt es nur sehr feine Unterschiede„, erklärt Rolf Hömke, Forschungssprecher des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (Vfa). Die Firmen verändern das Erbmaterial geringfügig mit dem Ziel, dass es schneller abgelesen und in die Viruserkennungsmerkmale umgewandelt wird oder besser vor dem frühzeitigen Abbau durch den Körper geschützt ist. „Auch die umgebende Lipidmembran, also die Tansport-Nanopartikel, sind minimal anders. Das kann Auswirkungen darauf haben, wie gut geschützt die RNA die Immunzellen erreicht“, erklärt Hömke.

Welcher Impfstoff ist besser?

Die Suche nach einem Impfstoff gleicht einem Wettrennen. Biontech vermeldet 90 Prozent Wirksamkeit, eine Woche später folgt Moderna mit sogar 94,5 Prozent. Ist der Impfstoffkandidat der Amerikaner damit vielversprechender? So einfach ist das nicht. „Das sind in beiden Fällen nur Zwischenauswertungen. Beide Werte sind noch nicht endgültig und können noch um einige Prozent schwanken„, sagt Hömke von der Vfa. Die beiden Zwischenbilanzen seien absolut vergleichbar.

Die Werte liegen außerdem im üblichen Bereich anderer zugelassener Impfstoffe, wie Masern oder Tetanus und sogar deutlich höher als bei Grippevakzinen. „100 Prozent Wirksamkeit erreichen Impfstoffe eigentlich nie, weil es immer Menschen mit geschwächtem Immunsystem gibt, die nicht so stark auf die Impfung ansprechen“, so Hömke.

Drosten: „Das ist schon sehr ermutigend“

Auch Virologe Christian Drosten bewertete schon verganene Woche die Biontech-Zwischenergebnisse im NDR-Podcast. „Man sieht eine Effizienz, das heißt einen Schutz gegen die Infektion, der beeindruckend ist. Bei dieser Art von Impfstoffen, die ja eine völlig neue Technik darstellt, wusste man gar nicht, was man erwarten kann. Daher ist das schon sehr ermutigend.“ Der Leiter der Virologie an der Berliner Charité betont aber ebenso, dass die Daten nur ein Zwischenergebnis sind.

„Sollten beide Impfstoffe zugelassen sein, könnten sie durchaus parallel verwendet werden. Das würde ermöglichen insgesamt mehr Menschen zu impfen“, so Hömke.

Um eine beschleunigte Zulassung zu ermöglichen, durften Biontech und Moderna Teile ihrer Ergebnisse bereits vorzeitig bei der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) einreichen. Experten bezeichnen dieses Verfahren als Rolling Review. So startet die Bearbeitung bereits, bis alle endgültigen Ergebnisse nachgereicht und das Zulassungsverfahren abgeschlossen werden kann. Auch für einen Corona-Impfstoff der Firma AstraZeneca hat bereits ein solcher Zulassungsprozess begonnen, allerdings handelt es sich hierbei um keinen RNA-Impfstoff, jedoch ebenfalls um ein neueres Verfahren, für das es aber bereits ein in Europa zugelassenes Vakzin gegen Ebola gibt.