Impfpflicht im Bundestag – Ausgang offen
17. März 2022Im Streit um eine allgemeine Impfpflicht war es zuletzt ruhig geworden, nun steht das Thema wieder auf der Tagesordnung: Der Bundestag berät erstmals über die verschiedenen Modelle. Wer will was, warum – und wie geht es weiter?
Die Ausgangslage
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt, dennoch scheint bei vielen Menschen das Gefahrenbewusstsein zu sinken. Zumal auch von der Politik Signale ausgehen, es sei nun bald Zeit für Lockerungen. Das Impftempo sinkt kontinuierlich. Am Montag wurden laut RKI rund 46.000 Impfdosen verabreicht, eine Woche zuvor waren es noch rund 63.000 und vor zwei Wochen rund 80.000. Zum Vergleich: Vor Weihnachten ließen sich an einem Tag noch etwa 1,6 Millionen Menschen immunisieren. Entsprechend bewegt sich auch bei der Impfquote nicht mehr viel: Das RKI gibt sie mit 75,7 Prozent an. Aktuell sind 23,5 Prozent (19,6 Millionen) nicht geimpft.
Nun berät der Bundestag erstmals und nach langem Vorlauf über eine allgemeine Impfpflicht. Das Vorhaben ist umstritten, selbst innerhalb der Koalition gibt es sehr unterschiedliche Positionen. Die Abstimmung ist erst für Anfang April geplant. Dafür wurde die sogenannte Fraktionsdisziplin aufgehoben. Das heißt: Die Abgeordneten sollen ohne Vorgaben ihrer Fraktionen entscheiden.
Was soll eine allgemeine Impfpflicht bewirken?
Sie soll mehr Menschen dazu bewegen, sich impfen zulassen. Denn Geimpfte schützen nicht nur sich selbst vor Ansteckung und schwerer Erkrankung, sondern auch andere – etwa auch die, die sich nicht impfen lassen können. Damit entlasten sie das Gesundheitssystem und die Intensivstationen.
Welche Vorschläge liegen auf dem Tisch?
Die Anträge reichen von einer Impfpflicht für alle ab 18 Jahren über eine Pflicht ab 50 Jahren bis zu einem vollständigen Nein. Konkret liegt dem Bundestag ein Gesetzentwurf von Abgeordneten aus den Ampelfraktionen vor, der eine Impfpflicht für alle Erwachsenen vorsieht. Dieser Antrag wird auch von Bundeskanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) sowie von Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) unterstützt.
Eine weitere Gruppe von Parlamentariern aus den Ampelfraktionen um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann tritt für eine verpflichtende Impfberatung für Erwachsene und eine altersbezogene Impfpflicht ab 50 Jahren ein.
Die Unionsfraktion hat darüber hinaus einen Vorschlag erarbeitet, der eine Art gestaffelter Impfpflicht auf Vorrat vorsieht. Demnach soll zunächst ein Impfregister aufgebaut werden. Zudem soll es einen „gestuften Impfmechanismus“ geben, der vom Bundestag aktiviert werden kann, wenn sich die Pandemielage verschärft. Das kann dann auch eine gestaffelte Impfpflicht für bestimmte Altersgruppen enthalten.
Beraten wird auch über einen interfraktionellen Antrag, der Initiativen zu stärkerer Impfbereitschaft mit einem Nein zur Impfpflicht verbindet. Er wird unterstützt vom FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki, aber auch von Jana Schimke (CDU/CSU), Tabea Rößner (Grüne), Christine Aschenberg-Dugnus (FDP), Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht (beide Linke). Auch die AfD-Fraktion spricht sich in einem eigenen Antrag gegen eine gesetzliche Impfpflicht aus.
Wie sieht das Gesetzgebungsverfahren aus?
Eine allgemeine Impfpflicht muss der Bundestag beschließen. Bislang sieht es nicht so aus, als ob einer der Entwürfe eine Mehrheit im Parlament hat. Ansonsten fehlt eine Rechtsgrundlage für eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus. Das Infektionsschutzgesetz kann lediglich Impfungen für „bedrohte Teile der Bevölkerung“ anordnen. Sollte es zu einer Impfpflicht kommen, dürfte sie erst im Herbst verbindlich werden. So sieht etwa der Vorschlag aus den Reihen der Ampelkoalition den 1. Oktober 2022 als Start vor. Sie soll bis zum 31. Dezember 2023 befristet werden.
Wäre eine allgemeine Impfpflicht verfassungsgemäß?
Darüber streiten die Experten. Vor einigen Monaten schloss auch die Politik eine Impfpflicht noch kategorisch aus. Ethikrat und zahlreiche Juristen unterstrichen, dass auf jeden Fall zunächst mildere Maßnahmen ausgereizt sein müssten, also etwa eine verstärkte Werbung für freiwillige Impfungen. Eine allgemeine Impfpflicht wäre auf jeden Fall ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Grundrecht kann nur durch Gesetze eingeschränkt werden. Da es ein wichtiges Freiheitsrecht gegen staatliche Zugriffe ist, muss die Einschränkung gut begründet sein – beispielsweise durch die Pflicht des Staates, Intensivstationen vor Überlastung zu schützen. Auch der Schutz von Menschen, die sich nicht impfen lassen können wie etwa Kleinkinder, ist ein Grund.
Aus den Grundrechten folgt allerdings auch: Der Staat ist verpflichtet, das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger zu schützen. Diese Pflicht kann höher wiegen als das Recht des Einzelnen, sich für oder gegen eine Impfung zu entscheiden. Grundrechtseingriffe müssen „verhältnismäßig“ sein. Eine Impfpflicht kann daher nur beschlossen werden, wenn überhaupt jedem Menschen eine kostenfreie Impfmöglichkeit zur Verfügung steht. Auch müsste der Staat nachweisen, dass eine Impfpflicht wirksam ist – eine heikle Frage, wenn sich die Wirkung schnell abschwächt und man sich möglicherweise alle paar Monate erneut impfen lassen muss.
Außerdem muss der Staat ausreichend aufgeklärt haben. Dargelegt werden muss auch, dass beim Impfen bislang keine übermäßigen gesundheitlichen Risiken aufgetreten sind. Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio hat auch die Frage aufgeworfen, ob eine Impfpflicht dann noch gerechtfertigt ist, wenn die Virusvariante Omikron weniger gefährlich ist. Die Begründung, dass man sich für potenziell gefährliche Virusvarianten für die Zukunft wappnen müsse, ist rechtlich problematisch.
Welche Einwände gibt es noch?
Kritiker verweisen darauf, dass eine Impfpflicht die Gesellschaft spalten könnte. Schon jetzt gibt es zahlreiche Demonstrationen gegen eine Impfpflicht; dabei mischen sich vielfach Impfgegner mit Verschwörungserzählern und Rechtsradikalen. Befürworter einer Impfpflicht verweisen umgekehrt darauf, dass die Zustimmung in der Bevölkerung für eine Impfpflicht hoch ist. Es seien gerade neue Pandemiewellen, die für eine weitere Spaltung der Gesellschaft sowie erhebliche wirtschaftliche und soziale Probleme sorgen könnten.
Kann der Staat eine Impfpflicht überhaupt durchsetzen?
Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat versichert, dass niemand zwangsweise gegen Corona geimpft wird. Die Impfpflicht sei in Wirklichkeit eine Impfnachweispflicht. Dabei gibt es Druckmittel, um Impfungen durchzusetzen, etwa Bußgelder, den Wegfall der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Nicht-Geimpfte oder indirekten Druck durch Zugangsbeschränkungen zu Veranstaltungen, Restaurants und Theatern. Die Frage ist, wer das kontrollieren soll. Debattiert wird daher auch über ein Impfregister, um Impfungen nachweisen zu können. Anders als etwa in Österreich gibt es in Deutschland kein zentrales Register, in dem Impfungen erfasst werden. Der Aufbau eines Registers ist aufwendig, dauert lange und es gibt Bedenken von Datenschützern. Andererseits lehnen es die Krankenkassen ab, bei der Kontrolle der Impfpflicht einbezogen zu werden.
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Sollte eine allgemeine Impfpflicht kommen, wäre Deutschland das einzige Land in Europa mit einer solchen Regelung. Österreich hat seine am 6. Februar in Kraft getretene Impfpflicht für Erwachsene schon wieder ausgesetzt. Eine altersbezogene Impfpflicht gibt es in Griechenland für alle Über-60-Jährigen und in Italien für alle, die älter sind als 50.